Therkelsen lachte höhnisch. »Die Mehrzahl. Von der Bande sind wirklich nicht mehr genug übrig, dass man von einer Mehrzahl reden könnte.«
»Aber sie kontrollieren immer noch die Hälfte oder zumindest ein Drittel des Rauschgifthandels in der Stadt«, sagte Bøjsen.
»Vielleicht«, sagte Therkelsen. »Es sei denn, sie haben an Einfluss verloren, jetzt, wo der König weg ist. Er war das Gehirn der Bande. Der Organisator. Ich glaube nicht, dass der Prinz im Stande gewesen wäre, das Erbe anzutreten. Wie dem auch sei, wir sollten sehen, dass wir weiterkommen. Wir müssen den Schuppen da durchsuchen. Es deutet nichts darauf hin, dass der Mörder im Haus gewesen ist, jedenfalls nicht heute Nacht, und es dürfte auf jeden Fall vergeblich sein, nach Fingerabdrücken zu suchen. Die ganze Bande ist hier schließlich ein und aus gegangen.«
Er sah sich das Schlüsselbund an, das er in der Tasche des Prinzen gefunden hatte. »Der müsste es sein«, sagte er, indem er einen der Schlüssel ins Schloss steckte. Er drehte ihn herum, öffnete zufrieden die Tür und trat in die Diele. Im selben Moment schlug mit einem infernalischen Krach die Alarmanlage an.
»Ach, du meine Güte, weiß denn niemand, wie man die ausschaltet?«
Bøjsen lachte und kurz darauf war die Alarmanlage aus. Der Krach hörte auf und plötzlich war es sehr still.
»Ich hoffe, da drinnen sind nicht noch mehr von der Sorte«, sagte Therkelsen, während er die Tür zum Wohnzimmer öffnete.
Sie sahen sich um. Das Wohnzimmer war groß. Wahrscheinlich waren hier früher einmal drei kleine Räume gewesen, die zu einem großen zusammengelegt worden waren. Es sah so aus, als hätte irgendwann einmal jemand Arbeit und Geld in eine Renovierung gesteckt. Die Thermofenster waren neu. Böden und Türen waren abgeschliffen worden.
Doch jetzt wirkte das Ganze verwohnt und vernachlässigt, auch wenn es nicht mehr als eines gewaltigen Arbeitseinsatzes bedurft hätte, um alles wieder auf Vordermann zu bringen. Überall lag dichter Staub und nicht eine blühende Blume oder Grünpflanze war zu sehen. An den Wänden hingen Plakate, vorzugsweise von Motorrädern und Mädchen. An dem einen Ende des Wohnzimmers befand sich ein großer gemauerter Kamin, vor dem eine Sofagruppe aus Büffelleder prangte. Am anderen Ende gab es einen geräumigen Barschrank, einen Stereoturm und zwei bequeme Stühle, vor denen ein Videogerät und ein Fernseher thronten. Neben einem der Stühle standen etwa zehn leere Bierflaschen und auf einem kleinen Tisch zwischen den Stühlen waren Aschenbecher deponiert, die von Asche und Kippen überquollen, sowie ein paar leere Colaflaschen. Unter und auf dem Tisch lagen mehrere Videokassetten.
»Hier hat er also gelebt«, stellte Therkelsen fest.
»Meine Güte«, sagte Winther mitleidig und schüttelte den Kopf.
»Ihr könnt hier anfangen«, sagte Therkelsen zu Bøjsen und Lyngsø. »Wir sehen uns ein bisschen in den übrigen Räumen um.«
Die Küche sah noch schlimmer aus als das Wohnzimmer. Auch sie war einmal teuer und schön gewesen, ähnelte jetzt aber einer Müllhalde. Sie quoll über von leeren Flaschen und Plastikkartons mit Essensresten. Im Windfang stand ein stinkender Müllsack mit leeren Dosen Hundefutter.
Sie sahen sich den Kühlschrank genauer an, doch weder in den Eiswürfelbehältern noch an anderen Stellen war etwas versteckt.
Sie gingen in den Flur, von dem aus eine Treppe ins Obergeschoss führte.
Therkelsen öffnete den Schrank unter der Treppe und stieß einen Pfiff aus.
»Das dürfte ihr Arsenal sein«, sagte er. »Das sollten wir uns einmal genauer vornehmen.«
Oben gab es vier kleinere Räume und ein großes Schlafzimmer. Die Zimmer dienten offenbar als Mannschaftsunterkünfte. In jedem Raum gab es eine Koje, einen einfachen Stuhl und einen Schrank. Das Schlafzimmer war mit einem großen Wasserbett ausgestattet. Das Bett war ungemacht und musste dringend neu bezogen werden. Es roch säuerlich in dem Raum. Auch hier gab es einen Videorekorder und einen Fernseher. Und auch hier war der Boden mit leeren Bierflaschen, Illustrierten und Videokassetten übersät.
