Comödie. Band 2. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711487372
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herzlich gern gegeben werden. Luxus kann ich ihr freilich nicht bieten, aber ich denke, ein Frauenherz, das so viel erschrecklich Schweres durchgemacht hat, das hängt nicht mehr an Plunder und Flitterkram. Hörst du, Hans? fahre gleich hin zu ihr — bringe der armen, einsamen Frau Trost und Hilfe, denn sie hat ja wohl niemand auf Gottes weiter Welt. Wir aber meinen es gut mit ihr, und wenn’s ihr recht ist — dann soll sie gleich am nächsten Tage kommen, und der liebe Herrgott segne ihren Eingang bei uns!‘“ Hans schwieg. Er hatte leise, mit wunderbarer Innigkeit gesprochen. Sein Blick leuchtete immer glückseliger, je mehr er die Wirkung dieser seiner Worte in ihrem schönen Antlitz las. Zuerst hatte sie ihn gross, mit weit aufgerissenen Augen, beinahe erschrocken angeschaut, dann trieb ihr die Scham heisse Glut in die bleichen Wangen, und wie gebrochen durch die Wucht solch unverdienter und überraschender Liebe und Güte neigte sie das Haupt in die Hände und schluchzte leise auf wie in verzweiflungsvollem Weh. Sie antwortete nicht, und auch Hans verharrte still, das wunderthätige Wirken dieses Thränenregens nicht zu stören.

      Er war nicht nur ein Arzt des Körpers, sondern auch der Seele, und er hatte erkannt, dass Aglaë wohl die kränkste Patientin war, welche er je auf rettende Wege geleitet.

      Wie eine Erlösung kam es über sie, es war, als ob diese Thränen die hässliche Schminke unwahren Stolzes und falscher Kälte von ihrem Antlitz fortwuschen, als ob etwas Eisigkaltes in ihrer Brust zu schmelzen beginne. Sie sprang empor und streckte dem jungen Arzt leidenschaftlich beide Hände entgegen. „Ich danke Ihnen!“ stiess sie schluchzend hervor. „Ihnen und Ihren Eltern! — Ich bin nie im Leben solch treue Liebe gewohnt gewesen — ich kann’s nicht begreifen, dass jemand wahrlich von Herzen gut zu mir ist! — Sagen Sie es Ihren Eltern ... und sagen Sie ihnen, dass ich tausendmal danken lasse! Sie haben mir eine grosse Wohlthat erwiesen durch ihr Anerbieten, aber annehmen kann ich dasselbe nicht!“

      Hans hielt ihre Hände fest: „Und warum nicht, Frau Vicomtesse? Haben Sie eine andere Heimat gefunden?“

      Sie schüttelte trostlos das Haupt.

      „Besitzen Sie treuere Freunde, welche für Ihre Existenz sorgen wollen und können?“

      „Freunde?“ Das alte, bittere Lachen gellte durch ihr Schluchzen.

      „Also auch das nicht. Moosdorf ist mit dem heutigen Tag verkauft, dieses Haus hier müssen Sie räumen, und es bleibt Ihnen nach Abzug aller Kosten und Deckung der Schulden nur ein so kleines Kapital, dass Sie selbst darbend nicht von seinen Zinsen leben können. Was also wollen Sie beginnen? Ich beschwöre Sie zu Ihrem eigenen Besten, sagen Sie, warum lehnen Sie die Einladung meiner Eltern ab?“

      Sie rang voll Qual die Hände frei und schlug sie vor ihr brennendes Angesicht. — „O fragen Sie nicht! — Ich kann nicht nach Moosdorf, ich kann nicht von Almosen leben — ich werde wahnsinnig in dem Gedanken, dass ich von einer Barmherzigkeit leben soll, die ich nicht verdiente! — Warum sammeln Sie solch feurige Kohlen auf mein Haupt, Hans?! — Ich bin nie im Leben Ihre ehrliche Freundin gewesen, ich habe nie einen Funken von all den hochherzigen Gefühlen für Sie oder die Ihren empfunden, welche Sie mir jetzt so beschämend entgegenbringen! Lassen Sie mich ausreden! Es ist ein bittersüsses Selbstkasteien! Es ist eine grausige Wohlthat, vor dem Menschen zu stehen und sich selber zu richten in einer Stunde, wo nur von diesem Einzigen noch Rettung kommen kann! — Gehen Sie! Gehen Sie, Hans, ich hab’s nicht verdient, dass Sie mich mit solch unaussprechlich guten und treuen Augen ansehen! Ich bin falsch und untreu gegen Sie gewesen, so lange ich zurückdenken kann! — Mein Spielzeug waren Sie! Mein Zeitvertreib, welchen man missachtend in die Ecke wirft, wenn sich besseres bietet! Geschämt habe ich mich Ihrer und Ihrer Eltern, habe Sie verleugnet und gekränkt bis ins tiefste Herz hinein, habe voll kaltherziger Berechnung die Hände nach Ihnen ausgestreckt, Sie herabzuziehen vor meine Füsse, um Ihnen Herz und Seele zu vergiften, so wie sie mir von Kindesbeinen an durch den Pesthauch modernen Lebens gemordet wurden! — Gespottet habe ich über die Leute im Pächterhaus, habe mein Kleid ängstlich zusammengefasst, wenn ich über ihre Schwelle treten musste, weil ich glaubte, die Atmosphäre der Armut wirke wie Schmutz! — Ich habe den alten Leuten den Sohn nehmen wollen, ihm Bravheit und Redlichkeit zu stehlen, weil es mir für einen kurzen Fastnachtstraum amüsant gewesen wäre, ihn an seiner unglücklichen Liebe verkommen zu sehen, und zu diesen — diesen Leuten sollte ich jetzt gehen, um aufgenommen zu werden wie ein Kind in der Heimat? Ihnen sollte ich alles danken, was ich noch auf Erden wäre?! — Niemals, Hans! — beim ewigen Himmel, ich kann es nicht!“

