Sodann Lady Emma, durch ihre Schönheit nach bewegtem Leben aus der Tiefe aufgestiegen und seit neun Jahren seine berühmte Gattin. Immer noch etwas ungeschliffen, oft zu laut, vermochte erregt in ein saftiges Waliser Bauernslang zu geraten, doch bezaubernd im Wechsel ihres Ausdrucks der Augen, der Hände, des Ganges. Nicht mehr schlank trotz aller kosmetischen Mittel, zudem in andern Umständen, ohne dass es bekannt werden durfte. Sie hatte zu Livorno in einem verstaubten unmodernen Laden ein Korsett aufgetrieben, ein Kleidungsstück, das seit zehn Jahren in der ganzen Welt verpönt und ausgestorben war. Ihre ganze Erscheinung war die der Yvette Guilbert um 1930, antik entlehntes Kostüm, antike Haartracht, Grösse, Format, Gesang, Mimik; nur ein wenig jünger.
Sodann Lord Nelson, knabenhaft klein, mager wie ein Schaukelpferd, Held vieler Schlachten, grosser Segler, Stratege und Taktiker der Meere, zur Zeit niedergedrückt, voll Sorgen für die Zukunft, abgebauter Höchstkommandierender im Mittelmeer, durch Verwundung einarmig, einäugig, nervös; blassblond, mit dünnem widerspenstigem Haar, auf dem kein Puder sich hielt und das hinten in einen mageren sogenannten Schweineschwanz gedreht war.
Sodann Frau Cadogan, betagte Mutter der Lady Hamilton, bösen Zungen nach frühere Waschfrau, von Nelson genannt: Signora Madre; am Dienstbotentisch: Mutter Cat; ging gebeugt, demütig und immer wie auf Zehenspitzen. Wagte niemals zu klagen, konnte Karten legen und hütete ein Dutzend Medizinflaschen und Teetüten für allerlei Übel.
Sodann Fräulein Ellis Cornelia Knight, Admiralswaise in Schwarz mit von einem Schornsteinfeger ererbten Vermögen, Schriftstellerin, vortreffliche Zeichnerin, lieb Kind im Hause Hamilton, Poeta laureata Nelsons, ebenso alt wie er, drei Jahre älter als die Lady und fünf jünger als Karoline, nämlich zweiundvierzig.
Ausserdem John Tyson, tüchtiger Sekretär Nelsons, der seine Kasse verwaltete, glatzköpfig, bäuchig, starker Raucher, ein Mann, mit dem man einen vertrauten Umgangston pflegte und der mit am Herrschaftstisch ass. War früher Zahlmeister, trug Tag und Nacht einen kostbaren Brillantring, Geschenk der Königin von Neapel.
Sodann Gaetano, ein lockiger Lazzarone, den Sir William zu einem brauchbaren Menschen und Diener erzogen hatte.
Sodann die kleine sogenannte Mary-Ann, sizilianisches Hausmädchen, deren Eltern froh warm, sie los zu sein. Wegen ihrer stolzen Haltung mit ihrem eigenen Namen Ré Giovanna genannt. Sie wäre gern Königin oder Admiral geworden.
Und auch: Loinette, eine französische Zofe, nicht mehr jung, ein bisschen verknittert und spitznäsig, aber sehr anmutig mit sehr zwitschernder Stimme und verführerischen Beinen, die sie gern zeigte.
Und dann: (obwohl von Kapitän Chamier entlehnt) Bootsmann Brace, der Steward Nelsons, ein vierschrötiger braver Kerl, rothaarig, was er unter einem schwarzen Haarbeutel, als dessen Band ein Stück französischer Admiralslitze aus der Schlacht bei Abukir diente, zu verbergen suchte.
Und schliesslich: Fatima oder Fatme, eine Mohrensklavin, der Hamilton von Nelson geschenkt (was später näher erzählt wird), mit dem von Fräulein Knight erfundenen gelegentlichen Namen Della Mare.
König Ferdinand blieb daheim; denn er war ungeeignet für die feinere Auslandspolitik und vertrieb sich besser die Zeit mit Jagd auf Fasanen und Revoluzzer.
Das Gepäck und ein Sarg.
Unter dem Gepäck Nelsons und der Hamilton befanden sich ein Äffchen, ein Papagei, ein Bologneser Hündchen, eine Harfe Lady Hamiltons, eine englische Kutsche für vier Personen, mehrere Kisten mit griechischen Vasen, Terrakotten, römischen Gläsern, Bronzen, Elfenbeinschnitzereien, Goldschmuck, Gemmen und Münzen, einige Marmorstatuen, das Gemälde mit dem lachenden Knaben von Leonardo da Vinci und allerlei Trophäen aus nelsonischen Schlachten, zum Beispiel das Schiffswappen vom Guillaume Tell, die Flaggenstange vom L’Orient, dem französischen Admiralsschiff, das bei Abukir in die Luft flog, und aus dem Grossmast desselben auch ein Sarg, den Nelsons Offiziere sinnigerweise hatten anfertigen lassen, ihrem Führer zum Geschenk, der stolz darauf war und darin einst begraben sein wollte, weshalb er ihn immer bei sich führte.
