„Wir bringen das Heiligtum zurück, es ist unser größter Schatz.“
„Noch ist es der größte Schatz der Singhalesen“, berichtigte der bärtige Mann nachsichtig lächelnd. „Ich habe viele Jahre damit verbracht, herauszufinden, wo man ihn verwahrt. Sie hüten das Geheimnis und geben es nicht preis, auch um ihr Leben nicht. Und noch etwas: Ihr werdet auf den heiligen Kandy-See stoßen, aber meidet seine Fluten. In ihnen lauern die gefräßigen Räuber, die die Priester dort ausgesetzt haben. Widersteht der Versuchung auf ein kühles Bad. Die Krokodile würden euch zerfleischen.“
Sie wußten alles, der große Subedar hatte es ihnen unzählige Male erklärt, aber er erinnerte sie immer wieder daran.
Nasir ud-daula vertraute ihnen seit Jahren, und nie wäre er auf die Idee verfallen, daß einer abtrünnig werden könnte.
Doch so war es, ohne daß er es ahnte. In Malindi Rama hatte sich der Gedanke festgesetzt, diese Reliquie für sich allein zu stehlen, ohne sie dem großen Subedar zu bringen. Wer den Weisheitszahn Buddhas besaß, der würde ins Nirwana eingehen und der glücklichste Mensch auf dieser Erde werden.
Der Gedanke daran war so überwältigend, daß Malindi von einem Schauer überrieselt wurde, der ihn zittern ließ und der durch alle Fasern seines Körpers drang.
Unbewußt schlugen seine Zähne wie im Fieber aufeinander. Es war wie ein wilder Rausch, der ihn erfaßte.
Dem großen Subedar entging die Veränderung nicht, aber er legte sie falsch aus und zweifelte nicht an der Ehrlichkeit Malindis.
„Was fehlt dir, mein Sohn?“ fragte er besorgt. „Dich wird doch nicht das tückische Fieber befallen haben?“
„Nein, großer Subedar“, antwortete Malindi keuchend. „Es ist der bloße Gedanke an dieses Heiligtum, der mich zittern läßt. Ich kann den Tag kaum erwarten. Es wird viel Aufregung geben.“
„Ja, es wird sehr viel Ärger und Aufregung geben, Malindi. Viel mehr als du ahnst. Die Insel wird in Aufruhr geraten, und der Aufruhr wird auch das Festland erschüttern. Man wird in Anuradhapuraya den heiligen Bo-Baum befragen, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand, und die heiligen Männer werden ausschwärmen, um den Frevel zu sühnen. Wahrscheinlich wird es ein furchtbares Blutbad geben, Aufstände, Krieg und Leid. Aber das alles ist nichts, um in den Besitz dieser einmaligen Kostbarkeit zu gelangen. Und ihr beide seid dazu ausersehen, ganz Indien zu erschüttern.“
„Dieser Gedanke läßt auch mich wohlig erzittern, großer Subedar“, sagte Chandra Muzaffar.
Er war ein mittelgroßer Mann mit schwarzen, enganliegenden Haaren und wilden, fanatischen Augen, die wie Kohlestückchen glühen konnten.
Malindi war dagegen fast unglaublich dürr. Er hatte vorher lange, schwarze und fettige Haare gehabt. Jetzt ähnelte er einem ausgemergelten, fanatischen Wanderasket, dessen Blicke wie Dolche brannten. Er war etwa zehn Jahre älter als Chandra Muzaffar, aber hinterhältig und tückisch.