Therkelsen sah sich um. »Ich habe mich geirrt«, sagte er. »Er hat nicht sein ganzes Leben dort unten verbracht, sondern nur die eine Hälfte. Die andere Hälfte hat er ganz offensichtlich hier zugebracht.«
In der Nähe des Fensters stand ein Schreibtisch. Therkelsen zog die Schubladen eine nach der anderen heraus.
»Das müssen wir durchsehen. Nehmt alles mit ins Präsidium.«
»Du siehst aus, als suchtest du nach etwas Bestimmtem«, sagte Winther.
»Das tue ich auch«, sagte Therkelsen und ließ den Blick von Wand zu Wand schweifen.
»Nach einem Safe«, schlug Winther vor und Therkelsen nickte.
»Unten war keiner, aber es muss einen Safe geben. Er muss hier irgendwo sein.«
Er ging zu einem Bild und nahm es von der Wand. Eine Malerei von Dünen in der Abendsonne. Auf der Tapete war ein heller Fleck und eine Spinnwebe wehte leicht, als er das Bild abnahm, doch dahinter befand sich kein eingebauter Safe. Ein Bild mit Fischerbooten am Strand erbrachte das gleiche magere Resultat und mit einem dritten, das Kühe auf einer Weide zeigte, hatten sie auch kein Glück.
»Offenbar hat er in Kunst investiert«, bemerkte Therkelsen trocken.
»Hinter dem Fernseher?«, schlug Winther vor.
»Verdammt ärgerlich, wenn man jedes Mal das Regal wegrücken muss, bevor man an den Safe kann.«
Er sah sich das Regal genauer an. Dann nestelte er an der Rückseite herum und versetzte dem Regal einen Stoß.
»Das fährt auf Schienen«, lachte er.
»Ziemlich clever!«, sagte Winther.
»Da ist er«, rief Therkelsen. »Ich wusste doch, dass er hier irgendwo sein muss.«
»Er hat ein Zahlenschloss«, sagte Winther.
»Versuch es mit seinem Geburtstag«, sagte Therkelsen. »Oder vielleicht besser mit dem des Königs. Vermutlich hat der den Safe installieren lassen. Wenn das auch nichts bringt, müsst ihr den Hersteller anrufen.«
Er sah auf die Uhr. »Lass Bøjsen oder Lyngsø zuerst nach Fingerabdrücken sehen, bevor du anfängst. Ich überlasse euch das hier. Bach müsste jeden Moment auftauchen. Er war bei den Nachbarn. Larsen und Jønsson versuchen, die übrigen Bandenmitglieder aufzustöbern. Besonders Brian und Martin sollten wir uns etwas genauer ansehen. Die anderen sind bloß Fußvolk.«
»Und was ist mit dir?«, fragte Winther. »Fährst du nach Hause und hältst deinen Schönheitsschlaf?«
»Den brauche ich nicht. Nein, ich fahre zu seiner Mutter und rede mit ihr. Die Familie muss schließlich unterrichtet werden, bevor die Presse Wind von der Sache bekommt, und vielleicht kann sie uns etwas Interessantes erzählen. Anschließend fahre ich zurück ins Präsidium. Wir sehen uns dort, wenn ihr hier fertig seid. Ich hoffe, dass keiner von euch heute Abend Hochzeit oder einen runden Geburtstag feiern will. Wenn doch, müsst ihr das verschieben.«
5
Høyer summte eine kleine Melodie aus der Zauberflöte, während er eine Runde durch den Garten drehte. Es hörte sich furchtbar an. Sein tiefer, klangvoller Bass passte zu dem fröhlichen Thema wie Holzschuhe zu einem Balletttänzer. Doch Høyer war das gleichgültig. Er war glänzender Laune, während er durch den Garten stiefelte und darauf wartete, dass Rigmor von der Arbeit nach Hause kam.
Nicht dass der Garten Grund zur Heiterkeit bot. Schneeglöckchen, Krokusse und Wintersterne waren längst verblüht, und die frühen Tulpen, die vor ein paar Tagen kurz vor dem Ausschlagen gewesen waren, hatten nach den letzten Nachtfrösten beleidigt die Kronblätter eingezogen. Nicht einmal die Mittagssonne, die plötzlich hinter den Wolken aufgetaucht war, hatte auch nur ein flüchtiges Lächeln bei ihnen hervorrufen können. Doch