Sind ärztliche Visiten hilfreich oder verstärken sie möglicherweise das medizinische »Weg-machen«-Verständnis der Patientinnen und Patienten?
Manche Kliniken führen ärztliche Visiten durch. Auch hier stellt sich die Frage, nach dem »Wozu«? Zur Sicherung der Behandlungsqualität, zur Evaluation der Fortschritte und frühzeitigem Erkennen von Problemen kann dieses Vorgehen sinnvoll genutzt werden. Jedoch besteht auch die Gefahr, dass es bei den Patientinnen und Patienten Erwartungen an eine passive Problemkontrolle (»Reparatur«) analog den somatischen Visiten schürt: »Wieso sind die Symptome immer noch so stark vorhanden, da muss es doch eine medikamentöse Strategie geben, die sie verschwinden lässt«. Für die beteiligten Fachleute besteht das Risiko, diesem Druck nicht standzuhalten und ihrerseits in eine passive Symptomkontrolle und Lösungssuche mit einzusteigen. Eine gute Schulung des ärztlichen Teams ist daher unerlässlich, um den Fokus auf der Funktionalität und auf Verhaltensaspekten zu halten. Damit dennoch mühsam errungene Fortschritte zu einem annehmenden und eigenaktiven Umgang nicht gefährdet werden, arbeiten manche ACT-Stationen beispielsweise analog mit (ober-)ärztlich geleiteten Gruppen und verzichten gänzlich auf ärztliche Visiten klassischer Art. Zur individuellen Beantwortung der Frage, ob bei der Implementierung von ACT in einem Team ärztliche Visiten eingeplant werden sollen, hilft es, sich achtsam und offen der Frage zu widmen, wem und wozu dies im Speziellen dient.
Was ist zu tun, um gemeinsam auf die Vermeidungen des Behandlungsteams zu achten?
Nicht nur bei den Visiten besteht die Gefahr, in eine unreflektierte Helfer-Rolle zu verfallen. Wenn eine Patientin oder ein Patient weinend und aufgewühlt in einer Therapiestunde reagiert, wie groß ist die Verlockung, möglichst schnell wieder »gute Gefühle« zu evozieren? Halten wir als Fachleute aus, dass sich die Patientinnen und Patienten phasenweise nicht gut fühlen? Die Erfahrung, dass die Hinwendung zu den (negativen) Gefühlen neue Erfahrungen schafft und neue Räume öffnet, kann diese automatische Tendenz der gemeinsamen Vermeidung eindämmen und die Bereitwilligkeit der Therapeutin bzw. des Therapeuten erhöhen. In Intervisionen und Supervisionen sollte daher immer wieder ein Augenmerk darauf gerichtet werden. Zudem kann bereits in der Implementierungsphase ein gemeinsamer Kontext festgelegt werden, in welchem sich alle Beteiligten achtsam dieser Frage zuwenden, z. B. in Teamsitzungen oder in der Supervision.
Wie geht man mit Regeln in einem nach der ACT gestaltetem Setting um?
In einer nach ACT arbeitenden Abteilung sind Augenhöhe, Eigenverantwortlichkeit und Wahlfreiheit zentrale Aspekte des Therapierationals. Denn gemäß dem ACT-Ansatz ist neben der Vermeidung für uns verbale Wesen das Befolgen rigider mentaler Regeln der zweite pathogene Mechanismus, der die Erfahrungsoffenheit einschränkt und zu Verhaltenserstarrung führen kann. Aber daraus darf nicht abgeleitet werden, dass Regeln per se schlecht und einschränkend sind. Genauso wie beim individuellen Umgang mit Regeln stellt eine nach ACT arbeitende Abteilung immer wieder die Frage, wozu die Regel gut ist. Dient sie der Patientensicherheit? Macht Sie das Leben des Personals leichter? Ist sie therapeutisch sinnvoll? Möchte man daran festhalten und folgt dabei den eigenen Werten? Trägt sie örtlichen Gegebenheiten Rechnung? Grundsätzlich gilt, dass starre Regeln Erfahrungsräume einschränken, und auf psychotherapeutischen Stationen möchte man genau diese Erfahrungsräume zulassen und systematisch nutzen, damit die Patientin oder der Patient Antezedenzen und Konsequenzen des eigenen Verhaltens erkennen und erleben kann. Regeln erleichtern gleichzeitig das Zusammensein und sichern den Umgang besonders für Patientinnen und Patienten in krisenhaften Lebensmomenten. Beispielsweise ist die Regel, dass man sich bei Ausgängen abmeldet, so sie denn individuell abgesprochen ist, für die therapeutischen Zusammenarbeit hilfreich und wichtig, und widerspricht dem ACT-Rational insofern nicht.
Das Finden einer gemeinsamen Sprache des Teams als Chance, aber auch Herausforderung – was ist wichtig?
Eine gemeinsame Sprache des Teams ist für die Orientierung der Patientinnen und Patienten zweifellos von eminenter Bedeutung. Dazu erweist es sich als hilfreich, im Team die wichtigsten Begriffe gemeinsam zu diskutieren und sich auf Bedeutungen und Wortwahlen zu einigen – gerade auch dort, wo in der Literatur etwas unterschiedliche Gewichte gelegt werden. Dieser Sprachgebrauch kann jedoch nicht in Stein gemeißelt werden. Jedes Team entwickelt fortlaufend eine eigene dynamische Prägung von Begriffen, je nach therapeutischen Anforderungen, strukturellen Sachzwängen und konzeptionellen Entwicklungen im Feld. Entscheidend dabei ist, dass sich für Team und Patientinnen und Patienten das Wesentliche – und damit ist die Haltung von ACT gemeint – als hilfreich und nützlich erweist. Damit diese Haltung als selbstorganisierter Prozess weiter entwickelbar bleibt und genutzt werden kann. Dabei dürfte es sich als hilfreich erweisen, an diesen »Geist« zu appellieren und ihn quasi einzufordern, damit eine lebendige und adaptionsfähige Teamkultur – im Gegensatz zu einer sektirerischen– erfahrbar und tragfähig werden kann. Als unterstützend hierfür hat sich gezeigt, wenn die Patientengruppen über laufende Auseinandersetzungen des Teams mit dem Konzept offen informiert werden. Diesen gesamten Prozess unterstützen Teamsupervision, Retreats o. ä. und die von der Leitung und dem Team als hoch prioritär gewichtete Bedeutung des Teams und einer gelebten ACT-Haltung.
Wie geht man ACT-isch mit Notsituationen und Kurzkontakten um, ohne die Vermeidung des Patienten oder der Patientin zu unterstützen?
»Nur ganz kurz, Frau Doktor: Ich muss mich gleich entscheiden. Sagen Sie mir doch, was ich antworten soll!« Die Delegation von Verantwortung ist in Gruppen von Patientinnen und Patienten weitverbreitet, wenn eine Entscheidung weh tut und die Fachperson doch vermeintlich allwissend ist. Für die betroffenen Fachpersonen ist es dann ebenso verlockend, ohne große Diskussion und mit »hoher Kompetenz« ein Problem rasch vom Tisch zu schaffen. Dies entspricht aber nicht der Grundannahme von ACT, dass wertegeleitetes Handeln selbstbestimmt sein soll. Die Investition von wenigen Minuten lohnt sich dann, d. h. kurz nachzufragen, wie die Patientin oder der Patient merken