„Wir haben die letzten Einzelheiten noch nicht festgelegt, großer Subedar“, sagte Malindi nach einer Weile, in der sie schwiegen und nur das Summen der Mücken zu hören war. „Und das Boot haben wir auch noch nicht gesehen. An welchem Tag soll es losgehen?“
„Das Boot liegt bereit und ist längst besorgt. Ihr werdet Wasser, Reis, Melonen, getrocknete Fische und Bananen als Proviant mitnehmen, und ihr werdet euch immer als Fischer ausgeben. Das wird auch gleichzeitig euren Speiseplan bereichern, denn fischen müßt ihr selbst. Für Fische, Muscheln, Krebse und Garnelen müßt ihr selbst sorgen. Eure Reise beginnt dann, wenn deine Haare so weit nachgewachsen sind, daß man die Karte nicht mehr sieht, Malindi. Das wird bei deinem dichten Haar in etwa einer Woche der Fall sein.“
„Und wie werden wir uns orientieren?“ fragte Chandra. „An den Sternen, wie du es uns gelehrt hast, großer Subedar?“
„Nein“, sagte der alte Mann, zahnlos lächelnd. „Die Sterne können sich hinter Wolken verbergen, oder der Kal-baishakhi kann sie mit seinem Grollen und den Blitzen vertreiben. Dann seid ihr hilflos. Auf dem Meer erreicht ihr das Heiligtum aber schneller und sicherer als durch die Berge und Wildnisse des Landes. Ein großes Stück werdet ihr natürlich durch den Dschungel wandern müssen. Ihr habt es ja gelernt und versteht euch darauf.“
„Dann segeln wir also an der Küste entlang?“
„Ja, an der Küste entlang nach Süden, sobald ihr die Perle Indiens erreicht habt. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Ihr werdet in die Nähe von Negombo segeln und euch dort als Fischer ausgeben. Irgendwo in den wilden Mangroven versteckt ihr das Boot und geht von dort aus schnurgerade nach Osten. Wenn ihr den Dschungel hinter euch und die Berge überwunden habt, werdet ihr den Kandy-See erblicken, aber er wird euren Augen wieder entschwinden, und dann müßt ihr die Karte benutzen. Wischnu wird über euch wachen. Ich habe hier noch eine kleine Hilfe für euch. Ihr werdet staunen. Es ist wie Zauberei, wie magische Kräfte.“
Chandra und Malindi sahen gespannt zu, wie der alte Nasir ein dünnes Brettchen hervorholte.
Auf diesem Brettchen befanden sich allerlei Symbole und feine oder gröbere Striche. In der Mitte des Brettchens war ein dünner Nagel angebracht, so dünn und spitz, daß man sich daran verletzen konnte.
Der Alte holte nun mit einem geheimnisvollen Lächeln ein lackiertes Kistchen hervor und entnahm ihm eine zerbrechlich wirkende Nadel, die er auch den anderen zeigte.
„Was ist das?“ fragte Chandra. „Ein Glücksbringer?“
„Eine Zaubernadel, ausgestattet mit magischen Kräften. Die Götter wirken mit ihrem göttlichem Atem auf die Kräfte ein.“
Alle scharten sich jetzt um den Subedar, der die Nadel vorsichtig in die Hand nahm und ebenso vorsichtig auf den Nagel im Brettchen setzte.
Die Nadel begann zu zittern, obwohl niemand sie berührte. Ohne jeden erkennbaren Anlaß begann sie sich zu drehen, bis sie zitternd auf einen Punkt zeigte und auf ihm stehenblieb. Die Spitze dieser wundersamen Nadel war bläulich verfärbt.
Der Alte sagte noch nichts, er lächelte nur sein zahnloses Lächeln und berührte die Nadel wieder. Ganz vorsichtig drehte er sie herum, bis die bläuliche Spitze in entgegengesetzte Richtung wies.
Die anderen sprangen entsetzt zurück, als die Nadel wieder zu zittern begann, sich drehte und schließlich auf demselben Punkt stehenblieb, den sie auch vorher schon eingenommen hatte.
„Ihr könnt sie drehen, wie ihr wollt“, erklärte der Alte. „Die Spitze der Nadel wird immer wieder zu diesem geheimnisvollen Punkt zurückkehren. Dieser Punkt liegt im Norden, wo das blaue Symbol steht. Das ist der Mittelpunkt des Universums, von dem alle geheimnisvollen Kräfte auf dieser Welt ausgehen.“
„Aber wie ist das möglich?“ fragte Malindi verstört. „Sie bewegt sich ja von ganz allein.“
„Die Naturkräfte bewegen sie – Götteratem, Strahlung und die Kraft der Allmacht. Gib mir mal dein Messer, Malindi.“
Die Männer waren anfangs von dieser unsichtbaren Kraft entsetzt, aber jetzt faszinierte sie diese Nadel, die ständig unruhig zitterte, aber trotzdem auf das blaue Symbol zeigte und nicht davon abwich.
Der Subedar nahm das scharfgeschliffene Messer und deutete mit der Spitze auf die Nadel, indem er es dicht davorhielt.
Für die Inder geschah schlicht ein Wunder.
Die Nadelspitze folgte dem Messer, egal in welche Richtung es der Alte bewegte. Sie lief der Messerspitze nach wie ein Hündchen, drehte sich um sich selbst, oder begann schnell zu kreisen, wenn der Subedar das Messer entsprechend schneller bewegte.
„Dann – dann steckt ein Geist in dieser Nadel“, stieß Malindi atemlos hervor. „Ist es so?“
„Eine geistige Kraft, die mir immer anzeigt, wo ihr gerade seid, oder was ihr tut. Ich werde euch diese Zaubernadel mitgeben, denn mit ihrer Hilfe könnt ihr die Himmelsrichtungen feststellen. Ich habe noch eine zweite Nadel. Sie wird mit der anderen in