Er war gerade am Ziele seiner Reise angelangt, als ein widerwärtiger Anblick plötzlich seine frohe Stimmung umkehrte: er sah das wohlbekannte brandenburgische Wappen am Tore angeschlagen, ein Zeichen, daß der Kurfürst bereits dort war oder durch einen Stellvertreter von der Hauptstadt Besitz ergriffen hatte. Viel weniger hätte es ihn erbittert, wenn ihm spanische Waffen entgegengestarrt hätten, denn diese hätten seine Glaubensgenossen verdrängen können; wer aber würde ihm helfen, den verhaßten Nebenbuhler loszuwerden? Keiner von den protestantischen Fürsten würde ihm darin beistehen, das ganze Land ungeteilt für sich zu behalten. Obwohl ihm zunächst nichts übrigblieb, als sich in die Tatsache zu fügen, fühlte er sich allzu beleidigt, um es nicht den Markgrafen Ernst von Brandenburg, des Kurfürsten Vertreter, merken zu lassen, und es wäre zu einem folgenschweren Zerwürfnis gekommen, wenn nicht Landgraf Moritz von Hessen sich die Vermittlung hätte angelegen sein lassen.
Man möge doch auf gelegenere Zeit verschieben, stellte dieser beiden Parteien vor, wie das Land unter seinen Ansprechern zu teilen sei, und jetzt alle Kräfte darauf richten, daß es nicht dem Kaiser oder Spanien zufalle. Bei dem Kampfe, der sich darüber entspinnen werde, müsse man einig sein, jetzt seien alle Umstände günstig, die Habsburger, die Pest des Reiches, seien unter sich uneinig, im Begriffe, sich selber zu verschlingen. Der Augenblick sei für die deutschen Fürsten gekommen, sich ihre Unabhängigkeit zu erobern. In demselben Sinne sprach Anhalt, der geschäftig hin und her flog, um die letzten Zurüstungen zu betreiben, damit auf ein gegebenes Zeichen die Feuer an allen Orten zugleich aufflammen könnten.
In den habsburgischen Ländern bereitete sich sichtlich ein großer Umschwung vor, denn Matthias und Rudolf standen sich unversöhnlich gegenüber, und den Sieg davontragen mußte der, dem die Übermacht der Protestanten zufiel. Khlesl und Matthias konnten sich dem nicht verschließen, daß sie der protestantischen Herren bedurften und daß diese sich nicht billig verkaufen würden. Zuerst waren sie mit Anlockungen und Vorspiegelungen ausgekommen; nachdem aber Rudolf Ungarn, Mähren und Österreich wirklich abgetreten hatte, verlangte der protestantische Adel wirkliche, mit Brief und Siegel beglaubigte Zugeständnisse, namentlich Glaubensfreiheit, die Matthias doch nicht gewähren zu dürfen glaubte. Der nunmehrige König von Ungarn wußte durchaus nicht, wie er diesen gewiegten, redefertigen, grundgelehrten und vorurteilslosen Herren begegnen sollte. Khlesl hatte gut sagen, nun solle er zeigen, daß er dem erhabenen Erzhause angehöre, er müsse ihre Dreistigkeit durch Majestät in Schranken halten; Matthias klagte, es werde ihm übel in den Eingeweiden, wenn er diese Leute nur sähe, der Teufel führe ihnen die Zunge, sie sollten ihm nicht mehr vor die Augen kommen. Hiervon nahm er einzig den mährischen Baron Zierotin aus, der denn auch schließlich die Verhandlungen zu einem Ende brachte, indem er einerseits den Adel in etwas nachzugeben und Matthias den notwendigen Forderungen Genüge zu leisten bestimmte.
Zierotin war ein kluger, feingebildeter, etwas kränklicher Herr, der nach mancherlei Enttäuschungen jugendlicher Begeisterung die aufgeregten Kämpfe seiner Zeit mit melancholischem Zweifel verfolgte. Er war der Ansicht, daß die Evangelischen nicht auf die Gleichberechtigung ihres Bekenntnisses dringen sollten, wenn der Frieden davon abhänge; was verschlage es ihnen, ob sie ihre Andacht in dieser oder jener Kirche verrichteten, ob sie ihre Gebeine auf diesem oder jenem Kirchhof beerdigten, an welchem Orte sie ihren Glauben laut bekennen dürften? Wenn sie nur nicht verhindert würden, Gott in ihrer Weise zu dienen, und nicht gezwungen, Abgötterei zu treiben. Wollten sie mehr erreichen, müßten sie weniger selbstsüchtig und einig untereinander sein. Die Hussiten bekrittelten die Meinungen der Böhmischen Brüder, beide haßten die Lehren der Reformierten, und kaum hinderte sie die gemeinsame Gefahr, sich gegenseitig zu zerreißen. Wie oft hätte er versucht, die Herren aller habsburgischen Länder so zu vereinigen, daß sie einen Körper bildeten, der mächtig allen Gegnern gewachsen wäre; die Eifersucht der Schlesier und Mähren auf Böhmen und Österreich hätte es verhindert. Sie sollten sich mit dem Erreichbaren begnügen, da sie das VoIlkommene zu verdienen nicht fähig wären.
