Bald nach dem Abzuge der Passauer erschien Matthias vor Prag, von der Bevölkerung, die sich von Rudolf verraten fühlte, freudig als Retter begrüßt. Rudolf blieb nichts übrig, als auf die böhmische Krone zu verzichten; denn alle huldigten dem neuen Herrn und schienen sich kaum seiner Anwesenheit zu erinnern. Er zog sich in dasjenige seiner Gemächer zurück, wohin am wenigsten Geräusch von außen drang, und versuchte sich anzustellen, als gingen die Ereignisse in der Stadt ihn nichts an. Doch erfuhr er, daß zwei Deutsche, die in seinem Auftrage Zauberei gegen Matthias getrieben haben sollten, gefangen und gefoltert wurden, und mußte dies und anderes ohnmächtig geschehen lassen. Was ihn tröstete, war, sich auszudenken, durch was für Machinationen er Matthias den Triumph wieder entreißen könne, und dazu konnten ihm jetzt nur noch die Protestanten im Reiche verhelfen. Daß Anhalt ihm nicht mehr traute, fühlte er und hätte auch den Verwegenen nicht mehr sehen mögen; aber es fehlte nicht an anderen Fürsten und Unterhändlern, die jeden Augenblick bereit waren, mit dem Kaiser anzuknüpfen.
Von Leopold war nichts mehr zu erwarten, denn er war nach dem kläglichen Mißerfolg seines Unternehmens so niedergedrückt und beschämt, wurde von jedermann mit so sichtbarer Kälte und Verachtung behandelt, daß er einstweilen nur darauf bedacht war, sich zurückzuziehen und den Menschen auszuweichen. Auch seinen Hoffnungen auf die Heirat mit der bayrischen Prinzessin mußte er entsagen und sich mit dem so leichtfertig abgeworfenen Bischofskleide wieder begnügen.
Magdalena hatte lange an ihrer Liebe zu Leopold festgehalten, bis es dem weitberühmten Pater Lorenz von Brindisi, den der alte Herzog eigens dazu kommen ließ, gelang, sie zum Verzicht zu bewegen, indem er ihr Leopolds Priesterstand, ihre Pflicht gegen Gott, Vater und Bruder und die Strafen im Jenseits vorstellte, die ertrotzten irdischen Freuden folgen könnten. Es war um so bitterer für sie, als Matthias sich inzwischen mit seiner Nichte Anna, der Tochter seines Bruders Ferdinand von Tirol, verheiratet hatte, und daß noch ein anderer Bewerber sieb einstellen könnte, wie ihr Vater tröstete, wollte sie nicht glauben. Eines Tages begab es sich jedoch, daß Maximilian einen Verwandten als Gast zur Tafel lud, nämlich den jungen Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg, auf welchen er Magdalena bedeutungsvoll als auf einen zukunftsreichen Fürsten aufmerksam machte, der sich in Hinsicht auf den Glauben möglicherweise eines Besseren belehren lassen würde, besonders wenn sie, als eine verständige und vorsichtige Person, sich dies Gott wohlgefällige Werk angelegen sein ließe. Ihrem Vater verhehlte Magdalena nicht, daß sie den Vetter schön und liebenswürdig finde; aber außer einigen Scherzworten, die sie erröten machten, und etwa einem besonders nachdrücklichen Händedruck waren ihm keine Annäherungsversuche nachzuweisen. Immerhin betrachtete es Maximilian als einen Erfolg, daß Wolfgang Wilhelm sich von ihm hatte bereden lassen, einer Messe beizuwohnen, und die Zeremonie mit augenscheinlichem Respekt beobachtet hatte.
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Um die noch nicht geregelte Frage der Nachfolge im Reiche zu ordnen, beraumten die Kurfürsten auf Michaelis 1611 eine Versammlung in Nürnberg an, auf welche die Stadt sich den Sommer über in fröhlicher und sorglicher Geschäftigkeit vorbereitete. Es erforderte reifliches Bedenken, wo und wie ein jeder nach seiner Würde solle einquartiert werden, und wenn dies auch zum Teil dem Erbmarschall Pappenheim, als dem Quartiermacher, oblag, so ging der Verkehr mit diesem wegen der vielfach sich kreuzenden Befugnisse nicht ohne Vorsicht und Spitzfindigkeit vonstatten. So waren einige Männer auf den Einfall gekommen, während des Kurfürstentages einen Glückstopf zu eröffnen, und hatten sich wegen der Erlaubnis an Pappenheim gewendet, dieselbe auch erhalten. Als sie dann den Rat in zweiter Stelle angingen, erteilte ihnen dieser einen gänzlichen Abschlag und steckte sie zum Beispiel und zur Lehre, obwohl sie zu den ehrbaren Bürgern gehörten, für mehrere Tage ins Loch; denn bei den überall ausschlüpfenden Prätentionen der Fürsten und des Adels galt es von vornherein, den Untertanen die Hoheit zu weisen.
