»Sag mal, bist du mit Carina glücklich?«, fragte ich eine halbe Stunde später.
»Fang nicht wieder damit an. Ich weiß, du kannst sie nicht leiden.«
»Stimmt doch gar nicht.« Stimmte doch. Ich konnte sie nicht ausstehen. Ein zickiges Püppchen mit so viel Tiefgang wie ein Waschbecken. Ich würde nie verstehen, was André an ihr fand. Wahrscheinlich hatte sie ganz besondere Fähigkeiten im Schlafzimmer. Anders konnte ich mir das nicht erklären.
Mein Bruder zündete sich eine Zigarette an und versuchte, mir im Eilverfahren zu erklären, was für eine monogame Beziehung sprach. Als müsste er seine Verbindung mit ihr vor sich selbst rechtfertigen und schönreden. Er gestikulierte wild mit den Händen herum. Das machte er immer, wenn er nervös war. Alle paar Sekunden nahm er seine Brille ab, klappte sie zusammen, nur um sie gleich wieder aufzusetzen, bevor er sich erschöpft über seine kurzen Haare fuhr.
»Ich wollte doch nur wissen, ob sie wirklich die Eine ist. Ja, ich gebe zu, ich kann mit ihr nicht sonderlich viel anfangen. Ich finde sie langweilig und verstehe nicht, was euch verbindet. Aber wenn sie die Richtige für dich ist, dann ist sie es auch für mich.«
»Danke, Kleines«, hauchte André erleichtert und stupste mich an der Schulter an. Doch ich konnte es in seinem Hirn rattern hören. Ich war bestimmt nicht die Erste, die ihn das gefragt hatte. Soweit ich von seinen Kollegen wusste, konnte niemand Carina leiden. Ficken würde sie wohl jeder. Sie war schlank, hatte große Brüste und lange blonde Haare, unecht, da war ich ganz sicher. Sie hatte ein nettes, aber für mich nichtssagendes, Gesicht und sobald sie den Mund aufmachte, kamen nur banale Worthülsen heraus. Wirklich langweilig und uninteressant. Und ein richtiges Mädchen. Zickig, eifersüchtig, mit beschränktem Horizont. Für meinen Bruder würde ich mir definitiv etwas anderes wünschen.
Als er mir im letzten November erzählt hatte, dass er ihr einen Antrag gemacht hatte, hatte ich mir Meinen Glückwunsch regelrecht rauswürgen müssen. Aber was soll’s. Er urteilte nicht über meinen Lebensstil, er versuchte es zumindest, also würde ich Carina akzeptieren. Irgendwie.
Unser Abend endete wie so viele zuvor. Wir legten uns einen Film mit Arnold Schwarzenegger in den DVD-Player und sahen zu, wie er mal wieder die Welt rettete und dabei eine halbe Stadt in Schutt und Asche legte. Gegen Mitternacht schmiss ich André raus und legte mich hin. Ich dachte über ihn und Carina nach.
Monogam leben. Nein, das ist keine Option für mich. Ich bin kein Flittchen, aber ich mag die Abwechslung und will mich nicht festlegen. Monogam ist für mich monoton. Ich erlebe lieber Abenteuer oder zumindest stelle ich sie mir momentan gern vor. Was Hendrik wohl darunter trägt? Ich wette, nichts. Das ist heiß und spart Zeit.
2
»Hey, ich hab mich mal umgehört, die Erde da hinterm Busch möchte Bekanntschaft mit uns machen.« Mein Blick sagte alles. Dieser Anmachsrpuch gehörte eindeutig in die Kategorie – schräg und seltsam –, und doch drehte ich mich schmunzelnd zur Seite und starrte das Gestrüpp zu unserer Rechten an. Ich hörte es regelrecht nach uns rufen. Beinah schon flehend wisperte es mir zu. Ich griff nach Hendriks Hand und zerrte ihn hinter mir her.
»Na, dann wollen wir es nicht länger warten lassen. Wenn es so erpicht auf unsere Gesellschaft ist«, sagte ich neckisch und verschwand samt Hendrik hinter dem Strauch. Der Boden sah tatsächlich sehr einladen aus, saftiges grünes Gras empfing uns. Ich legte meine Hände auf Hendriks Schultern und drückte ihn hinunter auf die Knie. Mit meinem Zeigefinger umspielte ich sein Kinn, hob seinen Kopf und blickte auf ihn hinab. Er starrte erwartungsvoll zu mir hinauf, begierig darauf, meine Wünsche zu erfüllen.
»Zieh mir meinen Slip aus«, forderte ich und machte demonstrativ die Beine breit. Er zuckte mit dem Mundwinkel. Die Augen glühten förmlich. Seine Hände schoben sich ganz vorsichtig meine Beine hinauf, unter den Rock meiner Uniform, langsam wandernd meinem Slip entgegen. Als sich seine kalten, fast eisigen Fingerspitzen unter den Stoff meines Höschens schoben, kribbelte es mir die Wirbelsäule hinunter bis hin zu den Zehenspitzen. Ich beugte mich leicht zu ihm, griff nach seiner Krawatte und wickelte sie spielerisch um meine Hand. Dann zog ich sie fest und seinen Kopf somit dichter an meine Schenkel heran. Ich konnte seinen Atem auf der Haut spüren, so dicht war er mir.
