Die stolze Nymphe. Ell Wendt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ell Wendt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726629279
Скачать книгу
sagte sie fest. „Übrigens hast du den Nutzen davon, denn ich werde mich zu einer Musterhausfrau entwickeln.“

      Klaus gab es auf. Frauen hatten eine Art von Logik, gegen die ein Mann einfach nicht aufkam. „In Gottes Namen also!“ seufzte er und fügte kriegerisch hinzu: „Aber das sage ich dir: sobald ich einen Produzenten für den ,Rapido‘ habe —“

      „Wird geheiratet“, vollendete Christine. Sie stand auf und lehnte ihre weiche kühle Wange einen Augenblick an die seine. Dann drehte sie das Licht auf. Es entquoll einer von einem Behang aus weißen und grünen Perlen umgebenen Birne hoch oben an der Decke, und der jähe Übergang von sanfter Dunkelheit zu grellem Licht machte sie beide blinzeln. Klaus hatte sich erboten, einen Lampion zu stiften, um mit seiner Hilfe die Beleuchtung weniger unbarmherzig zu gestalten, aber Christine fürchtete, es werde nach Budenzauber aussehen und die brave Frau Dirrmoser zu moralischen Bedenken veranlassen.

      „Für fünfundzwanzig Mark im Monat kann man nun einmal keinen Luxus verlangen“, stellte sie vernünftig fest, während sie hin und her ging und etwas zum Abendessen zusammensuchte. Aber plötzlich blieb sie wie angewurzelt mitten im Zimmer stehen.

      „Klaus!“ sagte sie und sah ihren Verlobten vorwurfsvoll an. „Wie oft habe ich dir gesagt, daß du die Zigarettenstummel nicht dem Bären ins Maul werfen sollst!“

      5

      Wenn Christine später an die ersten Tage ihrer Tätigkeit bei Sommerhoff zurückdachte, kam sie sich vor wie Don Quixote im Kampf gegen die Windmühlenflügel. Sie war so tapfer und von unbändigem Eifer erfüllt ans Werk gegangen, aber sie hatte nicht gewußt, daß Unordnung etwas ist, das schichtweise auftritt. Wenn sie an einer Stelle dem Chaos mit Aussicht auf Erfolg zu Leibe gerückt war, wurde unter dem einen Chaos ein neues sichtbar. Ein weniger willensstarkes Mädchen hätte vielleicht die Waffen gestreckt, aber Christine, bis an die Zähne mit Besen, heißem Wasser und schwarzer Seife bewaffnet, war entschlossen, durch sämtliche Schichten zu den Regionen blitzender Sauberkeit und segensreicher Ordnung vorzudringen.

      Ihre Aufgabe wurde durch den Wunsch ihres Arbeitgebers nach Ruhe und Ungestörtsein erschwert. Am ersten Morgen hatte er ihr einen Fünfzigmarkschein zwischen die Berge von Geschirr auf den Küchentisch gelegt und die Hoffnung geäußert, sie werde ihn nun nicht mehr behelligen, bis das Geld ausgegeben sei.

      „Legen Sie mir dann die Abrechnung vor“, hatte er gesagt und war im Atelier verschwunden.

      Christine sah einen Beweis ehrenden Vertrauens in der Tatsache, daß ihr eine so große Summe anvertraut wurde. Andrerseits konnte sie nicht umhin zu befürchten, daß dieses Vertrauen Sommerhoff manchmal zum Schaden gereicht habe. Ihr Vater pflegte zu sagen, man dürfe die Menschen nicht allzu großen Prüfungen auf ihre Ehrlichkeit aussetzen. Aber schließlich war es nicht ihre Sache, Sommerhoff darauf aufmerksam zu machen. Sie würde sparsam wirtschaften und ihr Bestes tun. Während sie an Töpfen und Tiegeln herumscheuerte, dachte sie an Klaus und seine Bestrebungen, der Hausfrau das Leben zu erleichtern. Zum erstenmal begriff sie wirklich, daß sein Apparat zum Geschirrabwaschen etwas Großartiges war, ebenso wie der „Rapido“. Sie brauchte nur die Schuhe ihres Brotherrn nach einem Regenspaziergang anzusehen, um sich nach den elektrisch betriebenen Bürsten zu sehnen. Sommerhoff liebte es, Wald und Flur bei jedem Wetter zu durchstreifen, und seine Schuhe legten beredtes Zeugnis von der Beschaffenheit des heimischen Bodens ab. Christine begann, den Himmel von anderen Gesichtspunkten aus zu betrachten als bisher; sie freute sich, wenn die Sonne schien, nicht nur weil Sonnenschein an sich des Menschen Herz erfreut, sondern weil sie dann hoffen durfte, Sommerhoffs Schuhe nur von einer leichten Staubschicht bedeckt vorzufinden.

