Der Untertan. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783962818234
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schon so weit ist, dass es auf die Ge­nies ver­zich­ten kann? Bei­des wäre Ro­man­tik, und Ro­man­tik führt be­kannt­lich zum Ban­ke­rott.« Buck trank zwei Ko­gnaks nach­ein­an­der.

      »Was soll ich also wer­den?«

      »Ein Al­ko­ho­li­ker«, dach­te Die­de­rich. Er frag­te sich, ob es nicht sei­ne Pf­licht sei, Buck einen Krach zu ma­chen. Aber Buck trug Uni­form! Auch wür­de der Lärm viel­leicht Ag­nes her­vor­ge­scheucht ha­ben, und was konn­te dann al­les ent­ste­hen! Im­mer­hin be­schloss er, sich Bucks Äu­ße­run­gen ge­nau zu mer­ken. Dach­te der Mensch mit sol­chen Ge­sin­nun­gen Kar­rie­re zu ma­chen? Die­de­rich er­in­ner­te sich, dass auf der Schu­le Bucks deut­sche Auf­sät­ze, die zu geist­reich wa­ren, ihm ein un­er­klär­tes, aber tie­fes Miss­trau­en ein­ge­ge­ben hat­ten. »Stimmt«, dach­te er, »so ist er ge­blie­ben. Ein Schön­geist. Die gan­ze Fa­mi­lie ist so.« Die Frau des al­ten Buck war eine Jü­din ge­we­sen, die Thea­ter ge­spielt hat­te. Und Die­de­rich fühl­te sich nach­träg­lich ge­de­mü­tigt durch das her­ab­las­sen­de Wohl­wol­len des al­ten Buck beim Be­gräb­nis sei­nes Va­ters. Auch der jun­ge de­mü­tig­te ihn, fort­wäh­rend und mit al­lem: mit sei­nen über­le­ge­nen Re­dens­ar­ten, sei­nen Ma­nie­ren, sei­nem Ver­kehr bei den Of­fi­zie­ren. War er ein Herr von Bar­nim? Er war auch nur aus Net­zig. »Ich has­se die gan­ze Fa­mi­lie!« Und Die­de­rich be­trach­te­te aus ge­knif­fe­nen Li­dern dies flei­schi­ge Ge­sicht mit der weich ge­bo­ge­nen Nase und den feucht glän­zen­den Au­gen, die san­nen. Buck stand auf. »Nun, wir se­hen uns zu Hau­se wie­der. Nächs­tes oder über­nächs­tes Se­mes­ter ma­che ich mein Ex­amen, und was bleibt dann wei­ter üb­rig, als Rechts­an­walt spie­len in Net­zig … Und Sie?« frag­te er. Die­de­rich er­klär­te streng, dass er sei­ne Zeit nicht zu ver­lie­ren und noch im Som­mer sei­ne Dok­tor­ar­beit ab­zu­schlie­ßen den­ke. Da­mit führ­te er Buck hin­aus. »Ein dum­mer Kerl bist du doch nur«, dach­te er. »Merkst gar nicht, dass ich ein Mäd­chen bei mir habe.« Er kehr­te zu­rück, froh sei­ner Über­le­gen­heit über Buck und auch über Ag­nes, die im Dun­keln ge­war­tet und nicht ge­muckt hat­te.

      Wie er aber die Tür öff­ne­te, hing sie über ei­nem Stuhl, ihre Brust ging hef­tig, und mit dem Ta­schen­tuch un­ter­drück­te sie das Keu­chen. Sie sah ihm ent­ge­gen, aus ge­röte­ten Au­gen. Er sah: sie war da drin­nen fast er­stickt, und sie hat­te ge­weint – in­des er hier drau­ßen ge­trun­ken und un­nüt­zes Zeug ge­re­det hat­te. Sei­ne ers­te Re­gung war maß­lo­se Reue. Sie lieb­te ihn! Da saß sie und lieb­te ihn so sehr, dass sie al­les er­trug! Er war im Be­griff, die Arme zu er­he­ben, vor sie hin­zu­stür­zen und sie wei­nend um Ver­zei­hung zu bit­ten. Recht­zei­tig hielt er sich zu­rück, aus Furcht vor der Sze­ne und der sen­ti­men­ta­len Stim­mung nach­her, die ihn wie­der meh­re­re Ar­beits­ta­ge kos­te­te und ihr die Ober­hand gab. Er tat ihr nicht den Wil­len! Denn na­tür­lich über­trieb sie ab­sicht­lich. So küss­te er sie flüch­tig auf die Stirn und sag­te: »Du bist schon da? Ich hab’ dich gar nicht kom­men ge­se­hen.« Sie zuck­te auf, wie um et­was zu er­wi­dern, aber sie schwieg. Da­rauf er­klär­te er, es sei ge­ra­de je­mand fort­ge­gan­gen. »So ein Ju­den­ben­gel, der sich auf­spielt! Ein­fach ekel­haft!« Die­de­rich lief im Zim­mer um­her. Um Ag­nes nicht an­se­hen zu müs­sen, lief er im­mer schnel­ler und re­de­te im­mer hef­ti­ger. »Das sind un­se­re schlimms­ten Fein­de! Die mit ih­rer so­ge­nann­ten fei­nen Bil­dung, die al­les an­tas­ten, was uns Deut­schen hei­lig ist! Solch ein Ju­den­ben­gel kann froh sein, dass wir ihn dul­den. Soll er sei­ne Pan­dek­ten büf­feln und die Schnau­ze hal­ten. Auf sei­ne schön­geis­ti­gen Schmö­ker hus­te ich!« schrie er noch lau­ter, mit der Ab­sicht, auch Ag­nes zu krän­ken. Da sie nicht ant­wor­te­te, nahm er einen neu­en An­lauf. »Das kommt aber al­les, weil je­der mich jetzt zu Hau­se fin­det. Im­mer muss ich dei­net­we­gen auf der Bude hocken!«