Es hilft nichts, man muss über Land.
Zu Livorno erfuhr man leider bald die unglückliche Mär von der Schlacht bei Marengo. Der Gottseibeiuns Bonaparte, inzwischen erster Konsul und Alleinherrscher Frankreichs, war wie weiland Hannibal und Barbarossa über die Alpen gekommen, hatte in einem kleinen Monat Oberitalien genommen und die Österreicher, die beste Hoffnung der europäischen Christenheit, mörderisch geschlagen.
Wie bitter war es für Nelson, dass die Entscheidung herbeigeführt hatte ein gewisser General Desaix, der mit Urlaubertruppen frisch aus Ägypten angelangt und also den englischen Kreuzern wieder einmal entgangen war. Nun musste die Admiralsflagge runter vom Top des Foudroyant, und die hübschen Matratzen flogen über Bord. England konnte sich keinen Passagierdienst leisten. Sizilien war angeblich in Gefahr.
Ärgerlich schrieb der kleine verdiente, ordenüberregnete Admiral an den ihm unliebsamen neuen Chef im Mittelmeer (Keith):
„Livorno, 24. Juni 1800:
Den Foudroyant zurückzuziehen, hat eine Palastrevolte ergeben. Wenn Sir William und Lady Hamilton über Land heimreisen, ist es meine Absicht, mit ihnen zu gehen ...“
Eine Woche später schrieb Fräulein Knight an das Idol ihrer jungfräulichen Träume, einen Kapitän Berry: „Lady Hamilton erträgt den Gedanken nicht, über See nach Hause zu fahren, und nichts kann unsere Reise nach Wien mehr verhindern.“
Nelsons letzte Hoffnung, der Vormarsch der Franzosen, wurde durch einen Waffenstillstand zunichte. Über Mailand oder Venedig nach Triest zu gelangen, war unmöglich. Jedoch die Strasse über Florenz nach Ancona war noch frei.
Quer durch Italien.
Die Königin aber, da sie sah, wie man Nelson und die Hamiltons betreffs des schönen Schiffes schnöde behandelt hatte, wandte sich von ihnen und fuhr ab ohne sie. Man rollte mit dem Gesinde hinterher. Vierzehn Kutschen voll Menschen, drei Lastwagen mit den Bergen Gepäck, schreckliche Strassen, unerträgliche Hitze, Staub, Achsenbrüche, verrenkte Schultern, gequetschte Rippen, verstauchte Knie. Über Florenz, Arezzo, Perugia, durch armseliges Land. Und immer die Angst, von den Franzosen geschnappt zu werden. Nelson so billig zu Lande auszuheben: das wäre vielleicht ein republikanisches Fressen gewesen! Denn mit England war Krieg wie bisher.
Man kam wieder ans Wasser nach Ancona. Ancona hatte man vor Jahresfrist für Österreich miterobert. Da lag für die Königin, Mutter der k. k. österreichischen Landesherrin, eine Fregatte bereit, wurde ausgeräumt, statt der Kanonen mit Teppichen bestückt, mit hübschen Betten, Kissen, Bildern, Spiegeln und Musikinstrumenten versehen, mit Geflügel, Gemüse und Leckereien.
Klein Nelson sagte: Nein! Drei Fischkutter entern das süsse Karussel wie nichts.
Russische Schiffe; ein Revolutionär an Bord.
Es lag auch ein russisches Geschwader im Hafen. Vier Fregatten, davon drei zu 50 Kanonen, eine zu 40 und eine Brigantine zu 10. Insgesamt etwa 2000 Mann Besatzung. Das deuchte dem Helden sicherer. Er war Privatmann und hatte das Recht, vorsichtig zu sein. Das Heldentum der Privatmänner heisst Vorsicht.
Freilich sahen die Kästen finster aus und waren es auch. Und die Königin stellte Nelson zur Rede, warum der Foudroyant nicht nach Ancona gekommen (als ob er ein Luftballon sei), und sie war ungnädig über die Engländer, verliess jedoch angstvoll die heiteren Kabinen des österreichischen Lustkreuzers und verkroch sich mit ihrem engeren Hofstaat unter die schmutzigen Decks des Flaggschiffs Nawarschia, wo denn auch Nelson und die Hamiltons abblieben. Mindere Charaktere, wie beispielsweise Mutter Cadogan und Fräulein Knight, wurden auf die übrigen Schiffe verteilt und hatten es besser.
Auf dem Flaggschiff Nawarschia war ein Offizier, der das Kommando führte, weil Graf Voinowitsch, der Geschwaderchef, teils betrunken, teils seekrank zu sein pflegte. Er hiess Capaci und