Eisnächte. Ditte Birkemose. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ditte Birkemose
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711451786
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hätte.

      »Wonach suchen wir eigentlich?«, wollte ich resigniert wissen.

      »Das wissen wir, wenn wir es gefunden haben«, sagte David, ohne von den Papieren aufzublicken.

      »Was du nicht sagst.« Ich schaute ihn kurz an und lächelte.

      »Eigentlich wundert es mich, dass hier keine Kamera liegt.«

      »Ich vermute, die hat sie ebenfalls mitgenommen.«

      Er beugte sich vor, schaute in den Schank und ließ die Hand suchend durch die obersten Fächer gleiten. »Sie hat mehr als nur eine.«

      »Natürlich ...« Ich spitzte die Lippen, griff zu Science, einer Zeitschrift aus den USA, die auf einer Ecke der Kommode lag, und blätterte ziellos darin herum, bis mein Blick bei einem Artikel hängen blieb. Ich stutzte, runzelte die Stirn. Der Autor hieß Arthur Reddington.

      »Du?«

      »Ja?« David, der gerade eine Schublade durchsuchte, hob den Kopf.

      »Schau mal her.« Ich zeigte auf den Artikel.

      Er warf einen Blick darauf und sah mich dann fragend an.

      »Sieh dir mal den Namen des Autors an. Er heißt Reddington, und das hat Julie auch auf ihren Notizblock geschrieben. Reddington.«

      »Ja, verdammt«, murmelte er und wühlte weiter in der Schublade.

      »Glaubst du, das kann derselbe sein?«

      »Vielleicht.« Er zuckte mit den Schultern und wirkte überhaupt nicht interessiert.

      Ich überflog den Artikel. Er war auf Englisch, und es wimmelte nur so von Fremdwörtern, deshalb beschloss ich, ihn erst zu Hause zu lesen, und steckte die Zeitschrift in meine Handtasche.

      »Ich glaube, hier gibt es nicht mehr zu holen.« David schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, zündete sie aber nicht an. »Verdammt.«

      »Ja.«

      »Was machst du jetzt?«

      »Ich fahre nachher zum Zahnarzt. Morgen will ich dann mit einigen von ihren Kollegen sprechen, und ja, ich weiß ja, dass du das schon getan hast, aber dennoch ...«

      »Natürlich musst du das tun. Vielleicht kannst du ja doch etwas in Erfahrung bringen.«

      »Man darf schließlich hoffen.« Ich wühlte in meiner Tasche nach einem Nikotinkaugummi. »Du weißt doch, ein blindes Huhn findet auch mal und so weiter ...«

      »Ich wüsste ja gern, was dieser Knabe vorhatte.« David fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.

      »Der Knabe?«

      »Ja, blonde Haare, Schnurrbart und Ende dreißig.« Er grinste mich an. »Jedenfalls laut der detaillierten Beschreibung einer Nachbarin.«

      »Ach, der ...«

      David kniff die Augen zusammen. »Ja, der. Ich bin sicher, dass hier etwas entfernt worden ist. Ich meine, hier ist doch alles chemisch rein ...« Er breitete die Arme aus. »Jedenfalls müsste zumindest eine Kamera da sein.«

      Ich nickte bedächtig.

      »Interessant wäre auch zu erfahren, wieso er überhaupt einen Schlüssel hatte.«

      Er machte ein ernstes Gesicht, und wir sahen einander an. Beide verschwiegen wir unsere Gedanken.

      Nach dem Zahnarztbesuch fuhr ich zum Nærum Camping. Unterwegs versuchte ich, die vielen Gedanken zu ordnen, die mir durch den Kopf jagten. Auf irgendeine Weise war alles einfach überwältigend, und als ich die Sache ein wenig auf Distanz bekam, setzten die bohrenden Zweifel ein.

      David war Journalist und daran gewöhnt, sich im Zentrum der Ereignisse aufzuhalten, vielleicht sah er deshalb Gespenster. Es musste durchaus keinen Zusammenhang zwischen Rebekkas Tod und Julies Verschwinden geben. Ansonsten war ja auch noch nicht geklärt, ob überhaupt von Mord die Rede war, vielleicht war Rebekka durch einen Unfall ums Leben gekommen. Das war durchaus nicht unvorstellbar. Trotzdem blieb ein Riesenproblem: Wo zum Teufel steckte Julie? War ihr etwas passiert, oder was?

