„Du brauchst ja die Leute nicht anzusehen“, sagte er, „sondern nur zu zeigen, daß du wirklich zwei Köpfe hast. Du kannst dabei ruhig dem Publikum von beiden Seiten den Rücken zuwenden.“
Aber einige dumme Leute, selbst wenn sie jetzt die zwei Köpfe sahen, behaupteten noch immer, der eine Kopf sei falsch. Und sie stachen nach dem armen Tier mit Stöcken, um herauszufinden, ob ein Teil von ihm ausgestopft sei. Als zwei Bauernlümmel es eines Tages wieder taten, wurde das Stoßmich-Ziehdich wütend und stieß die beiden Quälgeister mit beiden Köpfen zugleich heftig in die Beine. So erhielten sie den sicheren Beweis, daß es am ganzen Körper echt und lebendig war.
Sobald der Katzenfuttermann nicht mehr Herkules pflegen mußte und es seiner Frau überlassen konnte, übertrug der Doktor ihm die Wache beim Stoßmich-Ziehdich: er mußte versprechen, es nicht von dummen Besuchern belästigen zu lassen. Die ersten Tage waren für das arme Tier schrecklich gewesen. Aber als Jip ihm erzählte, wie viel Geld damit verdient wurde, beschloß es, um Johann Dolittles willen, weiter auszuhalten. Obgleich seine Achtung vor den Menschen immer mehr abnahm, gewöhnte es sich bald an die dummen Glotzaugen seiner Besucher und starrte aus seinen vier Augen mit furchtloser Überlegenheit und der Verachtung, die sie verdienten, auf sie zurück.
Während der Vorstellung saß der Doktor auf dem vorderen Podium, nahm die Sechsgroschenstücke entgegen und lächelte jeden Besucher an, als wäre er ein alter Freund von ihm, der zu ihm in sein eigenes Haus käme. Und tatsächlich traf er auf diese Weise viele gute Bekannte wieder: die alte Dame mit dem Reißen, den Pfarrer Jenkyns, und außerdem eine Menge Nachbarn aus Puddleby.
Die arme Dab-Dab hatte mehr zu tun als je. Zu ihrer Aufgabe, den Haushalt zu führen, kam noch hinzu, daß sie den Doktor stets im Auge behalten und oft ausschelten mußte, weil er, wenn sie nicht hinsah, die Kinder ohne Bezahlung hereinließ.
Am Ende eines jeden Tages kam Blossom, der Direktor, um das Geld zu teilen. Tuh-Tuh, die Rechenkünstlerin, war immer dabei, wenn zusammengezählt wurde, um aufzupassen, daß der Doktor auch seinen richtigen Anteil bekam.
Obgleich das Stoßmich-Ziehdich so beliebt war, wurde es dem Doktor bald klar, es würde eine ganze Weile dauern, bis er mit seinem neuen Beruf genug Geld verdient hätte, um dem Schiffer sein Boot zu bezahlen — ganz abgesehen von dem, was er für sich und den Unterhalt seiner Familie brauchte.
Dies tat ihm recht leid, denn es gab im Zirkusleben eine Menge Dinge, die ihm nicht gefielen, und er hätte den Zirkus gerne wieder verlassen. Seine eigene Schau war eine ehrliche Angelegenheit, aber sonst wurde viel betrogen, und dem Doktor, der jeden Betrug haßte, war es unangenehm, zu einem nicht ganz ehrlichen Unternehmen zu gehören.
Aber das, was den Doktor am meisten schmerzte, war die Verfassung, in der sich die Tiere befanden. In den meisten Fällen führten sie ein unglückliches Leben. Am Schluß seines ersten Zirkustages, nachdem die Besucher nach Hause gegangen waren und alle Zelte und Buden ruhig und verlassen dalagen, war er in die Menagerie zurückgekehrt und hatte dort mit den Tieren gesprochen. Fast alle hatten sich über etwas zu beklagen; ihre Käfige wurden nicht richtig sauber gehalten; sie hatten weder genug Bewegung noch Raum dazu, und einigen wurde Futter gegeben, das ihnen nicht schmeckte.
Der Doktor hörte sie alle an und entrüstete sich so sehr darüber, daß er sofort den Direktor in seinem Privatwagen aufsuchte und ihm offen alle die Dinge sagte, die seiner Meinung nach geändert werden mußten.
Blossom hörte geduldig zu und fing dann an zu lachen.