In der sich täglich mehr mit Fremden füllenden Stadt mußte streng auf Ordnung gehalten werden. Da kamen Pastetenbäcker aus Lothringen, Spitzenverkäufer aus Lyon und Perlenhändler aus Marseille, und wenn das neugierige Volk daran Ergötzen hatte, so ereiferte sich das einheimische Gewerbe, dem dadurch Schaden drohte. Die jeweiligen Beschwerden wollten gründlich untersucht werden, wie denn die Klage der Uhrmacher, daß sie auf dem Reichstage zu Augsburg im Jahre 1582 nicht zugelassen worden wären, richtig befunden und die Augsburger Uhrmacher daraufhin füglich abgewiesen werden konnten. Mißhelligkeiten waren vor allen Dingen infolge des Zusammenströmens verschiedener Bekenntnisse in der Stadt zu befürchten, und es wurde deshalb der Geistlichkeit mehrfach und nachdrücklich eingeschärft, sich während dieser Zeit des überflüssigen Kritisierens und Phantasierens zu enthalten, vielmehr bescheidentlich bei der Auslegung des Textes zu bleiben.
Lustige Tage waren es, als unter heiterem Spätsommerhimmel die hohen Personen nacheinander mit ihrem Gefolge einrückten. Den meisten Beifall fand beim Volke Kurfürst Schweikhard von Mainz, des Reiches Erzkanzler, der, aufrecht und fröhlich im Wagen sitzend, nach allen Seiten grüßte und segnete, während der Kurfürst Ernst von Köln, abgemagert und trübsinnig, sich der Festfreude nur wie einer Mühseligkeit zu unterziehen schien. Am prächtigsten hergerichtet war der von Trier aus dem rheinischen Geschlechte der Metternich, ein schöner, blühender Mann mit krausem braunem Haar, schwungvoller Nase und hellglänzenden Augen, der sich wie ein Kavalier hielt und den Zuruf der Menge mit erhabenem und herablassendem Kopfneigen erwiderte. Von den weltlichen Kurfürsten fehlte der noch unmündige Pfälzer, an dessen Stelle die strittigen Vormünder, Herzog Johann von Pfalz-Zweibrücken und Herzog von Pfalz-Neuburg, ferner Großhofmeister Graf Solms und der Doktor Camerarius erschienen. Für den Kurfürsten Christian von Sachsen, dessen Händen kürzlich der volle Becher auf immer entfallen war, kam sein Bruder und Nachfolger, Johann Georg I., der froh war, bei diesem Anlaß seine Würde zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zeigen zu können.
Sein Aussehen war einnehmend, sein Betragen bieder und umgänglich und sein Verhalten gegen die geistlichen Kurfürsten, die dem mächtigsten unter den evangelischen Fürsten überaus wohlwollend entgegenkamen, bescheiden und friedliebend. Ein unbeliebter Gast war Khlesl, der Bischof von Wien, der als Vertreter des Königs und Kurfürsten von Böhmen in einem an Pracht alle übertreffenden Aufzuge in Nürnberg einfuhr. Es nahm die Stadt nicht wenig wunder, daß der Verfolger der Ketzer, wenn er sich überhaupt in Nürnberg zu zeigen wagte, nicht wenigstens in der Stille und kleinlaut aufzog, anstatt dreist daherprunkend alle Augen auf sich zu ziehen. Wenn er über die Straße ging, hager, knochig und gelb, einen fetten Mönch zur Seite, pflegten ihm die Buben johlend und pfeifend nachzulaufen, so daß der Rat es für nötig hielt, die Lehrer zu besserer Zucht ihrer Schüler anzuweisen. Da aber ein Lehrer den Buben in der Schule ansagte, wenn sie etwa in dieser Zeit einen Teufel sähen, der einen Esel zur Hölle triebe, welche Anspielung auf den Namen des Bischofs von groß und klein verstanden wurde, sollten sie ihre Verwunderung nicht laut äußern, denn es geschehe mit obrigkeitlicher Bewilligung, so wurde das Gespött und Gelächter eher ärger als zuvor. Da dem Rate wohlbekannt war, wie ungern Khlesl auch von den Fürsten gesehen war, schritt er nicht schärfer ein, sondern ließ es bei den fruchtlosen Klagen des Bischofs bewenden.
Nachdem der obschwebende Streit zwischen Zweibrücken und Neuburg vorläufig beigelegt war, nahmen die Verhandlungen in dem großen Saale des Rathauses ihren Anfang, der mit den Bildnissen der Kaiser und mit einigen hochberühmten Kunstwerken, nämlich Dürers Adam und Eva und einer lieblichen Madonna des Lukas Cranach, ausgeziert war. Der Rat trug Sorge, daß auf dem Tische stets eine Schale voll Konfekt und eine Kristallflasche voll Malvasier stand, damit sich die Ratschlagenden unter der Arbeit daran erquicken könnten.
Zwischenhinein gaben die Fürsten Bankette, bei denen der eine den andern durch immer köstlichere Leckerbissen zu übertrumpfen suchte, welcher Wettstreit keine Empfindlichkeit erregte, vielmehr den Witz und die Laune reizte. Den größten Erfolg erzielte der Kurfürst von Köln, der, seit er sich im Trinken mäßig verhalten mußte, desto lieber mit Konfekt umging, durch kunstvolles Zuckerwerk, das er aus Amsterdam bezogen hatte. Es erschien in Gestalt von Wurst, Schinken, Semmeln, Krautköpfen und anderen Eßwaren und ahmte dieselben in frischer,