Ich glaube nicht, daß ich nachträglich ungerecht sein Bild verzerre, wenn ich sage, daß vielleicht in seinem Äußeren, genauer gesagt: in seinem Gesicht, Züge waren, die in jene verhängnisvolle Richtung wiesen. Ich sagte schon, daß sein Körper sehr groß und breit war und nur durch dauerndes Training davor bewahrt wurde, ungeschlacht zu sein. Auf diesem Körper, an dem die ganz überraschenden feinnervigen Frauenhände teils lächerlich, teils erschreckend wirkten, — saß auf einem breiten, kurzen Hals ein etwas zu kleiner, ganz runder Kopf, dessen breite, weiche Backen, dessen winziger, glutroter Mund, dessen dünnes, überaus gepflegtes blondes Kraushaar seltsam abstoßend wirken konnten, besonders in Augenblicken der garnicht seltenen Depressionen, die ihn die Augen halb schließen ließen, oder auch im Schlaf, der seinem Gesicht etwas durchaus Ochsenartiges verlieh.
Der Reiz des Gesichtes lag allein in den Augen, die gewissermaßen alle Schlaffheit des übrigen Gesichtes in sich einsogen, die in einem unbeugsamen Glanz schienen, die ein glühendes Gefühl ausstrahlen und übertragen konnten. Mächtige, tiefe blaue Augen, Augen, wirklich bald magisch und flimmernd wie Wintersterne, bald benachbart wie niedrige Südsterne, und die Unsterne meines Lebens, die unheimlich durch meine Nächte brennen.
Aber ich greife vor. Ich spreche von dem Karl Rasta, der mein Leben entschied. Vor dem Vierzehnjährigen steht der Dreißigjährige, und sie erscheinen mir oft ein und derselbe. Und doch kann das nicht sein. Nur etwas Entsetzliches kann diesen glänzenden, meteorischen Menschen aus seiner Bahn geworfen haben. Obgleich ...
Obgleich: ich sprach ausführlich von seiner Mutter. Ich weiß, wie sehr Karl seine Mutter haßte, weiß aber andererseits, daß während des Prozesses so ungewöhnlich innige Beziehungen zwischen Mutter und Sohn festgestellt wurden, daß die greise Gräfin um ein Geringes von der Zeugenbank auf die Anklagebank hätte übersiedeln müssen. Da steckt schon ein Rätsel. Haßte er sie, wie er mir damals versicherte, oder liebte er sie, wie später festgestellt wurde? Klar erscheint mir jedenfalls, daß die Mutter, wenn nicht durch Taten der böse Geist, so durch ihr Blut das verderbende Feuer dieses Lebens war.
Mir ist das alles erst später klar geworden. In meiner Vierzehnjährigkeit fühlte ich eigentlich nur, daß im Rastaschen Hause sich nicht das einfache, gesetzmäßige Familienleben abrollte, wie bei mir, im Allgemeinen aber waren unserer Freundschaft diese Dinge ganz gleichgültig, und wir wuchsen miteinander als echte Bengels über Äpfelstehlen, Molchefangen, Drachenkleben, Indianerhüttenbauen, Teschingschießen, erste Zigarette und ersten Rausch ziemlich reibungslos in die Zeit des ersten Romans, der ersten Liebe, der Tanzstunde hinein.
In der Tanzstundenzeit kam es zum ersten Bruch, und hätte ich damals meiner inneren Stimme gehorcht, wäre es zum endgültigen Bruch gekommen. Es handelte sich scheinbar um eine einfache Primanerliebe, und wäre diese Liebe zu Dorothea Gerbers nicht die Liebe meines Lebens geworden, so würde diese Episode in all dem leichten Sand und Flußtang versunken sein, in den vielerlei im Erleben Wichtiges und in der Wirkung Unwichtiges herabsinkt, und über die der Fluß des Lebens bis zur Unkenntlichkeit glättend hinwegfließt. So aber ...
Wir waren Rivalen. Ich kann mich nicht entschließen, ein Bild meiner nachmaligen Frau zu zeichnen. Teils weil sie zu lebendig und schmerzvoll in mir wohnt, teils, weil sie in all ihrer Lieblichkeit und Tiefe, in ihrer Sonnigkeit und Melancholie, in ihrer heiteren und doch verschleierten Schönheit nur mir bekannt ist. Für Karl Rasta — und hier schnürt mir der Zorn die Kehle — war sie eine unter Vielen, und darum ist ihr Wesen für den Verlauf der Sache unwesentlich.
Es begann sehr jungenshaft damit, daß wir auf einem Spaziergang in die herbstlichen Berge uns gegenseitig unsere Liebe zu Dorothea gestanden und im Überschwange unserer Freundschaft jeder sich anbot, vor dem anderen zurückzutreten. Wir kamen schließlich dahin überein, daß jeder getrennt um Dorothea werben solle und nur verpflichtet sei, den Anderen über den Erfolg auf dem Laufenden zu erhalten.
