Sternstunden der Menschheit. Stefan Zweig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefan Zweig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726614695
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Bergwerk bahnen die ersten der Truppe den andern durch das Dickicht einen schmalen Stollen, den dann Mann hinter Mann in endlos langer Reihe die Armee des Konquistadoren durchschreitet, ständig die Waffen zur Hand, immer, Tag und Nacht, die Sinne wachsam gespannt, um einen plötzlichen Überfall der Eingeborenen abzuwehren. Erstickend wird in der schwülen dunstigen Dunkelheit der feuchtgewölbten Baumriesen, über denen mitleidlose Sonne brennt, die Hitze. Schweißbedeckt und mit verdurstenden Lippen schleppt sich in ihren schweren Rüstungen die Truppe Meile um Meile weiter; dann brechen wieder plötzlich orkanische Regengüsse herab, kleine Bäche werden im Nu zu reißenden Flüssen, die entweder durchwatet werden müssen oder auf rasch von den Indios improvisierten schwankenden Brücken aus Bast überquert. Als Zehrung haben die Spanier nichts als eine Handvoll Mais; übernächtig, hungrig, durstig, umschwirrt von Myriaden stechender, blutsaugender Insekten, arbeiten sie sich vorwärts mit von Dornen zerrissenen Kleidern und wunden Füßen, die Augen fiebrig und die Wangen verschwollen von den surrenden Mückenstichen, ruhlos bei Tag, schlaflos bei Nacht und bald schon vollkommen erschöpft. Schon nach der ersten Marschwoche kann ein Großteil der Mannschaft den Strapazen nicht mehr standhalten, und Nuñez de Balboa, der weiß, daß die eigentlichen Gefahren ihrer erst warten, ordnet an, alle Fieberkranken und Maroden mögen lieber zurückbleiben. Nur mit den Auserlesensten seiner Truppe will er das entscheidende Abenteuer wagen.

      Endlich beginnt das Terrain anzusteigen. Lichter wird der Dschungel, der nur in den sumpfigen Niederungen seine ganze tropische Üppigkeit zu entfalten vermag. Aber nun, da der Schatten sie nicht mehr schützt, glüht grell und scharf die steile Äquatorsonne auf ihre schweren Rüstungen nieder. Langsam und in kurzen Etappen vermögen die Ermatteten Stufe um Stufe das Hügelland zu jener Bergkette emporzuklimmen, welche wie ein steinernes Rückgrat die schmale Spanne zwischen den beiden Meeren trennt. Allmählich wird der Blick freier, nächtens erfrischt sich die Luft. Nach achtzehntägigem heroischem Mühen scheint die schwerste Schwierigkeit überwunden; schon erhebt sich vor ihnen der Kamm des Gebirges, von dessen Gipfel man nach der Aussage der indianischen Führer beide Ozeane, den Atlantischen und den noch unbekannten und unbenannten Pazifischen, überblicken kann. Aber gerade nun, wo der zähe, tückische Widerstand der Natur endgültig besiegt scheint, stellt sich ihnen ein neuer Feind entgegen, der Kazike jener Provinz, um mit Hunderten seiner Krieger den Fremden den Durchgang zu sperren. Im Kampf mit Indios ist nun Nuñez de Balboa reichlich erprobt. Es genügt, eine Salve aus den Arkebusen abzufeuern, und wieder erweist der künstliche Blitz und Donner seine bewährte Zauberkraft über die Eingeborenen. Schreiend flüchten die Erschreckten davon, gehetzt von den nachstürmenden Spaniern und den Bluthunden. Aber statt sich des leichten Sieges zu freuen, entehrt ihn Balboa wie alle spanischen Konquistadoren durch erbärmliche Grausamkeit, indem er eine Anzahl wehrloser, gebundener Gefangener – Ersatz für Stierkampf und Gladiatorenspiel – lebend von der Koppel der hungrigen Bluthunde zerreißen, zerfetzen und zerfleischen läßt. Eine widrige Schlächterei schändet die letzte Nacht vor Nuñez de Balboas unsterblichem Tag.

      Einmalige, unerklärliche Mischung in Charakter und Art dieser spanischen Konquistadoren. Fromm und gläubig, wie nur jemals Christen waren, rufen sie Gott aus inbrünstiger Seele an und begehen zugleich in seinem Namen die schändlichsten Unmenschlichkeiten der Geschichte. Fähig zu den herrlichsten und heroischsten Leistungen des Mutes, der Aufopferung, der Leidensfähigkeit, betrügen und bekämpfen sie sich untereinander in der schamlosesten Weise und haben doch wieder inmitten ihrer Verächtlichkeit ein ausgeprägtes Gefühl für Ehre und einen wunderbaren, wahrhaft bewundernswerten Sinn für die historische Größe ihrer Aufgabe. Derselbe Nuñez de Balboa, der am Abend zuvor unschuldige, gefesselte Gefangene wehrlos den Hetzhunden vorgeworfen und vielleicht die noch von frischem Menschenblut triefenden Lefzen der Bestien zufrieden gestreichelt, ist sich genau der Bedeutung seiner Tat in der Geschichte der Menschheit gewiß und findet im entscheidenden Augenblick eine jener großartigen Gesten, die unvergeßlich bleiben durch die Zeiten. Er weiß, dieser 25 . September wird ein welthistorischer Tag sein, und mit wunderbarem spanischem Pathos bekundet dieser harte, unbedenkliche Abenteurer, wie voll er den Sinn seiner überzeitlichen Sendung verstanden.

