Abb. 3: „5 W – was in eine Hand geht“
5 W – was in eine Hand geht
So umfänglich der oben erwähnte Leitsatz war, so schnell kann er – besonders Referendare und Junglehrer, aber auch besonders die neuen Dozenten-Kollegen in der virtuellen Lehre – überfordern. Denn der virtuelle Lernraum verlangt nach einer noch stärkeren Konzentration und damit didaktischen Reduktion – wie später noch aufgezeigt werden soll. Deshalb bietet sich die Elementarisierung auf die zentralen W-Fragen an, die buchstäblich in eine Hand gehen. Es erscheint legitim, an der Frage anzusetzen, WAS zu vermitteln ist. Denn Bildungspläne und Curricula sind vorhanden und binden den Lehrenden an Inhalte. In der Schule mag dies verbindlicher sein als in der Hochschullehre, doch die Frage nach dem WER als erster mag idealtypisch und vielleicht auch ein wenig weltfremd sein. Doch sie sollte zumindest als zweite Perspektive aufkommen. Denn selbst, wenn kein Unterricht zu planen sondern „nur“ ein Vortrag zu halten ist, geht es nicht – erfolgreich, also mit Wirksamkeit – ohne die Frage: Wer wird „mir“ gegenüber sitzen? Die Frage nach dem WIE ergibt sich bei dieser einfachen Herangehensweise von selbst: Wie bekomme „ich“ das „Was“ zum „Wer“? Hier kommen geeignete Sozialformen, Methoden und Tools zum Einsatz bzw. werden als „Weg vom Was zum Wer“ geplant. Noch bevor weitere „W’s“ in den Blick genommen werden, sollte hier auf eine für die Lernenden und den Lernprozess optimale Stimmigkeit geachtet werden. Freilich stehen „Was“ und „Wer“ fest, jedoch lässt sich das erste W-Prinzip noch elementarisieren und individualisieren, wie sich das zweite „W“ durch Gruppenzusammensetzung und Ansprache – entsprechend der Ziele und Gegebenheiten – steuern lässt. Mit der Zielebene gelangt man in der Vorbereitung, Planung und Durchführung des Unterrichts weiter zum WOZU. Die Ziele des Unterrichts sind dabei nicht mit der Frage nach dem WARUM zu verwechseln. Sie sind als Ober- und Unterziele differenzierbar und orientieren sich daran, was die Schüler bzw. die Studierenden nach dieser geplanten Unterrichtsstunde können sollen – auf die Anbindung an das Kompetenzmodell wird später noch hingewiesen. Während das „Wozu“ die Ziele in den Blick nimmt, bündelt die Frage nach dem „Warum“ die Analyse der Gründe, warum sich der Lehrende an dieser oder jener Stelle so oder so entschieden hat. Diese Fragestellung kennt der oben zitierte Leitsatz von Meyer/Jank nicht. Die Frage nach den Motiven – neben die der Ziele – zu stellen, ergibt sich aber Beobachtungen wie dieser, einem Hinweis im Lehrcoaching durch einen Praktikanten im 8. Semester:
„Ich könnte die Methode mal ausprobieren oder ich mache es frontal. Ist vom Ergebnis doch gleich, es muss nachher halt irgendwie an der Tafel stehen.“
Unterricht ist keine industrielle Fertigung. Die Perspektive der Ziele ist wichtig, doch nicht alles. Diese Fixierung löst beispielhaft das Phänomen aus, dass ein Junglehrer genau eine bestimmte Antwort erwartet – erwarten können muss, um in seiner angedachten Stunde weiterzukommen. Unterricht ist Dynamik. „Warum wäre eine geeignete Methode an genau dieser Stelle des Unterrichts besser als ein Lehrervortrag?“ Mit dieser Gegenfrage kam der genannte Student von selbst darauf, dass ein von ihm initiiertes Gruppengeschehen ganz andere Erkenntnisse befördern würde, als wenn er diese als Input bringen würde. Ebenso ist beispielhaft die – nicht unbedeutende – Frage der zeitlichen Strukturierung nicht vom „Wozu“ abhängig. Vielmehr davon, warum dieser Sequenz mehr Zeit einzuräumen ist als jener. Das WOZU bündelt also gewissermaßen alle weiteren oben genannten Fragen, ohne sich aber auf zu viele Nebenschauplätze zu begeben. Denn was für genau diese Stunde relevant ist, erschließt sich so induktiver und stimmiger.