Dieses Versprechen hat Karl gebrochen. Ich will diese Kindergeschichten, so bedeutungsvoll sie mir erscheinen, nicht ausspinnen. Tatsache war, daß Dorothea an einem Abend mir ihre Liebe mit Hand und Mund versicherte, und daß ich am anderen Abend, als ich zu Karl gehen wollte, ihm dieses mitzuteilen, sie und ihn in einem Gebüsch in inniger Umarmung stehen sah. Noch heute erinnere ich mich des entsetzlichen Schmerzes, den ich damals empfand, und habe in meinem ganzen Leben, selbst in den glücklichsten Jahren meiner Ehe, nie über diesen Jugendschmerz lächeln können, gleich als ob ich immer geahnt hätte, daß aus diesem Augenblick die Vernichtung meines Lebens emporwachsen würde, wie der Tod aus einem winzigen Bazillus. Zum Streit kam es dann, als mir Karl nach achtundvierzigstündigem qualvollen Warten noch immer nichts mitgeteilt hatte und ich ihm mein Wissen ins Gesicht schrie. Damals zeigte Karl sein Geschick, die schwierigsten Situationen zu meistern. Er sagte nur ganz ruhig, daß noch nichts entschieden sei. Und hat es dann fertiggebracht, in einer Unterredung zwischen ihm, Dorothea und mir scheinbar chevaleresk zurückzutreten und Dorothea — wie ich jetzt glaube, in einer vorausgegangenen Rücksprache — dahin zu bringen, daß sie sich weinend an meinen Hals warf, mit der Versicherung, sie habe immer nur mich geliebt, für Karl nur Freundschaft empfunden und habe eine Verirrung begangen, als sie Karl küßte.
Mein Argwohn, der noch eine Zeitlang rege war, wurde durch eine merkwürdige Wandlung Karls beseitigt. Er war — frühreif in allem — ein Verhältnis mit einem Dienstmädchen des elterlichen Hauses eingegangen und fürchtete, daß sie ein Kind bekommen würde. Er machte mich zum Mitwisser und erklärte, daß er das Mädchen in diesem Falle heiraten würde, was ich damals durchaus billigte. Gleichzeitig geriet er unter dem Einfluß der Tolstoischen Sexualethik, und aus allerlei Angst, Reue, Einsicht und mit der ganzen Vehemenz seines Charakters grub er sich in eine Askese hinein, die sicherlich zunächst echt war, später mehr und mehr ausgehöhlt wurde und schließlich ganz verständlicherweise ins Gegenteil umschlug. Zunächst jedenfalls fiel er als Mitbewerber bei Dorothea aus, und obgleich noch vielerlei Wechselfälle eintraten, ist in jener Zeit der Grundstein meiner Ehe gelegt worden. Ob Dorotheas Zuneigung zu Karl echt und dauernd war, oder ob sie, wie ich glaube, lediglich unter dem Zwang seiner bestrickenden Gegenwart jeweils bestand, das halte ich fern von mir und will es nicht wissen.
Karl und ich bezogen etwa zwei Jahre nach diesen Erlebnissen getrennte Universitäten, und da er auch für die Ferienzeiten niemals ins Elternhaus zurückkehrte, habe ich ihn viele Jahre lang nicht zu Gesicht bekommen und bin für diese Zeiten fast ausschließlich auf Hörensagen, auf Klatsch und Gerücht über ihn angewiesen. Er galt in den Kreisen der alten Tanten beiderlei Geschlechts sehr bald als verbummelter Student, und das wohl nur deshalb, weil er launisch und exzentrisch und in seinen Entschlüssen abrupt uud fast brutal war. Zuerst hatte er Offizier werden wollen, hatte aber nach einem halben Jahre Dienst bereits seinen Abschied genommen, ging als Student nach Paris, Berlin, Cambridge und München in buntem Durcheinander durch fast alle Fakultäten, betätigte sich journalistisch, gab einen Band mäßiger Gedichte heraus, den er nach kurzer Zeit zurückzog und einstampfen ließ, war Reporter bei den Friedenskonferenz im Haag, Berichterstatter rechtsstehender Blätter während der mexikanischen Wirren, und Vertreter sozialistischer Zeitungen in den Balkankriegen. Er führte eine überaus scharfe Feder, seine Fähigkeit, Menschen zu behandeln, sein glänzendes Gedächtnis, seine an Frechheit grenzende Unerschrockenheit, machten ihn in kurzer Zeit bekannt. Aber nach dieser kurzen, erfolgreichen Laufbahn warf er alles Erreichte über den Haufen, wurde erst Bankbeamter und endlich Landwirt.
Im zweiten oder dritten Jahr seiner Abwesenheit war der alte Rasta gestorben. Karl erschien, wie ich hörte, überaus elegant gekleidet und scheinbar im Besitze größerer Geldmittel, in seiner Vaterstadt, verkaufte das Haus und beinahe sämtliches Mobiliar (wobei Dorotheas Eltern einige sehr schöne Stücke für unseren künftigen Haushalt erwarben), brachte seine Mutter