„Aber, Doktor!“, rief er, „wenn ich das alles tun sollte, was Sie von mir verlangen, könnte ich ebensogut die ganze Geschichte aufgeben. Ich wäre dann nämlich sowieso ruiniert. Was, die Pferde pensionieren? Das Hurri-Gurri in seine Heimat zurückschicken? Die Leute dazu anhalten, den ganzen Tag die Käfige zu putzen? Besondre Nahrung kaufen? Die Tiere täglich spazieren führen, als ob sie im Mädchenpensionat wären? Mann Gottes, Sie sind verrückt! Sie verstehen sicherlich nichts von diesem Geschäft — nicht wahr? Ich habe Ihnen in allem nachgegeben, was Sie für sich und Ihre Truppe verlangt haben. Ich lasse Sie Ihre Vorstellungen auf Ihre Weise machen, aber im übrigen habe ich hier zu bestimmen. Verstanden? Ich wünsche keinerlei Einmischung. Schlimm genug, daß der starke Mann auf der Krankenliste steht. Ich habe keine Lust, wegen Ihrer Sonntagsschulideen Bankerott zu machen, und damit basta.“
Traurig verließ der Doktor das Zelt und ging zu seinem Wagen hinüber. Auf den Stufen saß der Katzenfuttermann und rauchte seine Abendpfeife. Neben ihm nagte Beppo, das alte Pferd, im Mondschein das magere Gras der Einfriedung ab.
„Schöner Abend heute Morgen“, sagte Matthäus. „Sehen etwas verärgert aus, Doktor, stimmt was nich?“
„Ja“, sagte Johann Dolittle und setzte sich traurig auf die Stufe über ihm. „Nichts stimmt. Ich habe soeben Blossom gebeten, ein paar Verbesserungen in seinem Zirkus einzuführen, aber er will nichts davon hören. Ich glaube, ich verlasse den Zirkus wieder.“
„Immer mit die Ruhe, Doktor“, sagte Matthäus. „Sie haben ja kaum angefangen. Blossom weiß noch nich einmal, daß Sie die Tiersprache sprechen können. Zirkusse brauchen nich so schlimm zu sein. Sie wären der Mann, der einen neuen Zirkus leiten könnte. Einen saubern, ehrlichen, ganz besonderen Zirkus, den sich kein Mensch nich ungern ansehen würde, aber zuerst müssen Sie das Geld zusammenbekommen. Geben Sie nich so leicht alles wieder auf.“
Doch der Doktor blieb sehr niedergeschlagen. Er meinte, er könne hier doch nichts nützen und auch nicht bleiben und das Unglück der Tiere mit ansehen. Er hätte sich nie auf einen solchen Handel einlassen sollen.
In diesem Augenblick kam das alte Pferd Beppo, da es die Stimme seines Freundes erkannt hatte, näher heran und rieb sein Maul zärtlich an des Doktors Ohr.
„Hallo“, rief Johann Dolittle, „Beppo, ich fürchte, ich werde dir nicht helfen können. Es tut mir leid, ich verlasse den Zirkus.“
„Aber Doktor“, sagte das alte Pferd, „Sie sind unsre einzige Hoffnung. Grade heute habe ich gehört, wie der Elefant und das sprechende Pferd — das Pony, das bei der großen Aufführung mitwirkt — sich über Ihre Ankunft freuten. Haben Sie doch etwas Geduld. Man kann nicht alles in einer Minute ändern. Wenn Sie uns verlassen, werden unsre Wünsche nie erfüllt werden. Aber, wenn Sie dableiben, wissen wir, daß Sie binnen kurzem den Zirkus auf die richtige Weise leiten werden. Solange Sie da sind, haben wir keine Angst. Nur bleiben müssen Sie. Achten Sie darauf, was ich Ihnen sage: Der Tag wird kommen, wo der neue Zirkus, der Dolittle-Zirkus, der größte der Erde sein wird.“
Der Doktor schwieg einen Augenblick, und Matthäus, der die Unterhaltung mit dem Pferd nicht verstand, wartete ungeduldig auf das, was der Doktor beschließen würde.
Endlich erhob sich Johann Dolittle und wandte sich zum Wagen.
„Sie bleiben doch?“ fragte der Katzenfuttermann ängstlich.
„Ja, Matthäus“, sagte der Doktor, „ich muß ja wohl. Gute Nacht.“
Ende der Woche war der Grimbledoner Jahrmarkt vorüber und der Zirkus zog in die nächste Stadt. Es war eine schwere Arbeit, den großen Zirkus und all die kleinen Buden und Zelte für eine lange Reise auf der Landstraße zusammenzupacken, und den ganzen Sonntag ging es auf der Zirkuswiese sehr geschäftig zu. Große und kleine Zelte wurden abgebaut und zusammengerollt, Stände auseinandergenommen und in Wagen verpackt. Der große Platz, der so bunt und fröhlich ausgesehen hatte, lag bald traurig und unordentlich da. Für die Tiere des Doktors war das alles neu, und obgleich Dab-Dab von der allgemeinen Unruhe des Packens mitergriffen wurde, freuten sich die andern an der Aufregung und dem Neuartigen dieses Aufbruches.
Es belustigte sie aufs höchste, zu beobachten, wie sich die Zirkusleute veränderten, wenn sie ihre Bühnenkostüme ablegten und sich für die Reise anzogen. Göb-Göb war ganz verwirrt, denn es erkannte niemanden wieder. Der Clown rieb sich die Schminke vom Gesicht, Prinzeß Fatima legte ihre herrlichen Gewänder ab und sah wie eine achtbare, sonntäglich gekleidete