Hier nur ein prominentes Beispiel aus dem 16. Jahrhundert: Der Legende nach verweigerte damals Königin Elisabeth I. dem britischen Erfinder William Lee das Patent für eine automatische Strickvorrichtung: »Ich habe zu viel Achtung vor den armen Frauen, die ihr tägliches Brot durch Stricken verdienen, um eine Erfindung voranzutreiben, die sie ihrer Beschäftigung berauben und in die Armut treiben würde.«
Oder der deutsche Kaiser Wilhelm II. anno 1904. In einem Mercedes Simplex sitzend, sagte er: »Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd.« Und Gottlieb Daimler 1901: »Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – alleine schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.« Harry M. Warner, Chef von Warner Brothers, 1927 zum Tonfilm: »Wer zum Teufel, will denn Schauspieler sprechen hören?« Darryl F. Zanuck, Chef der Filmgesellschaft 20th Century-Fox, konstatierte noch 1946: »Der Fernseher wird sich auf dem Markt nicht durchsetzen. Die Menschen werden sehr bald müde sein, jeden Abend auf eine Sperrholzkiste zu starren.« Ebenso kurzsichtig ausgerechnet Thomas Watson, CEO von IBM anno 1943: »Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.« »Das Internet wird wie eine spektakuläre Supernova im Jahr 1996 in einem katastrophalen Kollaps untergehen.« Diese ganz offensichtlich falsche Vorhersage stammt ausgerechnet von Robert Metcalfe, dem Gründer von 3Com und Erfinder der Ethernet-Verbindung, die heute der Standard für kabelbasierte Netzwerke ist.
Und noch ein letztes, sehr schönes Zitat von Charles H. Duell, Bevollmächtigter des amerikanischen Patentamts, der 1899 zu Protokoll gab: »Alles, was erfunden werden kann, ist bereits erfunden.«
Es irrt der Mensch offensichtlich, solang er lebt und wirtschaftet. Lassen Sie mich also daraufhin zunächst die beiden Kernbegriffe des Titels – »Transform« und »Workforce« – und die hinter ihnen stehenden Zusammenhänge sowie die daraus resultierenden notwendigen Anpassungen genauer beleuchten.
Transform
Das Tempo, mit dem sich Unternehmen transformieren, ist atemberaubend. Disruptionen dieses Ausmaßes und in dieser Geschwindigkeit gab es niemals zuvor. Um das zu erkennen, brauchte es nicht erst eine Corona-Pandemie, aber durch diese globale Covid-19-Krise erleben wir hautnah, wie disruptive Prozesse verlaufen. Fast über Nacht war möglich geworden, was davor unmöglich schien oder als Option aus verschiedensten Gründen verworfen wurde: Massenhaftes Arbeiten aus dem Homeoffice und nicht in gewohnter Präsenz am Firmenarbeitsplatz; konzentrierte Meetings per Video und nicht in Konferenzräumen, zu denen es erst einmal zeitaufwendig reisen hieß. Weite Wirtschaftszweige ließen und lassen sich inzwischen virtuell, also digital steuern.
Aber nicht nur ein heimtückisches Virus, eine Vielzahl neuer Technologien sorgt für die größte Transformation in 150 Jahren Wirtschaftsgeschichte, durch die sich Unternehmen so stark verändern wie nie zuvor. Manche Leser könnten an dieser Stelle einwenden: Na und? Transformationen der Wirtschaft hat es seit Anbeginn gegeben – von der Mechanisierung des Handwerks im 18. Jahrhundert über die Dampfmaschine, die Elektrifizierung und die Fließband-Massenfertigung bis zur Automatisierung und zur Datenverarbeitung mittels Computer zur sogenannten Industrie 4.0.
Hochgeschwindigkeitsdisruption
Das ist natürlich richtig. Aber: Bis solche Basistechnologien nach ihrer Erfindung ganze Wirtschaftszweige verändert hatten, dauerte es früher einige Jahrzehnte. Heute haben wir es mit einer so rasanten wie exponentiellen Entwicklung zu tun, zumal eine ganze Reihe solcher technischen Entwicklungen derzeit parallel verlaufen und so viele Branchen gleichzeitig betreffen. Die Begriffe, die sich um diese Hochgeschwindigkeitsdisruptionen ranken, sind weithin bekannt: künstliche Intelligenz, 3-D-Druck, Big Data und Cloud Computing, Internet der Dinge, roboterisierte Prozessautomatisation zum Beispiel. Jeder kann jeden Tag lesen, dass sich etwa die Automobilindustrie rund eineinhalb Jahrhunderte nach der Erfindung dieses von Verbrennermotoren angetriebenen Vehikels radikal neu erfinden muss in Richtung Elektroantriebe, selbstfahrender Autos und hin zu neuen Mobilitätskonzepten wie Carsharing jenseits des persönlichen Besitzes eines Pkw. Und Volkmar Denner, seit 2012 Vorstandschef des traditionell weltgrößten Automobilzulieferers Bosch, beschleunigt seither den Umbau des Konzerns in Richtung Softwareentwicklung und künstliche Intelligenz. Statt wie bisher und jahrzehntelang führend bei Dieseleinspritzpumpen will Bosch führend bei der vernetzten, intelligenten, softwaregetriebenen Automobilität werden. Ein gewaltiger Schritt auch für das schwäbische Stiftungsunternehmen mit fast 400 000 Mitarbeitern.