      Wirkliches Kopfzerbrechen verursachte ihr aber weder die Sommerhoffsche Fußbekleidung noch das allgemeine Tohuwabohu. Wirkliches Kopfzerbrechen verursachte ihr lediglich der Speisezettel. In der Nacht vor ihrem Dienstantritt hatte sie nicht einschlafen können, weil sie sich vorgestellt hatte, es frage sie jemand auf Ehre und Gewissen, was sie eigentlich kochen könne. Einem im Examen durchgefallenen Schüler hätte nicht erbärmlicher zumute sein können als Christine, wie sie gleichsam an den Fingern abzählte: Sahnenschnitzel, Bratkartoffel, Spiegeleier. — Wie eine Erleuchtung kam der Gedanke an Apfelstrudel über sie. Apfelstrudel war ihre Spezialität, es fragte sich nur, ob ein Mann besonders darauf erpicht war. Ihr Vater und Klaus zum Beispiel liebten das Handfeste in Gestalt von Kalbshaxen und Geräuchertem mit Kraut. Ein Glück, daß es auf den Sommer zuging! Im Sommer gab es Salat, ja, der Sommer warb geradezu für das Kühle, Erfrischende, Vitaminreiche in Gestalt von Salat! Mit der Vision einer Salatschüssel vor Augen, die sie mit hartgekochten Eiern verzieren würde, schlief Christine endlich ein.

      Als sie ihrem Brotherrn das erste Schnitzel mit Salat vorsetzte, war sie froh, daß er nicht ahnte, wie oft er beides noch bekommen würde. Er sah sie zerstreut und freundlich an, während sie den Tisch deckte, und fuhr fort, an etwas herumzukneten, das wie eine Katze aussah. Ein ärgerlicher Ausruf, als Agathe vom Diwan heruntersprang, bewies ihr, daß sie sich nicht getäuscht hatte.

      „Die Prinzessin hat genug“, sagte Sommerhoff. Er liebte es, Agathe „Prinzessin“ zu nennen mit der Begründung, sie sehe so huldreich aus. „Na, lassen wir es für heute. Sie hat wunderbar Modell gesessen. Tiere sind herrlich, weil sie unbewußt sind.“

      Christine erlaubte sich einen Blick auf die tönerne Agathe. Sie steckte erst in den Anfängen, aber alles war schon im Ansatz vorhanden, der lässig hingestreckte Körper, die weichen Pfoten und der schöne hochmütige Kopf. Einen Augenblick stand sie bewundernd, das Tablett in der Hand, dann besann sie sich auf ihre Pflicht und sagte höflich: „Darf ich zu Tisch bitten.“

      Über den Erfolg dieses ersten Mittagessens erfuhr sie leider nichts. Da Sommerhoff sich nicht mißbilligend dazu äußerte, hoffte sie, es habe ihm geschmeckt. Damals wußte sie noch nicht, daß man ihm, wenn er in der Arbeit steckte, gebratene Schuhsohlen versetzen konnte, ohne daß er es bemerkte. Aber er bekümmerte sich um das, was die Tiere bekamen.

      „Nicht zuviel Fleisch für die Prinzessin“, mahnte er, „sonst wird sie zu blutdürstig. Und Bibi sollte nur ein wenig gekochten Reis bekommen. Er hat einen schwachen Magen.“

      ,Vielleicht ist er darum so bösartig‘, dachte Christine. Sie besaß eine Großmutter, deren Magenleiden der Familie manche schwere Stunde bereitete. Warum sollte es bei Tieren anders sein! Was an ihr lag, hatte sie getan, um Bibis Zuneigung zu gewinnen, aber vielleicht spürte der Pekinese, daß ihre Bemühungen mehr dem guten Willen als einem zärtlichen Herzen entsprangen. Jedenfalls fuhr er fort, sie anzukläffen, und sie fühlte sich vor heimtückischen Attentaten auf ihre Kleider niemals sicher.

      „Er ist ein kleines Mistvieh“, sagte Sommerhoff, als er einmal dazu kam, wie Bibi sich in Christines Rock verbiß. „Eigentlich gehört er nicht recht hierher, aber —“

      Christine, die derselben Meinung war und nun gespannt auf nähere Erläuterungen aus Sommerhoffs Mund wartete, kam nicht auf ihre Kosten, denn der Bildhauer beendete den angefangenen Satz nicht. Er hob die Schultern, murmelte: „Da kann man nichts machen“ und kehrte ins Atelier zurück. Enttäuscht setzte Christine ihre Arbeit fort. ,Wenn ich ebenso dächte, würde es hier niemals anders aussehen‘, dachte sie in einer Anwandlung von Ärger. Es gab Augenblicke, in denen sie sich wie eine Märtyrerin vorkam. Sommerhoff spendete ihr nicht die geringste Anerkennung, er schien gar nicht zu bemerken, wie sie schuftete und sich plagte. Und von Klaus hatte sie auch nichts als ein triumphierendes „Habe ich es dir nicht gleich gesagt!“ zu erwarten, wenn sie gegen Abend todmüde nach Hause kam.

      Aber das Gute trägt seinen Lohn in sich. Nach einiger Zeit begann Christine die Früchte ihres Fleißes zu ernten. Die Küche sah nun wie ein Schmuckkästchen aus, jedes Ding stand an seinem Platz. Und Sommerhoff hätte den Diwan im Atelier gut und gern mit seinem Bett vertauschen können, das frisch überzogen im aufgeräumten Schlafzimmer stand. Christine sah sich befriedigt um. Was in ihrer Macht lag, war geschehen, um aus einer chaotischen Junggesellenbude ein vernünftiges Schlafzimmer zu machen. Vielleicht wirkte es nun ein wenig nüchtern mit den schmucklosen Möbeln und der Atmosphäre von schwarzer Seife, die gleichbedeutend mit Sauberkeit war. Ein Mensch, der Unordnung als malerisch und zum Heim eines Künstlers gehörig