      Großartige Geste Balboas: am Abend, unmittelbar nach dem Blutbad, hat ihm einer der Eingeborenen einen nahen Gipfel gewiesen und gekündet, von dessen Höhe könne man schon das Meer, das unbekannte Mar del Sur, erschauen. Sofort trifft Balboa seine Anordnungen. Er läßt die Verwundeten und Erschöpf ten indem geplünderten Dorf und befiehlt der noch marschfähigen Mannschaft – siebenundsechzig sind es noch im ganzen von den einstigen hundertneunzig, mit denen er in Darien den Marsch angetreten –, jenen Berg hinanzusteigen. Gegen zehn Uhr morgens sind sie dem Gipfel nahe. Nur eine kleine kahle Kuppe ist noch zu erklimmen, dann muß der Blick sich ins Unendliche weiten.

      In diesem Augenblick befiehlt Balboa der Mannschaft haltzumachen. Keiner soll ihm folgen, denn diesen ersten Blick auf den unbekannten Ozean will er mit keinem teilen. Allein und einzig will er für ewige Zeit der erste Spanier, der erste Europäer, der erste Christ gewesen sein und bleiben, der, nachdem er den einen riesigen Ozean unseres Weltalls, den Atlantis eben, durchfahren, nun auch den andern, den noch unbekannten Pazifischen, erblickt. Langsam, pochenden Herzens, tief durchdrungen von der Bedeutung des Augenblicks, steigt er empor, die Fahne in der Linken, das Schwert in der Rechten, einsame Silhouette in dem ungeheuren Rund. Langsam steigt er empor, ohne sieh zu beeilen, denn das wahre Werk ist schon getan. Nur ein paar Schritte noch, weniger, immer weniger, und wirklich, nun, da er am Gipfel angelangt ist, eröffnet sich vor ihm ungeheurer Blick. Hinter den abfallenden Bergen, den waldig und grün niedersinkenden Hügeln liegt endlos eine riesige, metallen spiegelnde Scheibe, das Meer, das Meer, das neue, das unbekannte, das bisher nur geträumte und nie gesehene, das sagenhafte, seit Jahren und Jahren von Kolumbus und allen seinen Nachfahren vergebens gesuchte Meer, dessen Wellen Amerika, Indien und China umspülen. Und Vasco Nuñez de Balboa schaut und schaut und schaut, stolz und selig in sich das Bewußtsein eintrinkend, daß sein Auge das erste eines Europäers ist, in dem sich das unendliche Blau dieses Meeres spiegelt.

      Lange und ekstatisch blickt Vasco Nuñez de Balboa in die Weite. Dann erst ruft er die Kameraden heran, seine Freude, seinen Stolz zu teilen. Unruhig, erregt, keuchend und schreiend klimmen, klettern, laufen sie den Hügel empor, starren und staunen und deuten hin mit begeisterten Blicken. Plötzlich stimmt der begleitende Pater Andres de Vara das „Te Deum laudamus“ an, und sofort stockt das Lärmen und Schreien; alle die harten und rauhen Stimmen dieser Soldaten, Abenteurer und Banditen vereinigen sich zum frommen Choral. Staunend sehen die Indios zu, wie auf ein Wort des Priesters hin sie einen Baum niederschlagen, um ein Kreuz zu errichten, in dessen Holz sie die Initialen des Namens des Königs von Spanien eingraben. Und wie nun dieses Kreuz sich erhebt, ist es, als wollten seine beiden hölzernen Arme beide Meere, den Atlantischen und Pazifischen Ozean, mit allen ihren unsichtbaren Fernen erfassen.

      Inmitten des fürchtigen Schweigens tritt Nuñez de Balboa vor und hält eine Ansprache an seine Soldaten. Sie täten recht, Gott zu danken, der ihnen diese Ehre und Gnade gewährt, und ihn zu bitten, daß er weiterhin ihnen helfen möge, diese See und alle diese Länder zu erobern. Wenn sie ihm weiter getreu folgen wollten wie bisher, so würden sie als die reichsten Spanier aus diesem neuen Indien wiederkehren. Feierlich schwenkt er die Fahne nach allen vier Winden, um für Spanien alle Fernen in Besitz zu nehmen, welche diese Winde umfahren. Dann ruft er den Schreiber, Andres de Valderrabano, daß er eine Urkunde aufsetze, welche diesen feierlichen Akt für alle, Zeiten verzeichnet. Andres de Valderrabano entrollt ein Pergament, er hat es in verschlossenem Holzschrein mit Tintenbehälter und Schreibekiel durch den Urwald geschleppt, und fordert alle die Edelleute und Ritter und Soldaten auf – los Caballeros e Hidalgos y hombres de bien –, „die bei der Entdeckung des Südmeers, des Mar del Sur, durch den erhabenen und hochverehrten Herrn Kapitän Vasco Nuñez de Balboa, Gouverneur Seiner Hoheit, anwesend gewesen sind“, zu bestätigen, daß „dieser Herr Vasco Nuñez es war, der als erster dieses Meer gesehen und es den Nachfolgenden gezeigt“.

      Dann steigen die siebenundsechzig von dem Hügel nieder, und mit diesem 25. September 1513 weiß die Menschheit um den letzten, bisher unbekannten Ozean der Erde.

      Gold und Perlen

      Nun ist die Gewißheit gewonnen. Sie haben das Meer gesehen. Aber nun herab an seine Küste, die feuchte Flut fühlen, sie antasten, sie fühlen, sie