Wichtig ist zu verstehen, dass diese Technologiedurchbrüche keine einfachen »Add-ons« bestehender Produkte sind, sondern neue Branchen entstehen lassen und gleichzeitig etablierte Branchen wegfegen. Und dass Deutschland bisher in keiner dieser Technologien führend ist.
Schlüsselindustrien im digitalen Sturm
Nicht nur Deutschlands Vorzeigebranche Automobil ist betroffen, über sämtliche Schlüsselindustrien fegt der digitale Sturm hinweg. Seit zehn Jahren müssen sich die ehemals mächtigen Energiekonzerne auf neue Geschäftsmodelle hin zu dezentraler Versorgung mit erneuerbaren Energien umorientieren oder sich auch mit neuen Geschäften vom digital vernetzten »Smart Home« bis zu Ladesäulen für Elektroautos befassen.
Einzel- und Großhandel müssen sich mit den rasanten Wachstumsraten der E-Commerce-Unternehmen wie Amazon und ihren eigenen Gegenstrategien auseinandersetzen, Banken und Versicherungen brauchen zunehmend weniger Filialen oder Vertriebsleute, weil viele dieser Geschäfte längst online erledigt werden können. Gar nicht zu reden davon, dass Bank- und Versicherungsleistungen inzwischen auch erfolgreich von Start-ups angeboten werden und den alten Traditionshäusern Marktanteile abspenstig machen. Die Liste betroffener Branchen ließe sich beliebig fortsetzen. Kurz: Alte und traditionsreiche Industrien werden disruptiert und verändern sich grundlegend beziehungsweise müssen sich grundlegend verändern, wollen sie auch in Zukunft bestehen. Aber noch längst nicht alle haben den Schuss bereits gehört.
Wohin die Reise schon seit längerem geht, wird signifikant deutlich an der Liste der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt. 2008 befand sich nur ein einziges Softwareunternehmen, nämlich Microsoft, darunter; unter den restlichen neun firmierten altbekannte Unternehmen wie Exxon, Shell, Walmart oder Pfizer. 2020 hingegen, nur zwölf Jahre später, standen auf der Top-Ten-Liste nur noch drei Traditionalisten: Saudi Aramco, Johnson & Johnson und Berkshire Hathaway. Die übrigen sieben? Die sozusagen inzwischen »üblichen Verdächtigen«: Apple, Facebook, Amazon, Alphabet alias Google, Alibaba, Tencent und nach wie vor Microsoft.
Wenn wir den Blick nur auf die 30 im Deutschen Aktienindex gelisteten Unternehmen verengen, so befindet sich inzwischen mehr als die Hälfte davon in radikaler Neuorientierung, quer über die Branchen Energie, Banken und Versicherungen, Automobil und andere Industrien hinweg. Die Veränderungsintensität ist immens und der Überlebenskampf für manche hart – auch ohne die noch gar nicht eingepreiste Corona-Pandemie, die zum Beispiel den ehemaligen DAX-Wert Lufthansa zu Boden geworfen und inzwischen aus dem Index katapultiert hat.
Die Veränderungsdynamik hat, wie gesagt, sämtliche Schlüsselindustrien erfasst. Um noch einmal kurz auf das Beispiel Automobilindustrie zurückzukommen: Sie befindet sich seit der Erfindung des Carl Benz anno 1886 und als jahrzehntelange Leitindustrie der deutschen Wirtschaft im größten Umbruch ihrer Geschichte. Neue Spielregeln und neue Wettbewerber wie etwa Tesla oder Google verlangen ganz neue Geschäftsstrategien. Wie sehr, das verdeutlicht unter anderem eine Studie von Volkswagen zusammen mit dem Softwareunternehmen Microsoft aus dem Jahre 2019.
Danach werden bis 2030
—100 Prozent aller neuen Autos vernetzt fahren, heute sind es 25 Prozent,
—15 Prozent aller neuen Autos voll autonom fahren,
—30 Prozent aller global gefahrenen Kilometer über Mobilitätsangebote ohne eigenen Autobesitz gefahren.
—Bis 2025 werden 25 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge elektrisch angetrieben sein, in China und in Indien dann sogar 100 Prozent (was fast nicht zu glauben ist).
Nicht von ungefähr äußert die BMW-Aufsichtsrätin Simone Menne in diesem Buch (Seite 111) sehr deutlich: »Ich würde sagen, dass sich ein Autohersteller wie BMW mehr in