Für den virtuellen Raum und einen, den jeweiligen Selbst- und Gruppenlernprozessen angepassten gelungenen Mix aus Präsenz- und Fernunterricht, ist jedoch die Frage nach dem WO wichtiger als die nach dem „Warum“. Sie antizipiert eine Klärung über die Frage nach synchronem und asynchronem Lernen. Insofern soll dieses Kriterium hier alternativ leitend sein (vgl. Hanstein, 2018, in: https://www.youtube.com/watch?v=19qIP6-Ue1s&feature=youtu.be; Zugriff: 02.05.2020).
Sozialformen, Methoden und Tools
Der Begriff der Methoden wird in den letzten Jahren in der Lehre sehr amorph verwendet. Er kommt aber in aller Regel immer dann zum Einsatz, wenn sich Lehrende Gedanken um das „Wie“ ihrer Vermittlung machen. Und damit wird er grundsätzlich richtig verwendet. Allerdings sei hier auch an die Unterscheidung zwischen Sozialformen und Methoden erinnert, die auf den Schulpädagogen und Schulentwickler Heinz Klippert zurückgeht (vgl. Klippert, 2002). Als Sozialformen gelten hier der frontale Lehrervortrag, das Unterrichtsgespräch bzw. Plenum, das Lehrer-Schüler-Gespräch bzw. der fragend-entwickelnde Unterricht, die Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit. Alles, was darüber hinausgeht bzw. sich in LV, UG, LSG, EA, PA oder GA methodisch einbindet, sind Methoden. Man könnte es bildlich so ausdrücken: Die Sozialformen des Unterrichts geben als Fundament die erste methodisch-didaktische Struktur vor. Alles Weitere baut sich darauf auf. Diese Ordnung scheint hier wichtig. Denn nicht selten spiegelt sich im Unterrichtsverlauf das wider, was der Lehrende in der Vorbereitung, Planung und Organisation durcheinandergebracht hat. Eine Referendarin bemerkte das so:
„Ich habe im Seminar das Speed-Talking kennengelernt. Das hat voll Spaß gemacht. Ich wollte es dann ausprobieren, hab’ gedacht, ich bau’ es wie eine Pro und Contra Debatte auf, aber es lief nicht lange gut. Zuerst waren sie gut dabei, dann wurde es irgendwie wild. Alles durcheinander und am Ende auch irgendwie kein Ergebnis da.“
Im Coaching analysierte die Kollegin die Gründe. Sie hatte vor allem nicht bedacht, dass es ihre Aufgabe ist, Regie und Ergebnissicherung zu übernehmen. Die Methode verlief auf der Ebene einer Gruppenarbeit (GA), doch an wen hätte sie zum Beispiel die Prozesssteuerung übertragen können (EA/PA) und wann wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Ergebnisse (wo, wann und wie) festzuhalten und zu kommunizieren (UG/LSG/LV)? – Durch diese Leitfragen kam die Kollegin auf die erste methodisch-didaktische Ordnung, und konnte von dieser her ihren Unterricht klar analysieren und die weitere Planung optimieren.
Darüber hinaus ist der Begriff Tools aus der Coaching-Sparte in die Pädagogik eingeflossen. Dieses Phänomen hat die bestehende Unübersichtlichkeit zwar nochmals gesteigert, aber auch innovative, kreative und originelle Beispiele hervorgebracht. Diese sind insbesondere für virtuelle Formate wertvoll – eine Auswahl findet sich im methodischen Teil dieses Buches. Um den Eindruck eines „alle für alles“ aber nicht zu unterstützen, steht eine Systematik und Anbindung an bisherige Methoden in aller Regel aber noch aus. Manche dieser Tools lassen Lehrende glauben, man könne sie leicht auf den eigenen Fall übertragen, indem man sie für sich adaptiert. Das „technische“ Denken freilich steckt bereits im Begriff – weshalb an dieser Stelle dafür (bzw. dagegen) sensibilisiert werden soll.
Kapitel 2
Angemessenheit statt „Methodenzauber“
Elementarisiert planen – handlungsorientiert
vorgehen
Der augenzwinkernde Hinweis auf die Versuchung zum „Methodenzauber“ macht deutlich, dass diese – zum Teil unübersichtliche – Fülle an praktischen Möglichkeiten auch die Gefahr in sich birgt, den Rahmen zu sprengen. Insofern ist es für die Planung des Unterrichts und die Übersichtlichkeit der Durchführung selbst wichtig, elementare Bausteine zu entwickeln. Im virtuellen Raum kommen Verdichtungs- und Beschleunigungsdynamiken wie von selbst auf. Von daher ist ein elementarer Zugang auch für diesen – für viele Kollegen noch neuen – Kontext unvermeidlich. Lernprozesse könnten andernfalls so unübersichtlich werden, dass sie für die Lernenden keinen Mehrwert besitzen, sondern diese in der Irritation buchstäblich hängen bleiben. Oder sie könnten – wie im „Corona-Homeschooling“ vielfach geschehen – zur