»Jetzt leck mich«, befahl ich, den Stoff noch immer fest in meiner Handfläche. Er gehorchte. Seine Hände ruhten auf meinem Hintern, während er sein Gesicht zwischen meinen Schenkeln vergrub und begierig an mir saugte. Es war gut, wirklich gut. Doch es reichte mir nicht.
»Jetzt schieb einen Finger in mich.« Ohne mit seinem Zungenspiel aufzuhören, tat er, was ich verlangte, und glitt in mich hinein. Ich stieß ein erregtes Stöhnen aus, als er ...
»Verdammter Mist! Ich war fast so weit.« Verärgert und gleichermaßen erregt schlug ich die Bettdecke auf. Ich schaute giftig zu meinem Wecker hinüber, der nichtsahnend seine Pflicht tat und vor sich hin pfiff. Er konnte ja nicht ahnen, in welch berauschenden Gefilden ich gerade unterwegs gewesen war. Ich drückte wie üblich die Schlummertaste, doch nicht um mich noch mal umzudrehen. Nein, diesmal hatte ich andere Pläne. Ich griff in die Schublade meines Nachtschranks und holte meine elektrische Zahnbürste heraus. Ja, Zahnbürste. Ich habe diverse Vibratoren und Massagegeräte ausprobiert, doch keins konnte mit meinem zweckentfremdeten Lieblingsspielzeug mithalten. Einziger Nachteil: Das Ding ist laut.
Ich zog mir meinen feuchten Slip aus, legte die Bürste auf die Matratze und setzte mich drauf. Als das Vibrieren, schon beinah ohrenbetäubend, einsetzte, spann ich in Gedanken meinen Traum weiter. Ich stellte mir vor, wie Hendrik jetzt unter mir liegen und ungezügelt meine Bedürfnisse befriedigen würde. Wie er bei jedem Fingerschnippen meinen Anweisungen Folge leisten würde, immer darauf bedacht, meinen Wünschen zu entsprechen. Ich dämpfte das Surren mit meiner Bettdecke und rutschte mit meiner Klitoris auf dem zuckenden Bürstenkopf hin und her. Ich umklammerte meine Brüste und tat so, als wären es Hendriks Hände und seine Finger, die an meinen Brustwarzen spielten, seine Zunge, die mich leckte, sein Körper unter mir. Einzig und allein dafür da, um mir körperliche Freuden zu bereiten. Mit diesem Gedanken verharrte ich, bis ich Erlösung fand.
Ich kam recht schnell zum Höhepunkt. Meine Zahnbürste und ich waren ein eingespieltes Team. Und auch wenn die begleitenden Bilder meine Fantasie deutlich beflügelt hatten, so fühlte ich mich dennoch irgendwie unbefriedigt. Mit sich selbst war es eben doch nicht dasselbe. Das hatte ich schon immer so empfunden. Es hatte für mich stets etwas Mechanisches an sich. So eine Art Druckventil, das man bei Gelegenheit schnell mal öffnen konnte. Nicht sonderlich erotisch. Körperlich befriedigend ja, geistig nicht. Mein Schambereich zuckte noch immer. Gedanklich war ich nicht fertig. Ich wollte mehr. Viel mehr.
***
Anfang März waren Christian und Hendrik bereits gut im Team angekommen und der Betrieb lief wieder, wie er sollte. Endlich hatten wir nach getaner Arbeit die Zeit, und vor allem die Kraft, auf der Terrasse gemeinsam unser Feierabendbier zu genießen. Heute lernten wir Ole kennen, Christians Freund und Lebenspartner. Sympathisch, etwas schrill und im Vergleich zu Christian deutlich extrovertierter. Er hatte eine ziemlich laute Lache und blaue Augen. Wie er mir erzählte, habe er einen Hut-Tick und sei ein leidenschaftlicher Sammler. Er trug eine Glatze, wobei das wohl eher am Mangel an Haaren lag als an einer modischen Entscheidung. Dafür hatte er entlang des Kiefers einen sehr stilvoll rasierten Bart. Alles in allem war er ein sehr ansehnlicher Mann. Passenderweise arbeitet Ole in einer Bar. Das erklärte auch, warum Christian mit Vorliebe die Nachtschicht übernahm. So hatten sie mit Glück beide gleichzeitig Feierabend. Es wäre unmöglich, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht in der Gastronomie arbeitete, sagten beide. Außerhalb würde keiner Verständnis für die undankbaren Arbeitszeiten haben. Ich gab ihnen recht. Nicht, dass es mich interessierte, was meine Affären über meine Arbeitszeiten dachten, aber wenn man fast immer bis spät in die Nacht arbeitete, konnte einem das schon mal in die Quere kommen.
»Nein, ehrlich, Ole, Christian läuft hier wirklich gut an. Vor allem die Damenwelt ist sehr angetan«, sagte Marlon.
»Das überrascht mich nicht. Schwule sind immer ein Frauenmagnet. Das ist überall so«, erwiderte Ole und küsste seinen Freund. Wir lachten und flachsten die halbe Nacht.