      Ag­nes sag­te schüch­tern: »Wir ha­ben uns schon sechs Tage nicht ge­se­hen. Sonn­tag bist du wie­der nicht ge­kom­men. Ich fürch­te, du hast mich nicht mehr lieb.« Er blieb vor ihr ste­hen. Von oben her­ab: »Mein lie­bes Kind, dass ich dich lieb­ha­be, brauch’ ich dir wohl wirk­lich nicht mehr zu ver­si­chern. Aber eine an­de­re Fra­ge ist es, ob ich dar­um auch Lust habe, je­den Sonn­tag dei­nen Tan­ten beim Hä­keln zu­zu­se­hen und mit dei­nem Va­ter über Po­li­tik zu re­den, wo­von er nichts ver­steht.« Ag­nes senk­te den Kopf. »Frü­her war es so schön. Du stan­dest dich schon so gut mit Papa.« Die­de­rich dreh­te ihr den Rücken zu und sah aus dem Fens­ter. Das war es eben: er fürch­te­te zu gut zu ste­hen mit Herrn Göp­pel. Durch sei­nen Buch­hal­ter, den al­ten Söt­bier, wuss­te er, dass Göp­pels Ge­schäft bergab ging. Sei­ne Zel­lu­lo­se taug­te nichts mehr, Söt­bier be­zog sie nicht mehr von ihm. Da wäre ein Schwie­ger­sohn wie Die­de­rich ihm frei­lich ge­le­gen ge­kom­men. Die­de­rich fühl­te sich um­garnt von die­sen Leu­ten. Auch von Ag­nes! Er hat­te sie im Ver­dacht, mit dem Al­ten zu­sam­men­zu­ste­cken. Ent­rüs­tet wand­te er sich ihr wie­der zu. »Und dann, lie­bes Kind, ehr­lich ge­stan­den: was wir bei­de tun, nicht wahr, das ist un­se­re Sa­che, aber dei­nen Va­ter las­sen wir lie­ber aus dem Spiel. Be­zie­hun­gen wie die un­se­ren soll man mit Fa­mi­li­en­freund­schaft nicht ver­qui­cken. Mein sitt­li­ches Ge­fühl ver­langt da rein­li­che Schei­dung.«

      Ein Au­gen­blick ver­ging, dann stand Ag­nes auf, als habe sie jetzt be­grif­fen. Sie war tief er­rö­tet. Sie ging zur Tür. Die­de­rich hol­te sie ein. »Aber Ag­nes, so hab’ ich es doch nicht ge­meint. Es war doch nur, weil ich dich viel zu sehr ach­te – Und ich kann ja auch wie­der­kom­men Sonn­tag.« Sie ließ ihn re­den, mit un­be­weg­ter Mie­ne. »Nun sei doch wie­der ge­müt­lich«, bat er. »Du hast noch nicht mal dei­nen Hut ab­ge­nom­men.« Sie tat es. Er ver­lang­te, sie sol­le sich auf den Di­wan set­zen, und sie setz­te sich. Sie küss­te ihn auch, wie er es woll­te. Aber in­des ihre Lip­pen lä­chel­ten und küss­ten, blie­ben ihre Au­gen starr und un­be­tei­ligt. Plötz­lich riss sie ihn in ihre Arme: er er­schrak, er wuss­te nicht, ob es Hass war. Aber dann fühl­te er sich hei­ßer ge­liebt als je.

      »Heu­te war es aber wirk­lich schön. Was, mei­ne klei­ne süße Ag­nes?« sag­te Die­de­rich, zu­frie­den und gut­mü­tig.

      »Adieu«, sag­te sie, has­tend nach Schirm und Beu­tel, wäh­rend er sich erst an­klei­de­te.

      »Du hast es aber ei­lig.« – »Wei­ter kann ich wohl nichts für dich tun.« Sie war schon bei der Tür – plötz­lich fiel sie mit der Schul­ter ge­gen den Pfos­ten und rühr­te sich nicht mehr. »Was ist denn los?« Wie Die­de­rich nä­her kam, sah er sie schluch­zen. Er be­rühr­te sie. »Ja, was hast du denn?« Da ward ihr Wei­nen laut und krampf­haft. Es hör­te nicht auf. »Aber Ag­nes«, sag­te Die­de­rich von Zeit zu Zeit, »was ist auf ein­mal ge­sche­hen, wir wa­ren doch so ver­gnügt.« Und ganz rat­los: »Hab’ ich dir was ge­tan?« Zwi­schen den Kri­sen und halb er­stickt, brach­te sie her­vor: »Ich kann nicht. Ent­schul­di­ge.« Er trug sie auf den Di­wan. Als es end­lich vor­bei war, schäm­te Ag­nes sich. »Ver­zeih! Ich kann nicht da­für.« – »Kann denn ich da­für?« – »Nein, nein. Es sind die Ner­ven. Ver­zeih!«

      Mit­lei­dig und ge­dul­dig brach­te er sie bis zu ei­nem Wa­gen. Nach­träg­lich aber er­schi­en ihm auch der An­fall als hal­be Ko­mö­die und als eins der Mit­tel, die ihn end­gül­tig ein­fan­gen soll­ten. Das Ge­fühl ver­ließ ihn nicht mehr, dass Rän­ke ge­spon­nen wur­den ge­gen sei­ne Frei­heit und sei­ne Zu­kunft. Er wehr­te sich da­ge­gen ver­mit­tels schrof­fen Auf­tre­tens, Be­to­nung sei­ner männ­li­chen Selbst­stän­dig­keit und durch