»Besten Dank, Herr Nareike.«
Der Entlarvte dienerte schon wieder.
»Herr Pribke«, sagte Oberstaatsanwalt Dr. Frischmuth. »Ich eröffne Ihnen, daß gegen Sie ein Haftbefehl des Landgerichts Essen vorliegt.«
Es war, als streckte ihm der Delinquent die Hände hin, aber die Beamten verzichteten auf Handschellen.
»Denken Sie bitte an die tausend Arbeitsplätze bei Müller & Sohn«, verabschiedete Nareike die Beamten. »Wir sind ein exportabhängiges Unternehmen, und das Ausland kann auf solche Geschichten ja ganz schön allergisch reagieren.«
»Besten Dank für Ihre Hilfe«, sagte der Kommissar.
Brill ging wie geschoben, den Blick am Boden, Schritt für Schritt, als sei ihm schwindlig oder als hätte er das Laufen verlernt. Einen Moment lang fragte sich Nareike, ob er an Stelle seines Personalchefs besser ausgesehen hätte. Er goß sich mit Bedacht einen ganz großen »Rémy« ein und trank ihn mit Genuß aus. Ohnedies hatte er seinen Aktionsplan durch Alkohol ein wenig verwässert, um die letzte Durststrecke besser durchzustehen.
Erst jetzt erfaßte er, wie gut es war, daß er die Himmler-Kapseln nicht im Geschäftstresor, sondern im Privatsafe seiner Wohnung verwahrt und es nur in der ersten Panik vergessen hatte – aber Glück hatte auf die Dauer eben nur der Tüchtige.
»Sabine«, rief er und betrachtete die Eintretende zwei Sekunden zu lang. Dem Fiasko entgangen, wunderte sich Nareike, wie nahe alles nebeneinanderlag: Cyankali und Cognac, die reizlose Ehefrau und die aufreizende Blondine, die Dollarmillion und die Handschellen, das pompöse Chefbüro und die enge Zelle, und bald auch seine einzige Mitwisserin, sicher verwahrt an einem zwei Meter langen, einen Meter breiten und zwei Meter tiefen Ort, während er seinem Traum den Arm böte.
»Haben Sie mitbekommen, was sich hier abgespielt hat?« fragte er Sabine.
»Ist Herr Brill verhaftet worden?«
»Ja. Sehr unangenehm für unsere Firma. Ist der Senior im Haus?«
»Herr Müller ist weggefahren«, erwiderte sie. »Aber der Junior …«
»Nein, danke«, entgegnete Nareike, er wollte noch etwas hinzusetzen, versagte es sich aber. Ohnedies hatte er oft genug vor seinen Mitarbeitern dem Junior den »Vollbesitz geistiger Unfähigkeit« bescheinigt. »Also, Sabine, bitten Sie so rasch wie möglich unseren Pressemann, den Werbechef und den Syndikus Dr. Schneider zu mir und lassen Sie es mich sofort wissen, wenn der alte Müller wieder im Hause ist.«
Er sah ihr nach und schloß seine Bar. Er ging auf und ab, noch immer sehr erregt, doch auch zufrieden mit sich und dem Tag. Und eine Warnung, vorsichtig zu sein, konnte nicht schaden. Er schaltete das Radio ein, obwohl er sicher war, daß die Behörden die Verhaftung Pribkes noch eine Weile verschweigen würden. Bis sie eine dürftige Mitteilung herausgäben, hätte er mit Hilfe seiner Werbeabteilung den Zeitungen schon beigebracht, den Fall Pribke-Brill auf kleiner Flamme zu kochen, zumal er sie auch wissen ließe, welche anderen Firmen, Namen und Anzeigenkunden andernfalls noch mit in die Affäre verstrickt würden.
Plötzlich traf Nareike ein Name wie ein Fausthieb: »New York«, sagte der Nachrichten-Sprecher: »Wie UP in einer Blitzmeldung soeben bekannt gibt, hat der israelische Staatspräsident die Begnadigung des vom Bezirksgericht Jerusalem am 15. Februar 1961 zum Tode verurteilten SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann abgelehnt; seine Hinrichtung steht unmittelbar bevor. Der ehemalige Judenreferent im Reichssicherheitshauptamt war am 11. Mai 1960 vom israelischen Geheimdienst aus Argentinien entführt worden und später als Beauftragter der Endlösung der Judenfrage angeklagt …«
Nareike drehte das Radio ab. Eine Warnung zuviel, auch wenn sie ihn nichts anging. Er hatte nie etwas mit der Abteilung IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt zu tun gehabt – das war ein Zusammenspiel von Eckel, Dumbsky und diesem Eichmann gewesen, von diesen Armleuchtern, die ihm jeden Juden einzeln vorgerechnet hatten, der durch seine Initiative von ihren Transporten losgeeist worden war. Er gratulierte sich zu seinem riskanten Entschluß, Horst Linsenbusch amtlich sterben zu lassen, denn so lange an diesen Dingen immer wieder gerührt würde, stünde er zwangsläufig mit in der Schußlinie.
Nareike schwankte zwischen Angst und Triumph, und er war froh, als Dr. Schneider, gefolgt von den anderen, eintrat. Auf den ersten Blick sah er an ihren betretenen Gesichtern, daß sich der Fall Brill im Hause schon herumgesprochen haben mußte.
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