GESPRÄCHE.
Audrey,
Es tut mir leid, wenn ich irgendetwas gesagt oder getan habe, das Dich verletzt hat. Ich habe mich sehr gefreut, Dich wiederzusehen. Mir ist klar, dass viel passiert ist, aber nichts davon steht mehr zwischen uns.
Bis bald,
J.
Er musste ihn in der Nacht gebracht und unter der Tür durchgesteckt haben. Die Karte war wunderschön, ein Aquarellbild mit einer Stadtansicht, dahinter das Meer. Doch Colante war es nicht.
Ich dachte nach. Es sah aus wie die Stadt, von der Jacob Bilder in seinem Café hängen hatte. Auf dem Schriftzug unterhalb des Bildes stand: »Alchando – die Stadt der Liebenden«. Ich probierte den Namen aus, er lag weich und wohlig auf der Zunge. Der arme Jacob, er musste sich gequält haben ob meines überhasteten Aufbruchs. Ich musste ihn wissen lassen, dass es mir gut ging. Die Träume von früher belasteten mich zwar, aber sie waren nicht das, was uns heute ausmachte.
Während ich mich anzog, um mir ein Frühstück zu holen, dachte ich darüber nach, wie ich Jacob zeigen konnte, dass mit uns alles in Ordnung war. Ich stieg die vier Stockwerke zu Fuß hinunter und dabei kam mir schließlich eine Idee. Aber zuerst musste ich einkaufen gehen.
***
Das Wochenende verging wie im Flug. Langsam gewöhnte ich mich an die Größe der Wohnung und richtete im oberen Stock meine kleine Kreativwerkstatt ein. Ich stellte mein Laptop mit Drucker auf, ordnete die Schachteln mit den Perlen und die Schmuckwerkzeuge in ihren Kisten an, hängte alte Poster auf, lüftete die ganze Wohnung und begann, mich heimisch zu fühlen. Die Träume kehrten in diesen beiden Tagen nicht wieder und ich dachte schon, ich hätte es überstanden.
Am Sonntagabend stand ich gerade in der Küche und bereitete das Hühnchencurry zu, das ich Jacob bringen wollte, als das Telefon läutete. Ich hastete hinüber ins Wohnzimmer, wo es auf einem Beistelltisch neben der riesigen Couch stand, und nahm atemlos ab.
»Hallo?«
»Audrey, hier ist Alex«, meldete sich mein Bruder.
Er klang grauenhaft. Und die Verbindung war schlecht.
»Alex, wo steckst du?«, fragte ich und schaute auf die Uhr. Viertel nach sechs.
»Ach, weißt du, mal hier, mal dort ...«, war die ausweichende Antwort.
Er klang, als wäre er auf der anderen Seite der Welt.
»Komm schon, mir kannst du’s doch sagen«, versuchte ich es noch einmal.
»Darum geht’s nicht. Wann kann ich dich sehen?«, wollte er wissen.
Er klang irgendwie gehetzt. Ich stutzte. Wahrscheinlich steckte er wieder in Schwierigkeiten.
»Ich habe morgen noch ein wenig Zeit, komm doch vorbei, was meinst du?«
»Ja, ich könnte so um drei am Wasser sein, an der alten Stelle, du weißt schon, wo wir früher Steine haben springen lassen«, sagte er leise.
Wie kryptisch. Warum konnte er den Ort nicht beim Namen nennen? Gut, da konnte ich mitspielen.
»Gut, ich werde da sein. Brauchst du irgendwas?«
Stille.
»Alex? Alexander?«, fragte ich, doch er war nicht mehr dran.
Die Verbindung war unterbrochen. Ich begann, mir Sorgen zu machen. Es fiel mir schwer, mich wieder aufs Kochen zu konzentrieren, aber schließlich schaffte ich es, kurz nach sieben mit einer Warmhaltebox unter dem Arm das Haus zu verlassen. Ich wusste, dass Jacob eine schöne Wohnung in Hafennähe besaß, aber vielleicht war er auch im Café. Ich beschloss, es zuerst dort zu versuchen. Es war ein Fußmarsch von nur wenigen Minuten und bald betrat ich das Café. Von Jacob keine Spur, dafür ein freundlicher, dunkelblonder Mann in meinem Alter, der hinter der Bar Gläser abtrocknete.