      Er sah ihr traurig, aber voll warmer Herzlichkeit in das flammende Angesicht: „Meine Eltern wissen nichts von all dem Unrecht, dessen Sie sich anklagen, und ich, der es anhören musste, ich vergebe Ihnen von ganzem Herzen, Frau Vicomtesse, und habe nur eine Bitte, welche Sie mir als Sühne zu erfüllen versprechen müssen: Betrachten Sie Moosdorf zeitlebens als Ihre Heimat und vergessen Sie die trüben Bilder, welche Sie sich selbst als Schreckgespenst vor meiner Eltern Thür stellen!“

      Sie antwortete nicht, sondern schüttelte nur voll düsterer Schwermut das Haupt.

      „Nun, so lassen Sie uns wenigstens einmal vernünftig über Ihre Zukunft sprechen!“ fuhr er in seinem alten, energischen Ton fort, „und wenn Sie es wirklich als Ihre Schuld erachten, ehedem falsch gegen mich gewesen zu sein, so büssen Sie dieselbe jetzt dadurch ab, dass Sie mir künftighin um so ehrlicher vertrauen. Wollen Sie das versprechen, Aglaë?“

      Sie schlug mit aufleuchtendem Blick in seine Hand ein. „Ja, das will ich“, atmete sie auf, „Sie sollen wenigstens den Weg kennen, auf welchem ich mich vorwärts kämpfen will, und welcher uns für alle Ewigkeit trennen wird!“

      Ein wehmütiges, aber dennoch zuversichtliches Lächeln spielte momentan um seine Lippen. „Lassen Sie mich hören!“ nickte er freundlich.

      Sie liess das Haupt wie müde zur Brust sinken und starrte nachdenklich auf das bunte Teppichmuster zu ihren Füssen nieder: „Leider Gottes war mein Vater schon ein reicher Mann, als ich geboren wurde“, begann sie herbe, „und meine Erziehung ist das Resultat seines Parvenüdünkels, welcher von sich und seiner Familie alles fernhielt, was an die niedrige Vergangenheit erinnerte. Die Arbeit, welcher er seinen Reichtum verdankte, verachtete er, weil sie der Lebensinhalt des niedrigen Mannes ist, und jedwede praktische und nützliche Beschäftigung hielt er schmachvoll für die Tochter eines Millionärs, welche Dienstboten genug befehligt, ihre Wünsche sofort erfüllt zu sehen. Meine Mutter war krank und schwach, sie drang mit ihren Ansichten nicht durch und ich ward, was ich jetzt leider Gottes bin, ein unwissendes, hilfloses, nutzloses und überflüssiges Geschöpf. — Ich habe weder ein Examen gemacht, noch so viel gelernt, um es vielleicht jetzt noch nachholen zu können; nicht einmal zur Kindergärtnerin würde ich brauchbar sein, denn ich bin ungeduldig und unduldsam und würde mich niemas in die Rolle einer Untergebenen fügen können. Daran scheitert auch die Möglichkeit, Gesellschafterin zu werden. Wer mag ein unliebenswürdiges, verbittertes und launenhaftes Geschöpf um sich sehen, welches gewöhnt ist, zu befehlen, ohne selber gehorchen zu können. — Vom Haushalt oder wirtschaftlichen Arbeiten habe ich keine Ahnung und gestehe es Ihnen zu meiner Schande ein, dass ich nie im Leben eine Küche betreten habe. Das hielt ich selber unter meiner Würde, denn da ich in den Ansichten meines Vaters erzogen wurde, habe ich dieselben ganz natürlicherweise auch zu den meinen gemacht! — Ich kann also nichts, gar nichts, weder nähen, noch stricken oder kochen, kann nicht malen, nicht unterrichten. Das einzige, was meine ungeschickten Finger als ‚nobele Passion‘ betreiben durften, war Musik. Ich leiste auch nicht viel im Klavierspiel, aber doch genug, um meinen Gesang zu unterstützen, denn eine Gabe legte auch mir die Natur in die Wiege — eine Stimme, welche in viel teuren Stunden geschult wurde, und welche vielleicht für das Theater ausreicht —!“

      „Für das Theater?!“ — Hans zuckte leicht empor und blickte die Sprecherin fast entsetzt an: „Was verstehen Sie darunter, Vicomtesse? — Wollen ... wollen Sie etwa zur Bühne gehn?!“

      Sie hob resolut das schöne Haupt, ihr Blick war finster, und die alte Bitterkeit durchklang abermals ihre Stimme: „Ja, ich will zur Bühne!“ wiederholte sie beinahe heftig, „denn mir bleibt keine Wahl! Sie haben meinen Entschluss bereits durch Ihr erschrockenes Gesicht und den Ausdruck Ihrer Stimme gerichtet! Sie sehen die leichtsinnige Tochter des leichtsinnigen und gewissenlosen Vaters bereits untergehen