Obgleich der Wagen in raschem Trab auf der Straße dahinrollte, hatte der Sprecher sich doch erhoben. Er streckte die muskulösen Arme aus, als könne er den Todfeind mit ihnen erfassen, die Faust öffnete und ballte sich abwechselnd, ein sprechendes Bild der Zermalmung, von der er gesprochen hatte. Seine Zähne mahlten hörbar aneinander, ihr Elfenbein blickte drohend zwischen den grimmig sich spaltenden Lippen hervor, und die Augen starrten aus ihren Höhlen, als wolle die leidenschaftlich angeregte Kraft der unverletzten Sehnerven den geblendeten Augapfel durchdringen, um auszublicken nach dem geheimnisvollen Dämon, der so viel Unglück verschuldet, so unversöhnlichem Hass das Dasein gegeben hatte.
Frieder war in die Ecke zurückgesunken. Seine Glieder wurden nicht wie diejenigen des Vaters bewegt von der gewaltigen Gärung, die auch in seinem Innern herrschte. Aber in seinen Augen glühte es wie ein eingeschlossener Brand, der nur der geringsten Hoffnung bedarf, um vernichtend emporzulohen.
Dem Knecht war kein einziges Wort der Unterhaltung entgangen. Dem guten Menschen stand das Wasser in den Augen. Er wusste, was sein Herr gelitten hatte und heute noch litt. Das griff ihm ans Herz. Und wie sehr er sich räusperte, wie oft er sich mit dem Ärmel über das Gesicht fuhr, die Tropfen erneuerten sich immer wieder, sodass er endlich, zwischen Ärger und Beschämung kämpfend, auf die Braunen einhieb, dass sie förmlich auf der Straße dahinflogen. An einer Stelle, wo ein Feldweg in die Straße mündete, drehte er sich um und fragte:
„Gradaus oder links?“
„Fahr links ab. Wir kommen näher“, antwortete der Bauer, obgleich er den Weg nicht zu sehen vermochte.
Er wusste, welcher gemeint war. Er war ihn früher stets selbst gefahren, um einen guten Bruchteil Zeit zu gewinnen. Es ging weiter. Der Wald lichtete sich zur offenen Heide, zwischen der das Gleis schmal und holperig dahinführte, und schon senkte sich der Weg herab zum Dorf, als Balduin sich nochmals nach rückwärts wandte:
„Dort kommt einer geritten. Es muss der Feldbauer sein!“
Er war gewohnt, dem Blinden jede Begegnung zu melden, damit dieser die Begrüßung nicht verfehle.
Der Reiter, den er meinte, kam ihnen in scharfem Trab entgegen. Es war eine breite, nicht zu hohe, aber massige Gestalt, an welcher der nicht mehr zu junge Schimmel grad genug zu tragen hatte. Dicht vor ihnen hielt er mitten auf dem Weg das Pferd an, sodass auch Balduin zum Halten gezwungen war.
„Holla, wer ist das?“, rief er. „Das ist ja der Goliath mit dem Studenten, der in die weite Welt gegangen ist, weil ihn zu Haus niemand gern leiden mag! Fahrt seitwärts ab, damit anständige Leute vorüber können!“
„Ihr könnt uns eher ausweichen als wir Euch, Feldbauer“, meinte der Knecht. „Reitet ab!“
„Ich euch, Grünschnabel? Fällt mir nicht ein! Marsch auf die Seite, sonst helf ich nach!“
Als Balduin keine Miene machte, dem Gebot zu folgen, bekam der Schimmel die Sporen; der Reiter hielt im nächsten Augenblick neben dem Wagen und zog dem Knecht mit der Peitsche einen kräftigen Hieb über das Gesicht.
„So, Bursche, da hast, was du brauchst, um ein andermal zu wissen, wer Meister ist, du oder ich!“
„Was ist das, Feldbauer?“, fragte der Blinde. „Du wagst es, mein Gesinde zu schlagen! Könnt ich sehn, so wollte ich dir schon heimleuchten!“
„Du mir heimleuchten? Denkst vielleicht, ich fürchte mich vor dir? Da hast den Hieb grad so wie der Knecht!“
Der Feldbauer holte aus zum Schlag, kam aber nicht dazu. Mit einem gedankenschnellen Sprung war Frieder aus dem Wagen und griff dem Schimmel in die Nüstern, dass er vorn emporstieg, und zwar so kerzengrade, dass der Reiter zu Boden fiel. Sofort kniete der junge Mann auf diesem, entriss ihm die Peitsche und bearbeitete ihn damit, als habe er einen Schulknaben unter sich liegen.
„Frieder, Frieder, was machst du?“, rief der Blinde angstvoll, der nicht anders glaubte, als dass die hörbaren Schläge seinem Sohn galten.
„Ich lehr ihn Achtung vor dem Bachbauern, Vater. Hab keine Sorge um mich!“
Der Feldbauer strengte seine ganze Kraft an, sich emporzubäumen und den Gegner abzuwerfen; es gelang ihm nicht. Die tatendurstige Erbitterung, durch die Erzählung des Vaters in dem Herzen Frieders hervorgerufen, war infolge der Beleidigung zum Ausbruch getrieben worden. Der Jüngling hielt die Arme des Feindes unter den Knien fest, drückte ihm mit der Linken die Kehle wie zwischen einem Schraubstock zusammen und ließ mit den unaufhörlich niedersausenden Peitschenhieben nicht eher nach, als bis er fühlte, dass die Widerstandskraft des Feldbauern vollständig erlahmte.
„So, du hast genug und bist gezeichnet für lange Zeit! Ich will dich lehren, den Knecht zu schlagen und den Vater zu beschimpfen. Die Peitsche nehm ich mit, zum Zeichen, dass der Student, den niemand leiden mag, weit über den Feldbauern kommt, der der Liebling ist vom ganzen Dorf. Willst sie wiederhaben, so kannst sie vom Bachhof holen, nachher sollst sie bekommen, aber anders nicht!“
Er gab dem Schimmel einen Schlag, dass dieser laut wiehernd das Weite suchte, und sprang, ohne den Überwundenen eines weiteren Blicks zu würdigen, schnell in den Wagen, der seinen Weg unverzüglich fortsetzte.
„Frieder!“, stieß der Blinde vor Erstaunen hervor.
„Wunderst dich wohl, Vater? Der Feldbauer mag dir beinah gewachsen sein, mir aber nicht! Willst mich nun noch den Knirps heißen?“
„Nun sicher nicht! Ich hab dich vor mir geschaut immer nur grad so, wie du vor fünf Jahren gewesen bist, und es ist wahr, du bist gewachsen, Frieder.