»Hi«, sagte er und lächelte mich an.
»Hi, ich hätte hier was für Jacob«, sagte ich und hielt meine Box hoch.
»Warte, ich glaube, er ist draußen im Hof, ich geh ihn holen ...«, bot er mir an.
»Nein, nein, ich geh selbst hinaus! Durch diese Tür?« Ich deutete auf die bunte Glastür hinten im Café.
»Genau die!«, sagte der Typ mit einem Nicken und wandte sich wieder seinen Gläsern zu.
Als ich durch die Tür in den wunderschönen Arkadenhof trat, hörte ich Jacob laut telefonieren. Er schrie fast ins Telefon, dann wurde seine Stimme drohend und schließlich legte er mit einem knappen Gruß auf. Ich hatte kein Wort verstanden. Da drehte er sich zu mir um. Sofort veränderte sich sein Blick und er strahlte mich an.
»Audrey!«, sagte er erleichtert und breitete die Arme aus. Ich ließ mich wortlos von ihm festhalten und sog gierig den wunderbaren Duft ein, den er verströmte. Meine Knie waren weich, als ich mich schließlich von ihm löste. Ich hielt ihm die Box hin.
»Ich schulde dir ein Hühnchencurry«, sagte ich mit Unschuldsaugen.
Jacob war begeistert. Er stellte sofort zwei Stühle an einen kleinen Tisch im Hof und holte Gedecke für uns beide. Ich servierte das Curry mit einem Lächeln und wir aßen gemeinsam. Als wir fertig waren, sprach ich ihn auf seinen Brief an.
»Jacob, es tut mir leid, dass ich am Freitag so plötzlich verschwunden bin ... es war nur, weißt du, alles ein bisschen viel und ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist ...«
»Träumst du auch?«, unterbrach er mich.
Mir stockte der Atem. Er träumte?
»Meinst du ... meinst du, von früher?«, fragte ich leise.
Er nickte.
»J-ja ... in letzter Zeit schon, also, seit ich wieder hier bin«, gab ich zu.
Jacob nickte wieder.
»Mir geht’s genauso. Seit du am Freitag bei mir warst, träume ich wieder davon.«
»Jake, ich will nicht drüber reden. Ich träume, ja, aber das ist alles längst Vergangenheit. Wir sind nicht mehr die, die wir damals waren.«
»Du meinst nicht, dass wir darüber sprechen sollten? Ich meine, mit jemandem, der sich mit solchen Dingen auskennt ...«
»Du meinst einen Therapeuten?«
»Vielleicht.«
»Niemals. Jacob, das würde ich niemals tun.«
Ich schüttelte energisch den Kopf.
Damit ließ er es auf sich beruhen und wir plauderten noch lange, bis es schließlich dunkel war. Es schien, als könnten wir zu dem Punkt zurückkehren, an dem wir aufgehört hatten, bevor er am Freitag seine Wohnung verlassen hatte, um für uns etwas zu essen zu holen. Das tat gut.
Wieder verabschiedete er sich mit einer langen Umarmung und ich spürte sein Herz schlagen, sog seinen Duft ein und löste mich schließlich widerwillig von ihm. Was machte dieser Mann nur mit mir? Ich kannte ihn schon so lange, aber mein Körper schien erst jetzt wirklich auf ihn zu reagieren. Was mein Herz machte, das fragte ich es am besten gar nicht.
***
In dieser Nacht träumte ich erneut von der Vergangenheit. Und wieder begann der Traum am Abgang zum Keller. Die Drogen brauchten wir immer dringender, manche von uns litten unter Schlafstörungen, konnten sich nicht mehr konzentrieren. Aber die Stimmung war weiterhin gut und wir waren bereit, uns den geheimnisvollen Fremden hinzugeben. Was für eine neue Spielart hatten sich die Veranstalter wohl diesmal ausgedacht? Als wir nackt im großen Raum standen, wurden wir mit Handschellen aneinandergefesselt, bevor uns die Augen verbunden wurden. Ich warf einen Blick über meine Schulter und sah, dass Jacob sich ebenfalls nach mir umsah. Er stand mir gegenüber auf der anderen Seite des Kreises, den wir bildeten. Links von mir war Angelique, ein großes Mädchen mit riesigen Brüsten und glatt