Die ungewöhnliche Erscheinung des blassen Herrn im braunen Sammetkleide, dessen traurige Augen Überlegenheit und zuweilen eine leise, zurückgehaltene Verachtung ausdrückten und dessen sanfte Stimme eher zögerte als sich aufdrängte, gewann auf alle solchen Einfluß, daß sie sich, wenn auch widerwillig, fügten. Die Herren zürnten ihm, daß er, von seinem früheren, schärferen Standpunkt abweichend, für Zugeständnisse stimmte, und auch Matthias gab, ohne überzeugt zu sein, mit bekümmertem Gewissen nach.
Wie ein vom Himmel stürzender Donnerkeil traf Matthias die Exkommunikation des Papstes, weil er sich mit den Ketzern verglichen und ihnen eine, wenn auch beschränkte, Duldung gewährt habe. Dies sei die Strafe, jammerte er, für sein Rebellieren und Traktieren! Hätte er sich doch niemals so viel unterstanden! Nun ziehe Gott die Hand von ihm ab, und zu soviel Plage und Ungemach auf Erden stehe ihm jenseits noch die Hölle bevor. Khlesl redete ihm ernstlich zu: »Sie nehmen sich die Sache allzusehr zu Herzen,« sagte er, »die adeligen Herren sind keine Handwerker oder Bauern, die man ohne weiteres in ein Gefängnis werfen oder aus dem Lande jagen kann; man muß mit ihnen dissimulieren, und der Heilige Vater würde es selbst nicht anders machen, wenn er dergleichen Untertanen hätte.« Solange Matthias, fuhr er fort, in seinem Herzen ein guter Katholik sei und sich vorbehalte, die Ketzerei auszurotten, sowie er die Möglichkeit dazu habe, brauche er sich nicht schuldig zu fühlen.
In demselben Sinne sprach sich auch der Beichtvater aus, bei dem Matthias Trost suchte. Er bewog den König, eine ausdrückliche Erklärung insgeheim auszustellen, daß er nur gezwungen den Ketzern nachgegeben habe und den Kampf gegen sie zu gelegener Zeit wieder aufnehmen wolle; wodurch sich denn der zürnende Papst versöhnen ließ.
Unterdessen stritten auch die böhmischen Herren miteinander, um eine gemeinsame Formel für ihre Forderungen zu finden, worüber es beinahe zu vollständiger Entzweiung gekommen wäre. Die Lutheraner und Utraquisten schrieben eine bestimmte Kleidung für ihre Geistlichen vor, während die Böhmischen Brüder der Ansicht waren, Frömmigkeit solle sich durch die Reinheit des Herzens und der Sitten ausdrücken, und es sollten sich deshalb die Geistlichen nicht durch äußerliches Gewand von der Menge unterscheiden. Schon hatten die Lutheraner erklärt, sich lieber von den Katholiken Hunde schelten lassen als den Böhmischen Brüdern die Hand reichen zu wollen, als diese durch Nachgiebigkeit den Frieden wieder herstellten. Nunmehr legten die Einmütigen Rudolf ihre Forderungen vor und drohten, nicht auseinanderzugehen, bis er sie bewilligt habe.
Schrecken und Unruhe bemächtigte sich der Bürger, die nicht wußten, auf welche Seite sie sich bei dem augenscheinlich bevorstehenden Kampfe schlagen sollten. Als Protestanten fühlten sie die Pflicht, zu ihren Glaubensgenossen zu stehen; aber sie waren dem Kaiser, in dem sie einen guten alten kranken Mann sahen, ergeben und betrachteten die adeligen Herren mit Mißtrauen. Sie verwünschten das Lärmschlagen und Zusammenrotten, das den Geschäftsgang ins Stocken brachte und Handel und Wandel bedrohte. Nicht mindere Verlegenheit herrschte auf der Burg. Der Kaiser wollte die Abgeordneten nicht vor sich lassen, so erzürnt war er über ihre Dreistigkeit; aber ihre Forderungen geradezu abzuweisen, getraute er sich auch nicht. Auf der anderen Seite mochte er die katholischen Kronbeamten, Lobkowitz, Martinitz, Slawata, seine Unsicherheit nicht merken lassen, die ihn drängten, fest zu bleiben und die Verbündeten als Rebellen zu behandeln. Erzherzog Leopold, der anwesend war, bestürmte ihn, den Krieg entscheiden zu lassen. Er hatte mehrere Offiziere aufgetrieben, darunter Lorenz Ramée, einen