      Meine Hände umklammerten das Lenkrad, und ich starrte verbittert vor mich hin. Ich hatte das Gefühl, mit der Stirn gegen eine Mauer zu laufen und zurückgeschleudert zu werden. Zurück zu Davids Theorie über den möglichen Zusammenhang.

      Obwohl es, gelinde gesagt, ungelegen kam, musste ich jetzt für das Abendessen sorgen, denn ich hatte Harry bereits am Vortag zu Gulasch mit Kartoffelbrei eingeladen.

      Anders als sonst kochte ich das Essen in der Gemeinschaftsküche, das war einfach leichter so. Dort hatte ich Ellbogenfreiheit und brauchte nicht im Bratengeruch zu schlafen. Während ich mit Kochen beschäftigt war, lag Marie vor der Tür und ließ sich von Vorübergehenden bewundern. Ihre Größe lud nicht zu kleinen Liebkosungen ein, und das war ja auch nur gut so.

      »Sieh dir die an.« Eine grauhaarige Frau mit Pagenfrisur und großem Bernsteinschmuck um den Hals, die gerade Frikadellen briet, schaute aus dem Fenster und lachte. Mit lautem Gejohle übten zwei junge Männer auf dem Rasen vor der Gemeinschaftsküche das Laufen auf Stelzen.

      Ich lächelte.

      »Stell dir vor, jetzt ist der Sommer schon vorbei. Gestern Abend war es hundekalt, aber das lag wohl vor allem am Wind.« Seufzend wendete sie die Frikadellen. »Aber es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, wie mein Mann immer sagt. Und solange es einigermaßen trocken bleibt, können wir uns doch nicht beklagen, oder? Aber ich finde es einfach schrecklich, wenn es Bindfäden regnet, so wie heute Morgen.« Sie schnaubte und warf erneut einen Blick aus dem Fenster. Obwohl gerade die Sonne schien, ballten sich am Horizont düstere Wolken zusammen.

      »Wie lange bist du eigentlich schon hier?«, wollte sie wissen.

      »Seit dem Frühling«, antwortete ich und legte den Deckel auf den Topf.

      »Ich hatte doch das Gefühl, dich schon mal gesehen zu haben. Vor allem der Hund fällt auf. Mein Mann und ich waren zu Pfingsten hier.« Sie wischte sich die Hände am Geschirrtuch ab. »Aber dann sind wir zum Gardasee gefahren. Ich kann dir sagen, da haben wir einen wunderbaren Campingplatz gefunden, gleich beim See, wir fahren jedes Jahr wieder hin, und inzwischen kennen wir da eine Menge Leute.« Sie spülte das Hackbrett unter dem Wasserhahn ab. »Und da ist es fast, wie nach Hause zu kommen, wenn du verstehst. Wir machen Ausflüge miteinander und so, und abends grillen wir und spielen Karten. Das ist genau das Richtige für meinen Mann, mir haben solche Spiele noch nie gelegen. Ich meine, ich kann das schon, aber mir ist Trivial Pursuit lieber. Warst du schon mal am Gardasee?«

      »Ist jetzt schon einige Jahre her.«

      »Du solltest es dir aber überlegen, du würdest es nicht bereuen, das kann ich dir sagen, und ich kann dir sagen, wie der Platz heißt.« Die Wörter strömten in einem offenbar endlosen Strom aus ihr heraus. »Aber mein Mann kann den Weg besser erklären als ich, das ist Männern wohl angeboren. Du kannst doch heute Abend mal reinschauen, wir sind gleich bei den Hütten, ich kann es dir zeigen, wenn wir hier weggehen, und dann kannst du auch einige von den Bildern sehen, die wir gemacht haben, wir haben nämlich in Deutschland eine Digitalkamera gekauft, in Goslar war das, aber ich weiß wirklich nicht, ob es billiger ist, jedenfalls macht es Spaß, man kann die Bilder sofort sehen ...«

      »Leider«, sagte ich bedauernd. »Ich bekomme Besuch, und da ...«

      »Aber morgen vielleicht? Wir haben eine Flasche Campari, was hältst du davon? Wir haben auch Grappa, falls das ...«

      »Im Moment habe ich schrecklich viel zu tun.« Ich ergriff den Topf. »Das ist sehr nett von dir, aber ich muss leider Nein sagen.«

      »Aber es war ja eigentlich vor allem deinetwegen«, meinte sie und kniff die Lippen zusammen.

      Ich versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. »Das ist sehr nett von dir«, wiederholte ich, aber sie kehrte mir den Rücken zu, machte sich mit ihrem Abwasch zu schaffen und gab keine Antwort.

      Ein wenig benommen verließ ich die Küche.