Sonntag, 9. Dezember 1860:
Als der Tag zu dämmern begann, sahen wir, dass die Spur der Kiowas in südöstliche Richtung ging. Ich hatte gestern Abend ihr Gespräch belauscht und wusste, dass sie zum Nugget Tsil unterwegs waren, Santer des Goldes wegen und die Kiowas, um Winnetou zu fangen. Wir konnten jetzt auf dem kürzesten Weg zurückreiten.
Montag, 10. Dezember 1860:
Deshalb kamen wir schon kurz nach Mittag vor der Schlucht an. Wir ließen die Pferde und den Gefangenen unter der Obhut eines Apatschen unten im Tal und stiegen empor. Dort sahen wir, wie fleißig die zwanzig Apatschen gewesen waren, um das Begräbnis ihres Häuptlings und seiner Tochter vorzubereiten. Ich erfuhr, dass das Begräbnis am nächsten Tag stattfinden sollte.
Dienstag, 11. Dezember 1860:
Während des Begräbnisses durfte Winnetou dem großen Schmerz über den Tod seines Vaters und seiner Schwester noch Ausdruck geben. Gleich nach dem Begräbnis befahl er den Apatschen, sich zum Aufbruch bereitzumachen und die Pferde aus dem Tal heraufzuholen. Winnetous Plan war, die Kiowas in eine enge Felsschlucht zu locken, die einem schmalen Canon glich. Er brachte uns nordwärts von der Blöße in den Wald hinein, der in einer ziemlich steilen Senkung niederfiel. Dann erreichten wir eine hohe, senkrechte Felsmauer. Sie war durch eine schmale Schlucht gespalten. Der Ausdruck ‚Falle‘ passte gut auf den engen Durchgang, durch den wir nun kamen. Es wurde schon langsam dunkel, als sich unsere beiden Gruppen trennten und Stellung bezogen. Da bemerkte ich, dass wir belauscht worden waren, wahrscheinlich von Santer selbst. Ich musste ihm unbedingt nach, trotz der Dunkelheit. Er konnte nur zu den Kiowas zurück. Ich war früher bei ihnen als er und konnte dadurch hören, was er mit ihnen besprach. Er kannte unseren Plan und wusste, dass wir uns geteilt hatten, um die Kiowas in der Falle festzusetzen. Nun wollten sie den Spieß umdrehen, erst unsere Gruppe überfallen und dann am Morgen Winnetou überrumpeln. Ich eilte zurück und führte meine Leute in der Dunkelheit zu Winnetou, der völlig überrascht von unserem Auftauchen war. Wir holten unsere Pferde und folgten ihm in die Prärie hinaus.
Mittwoch, 12. Dezember 1860:
Als es hell geworden war, beobachteten wir die Schlucht. Es regte sich nichts da drüben. Als wir dann die Prärie südlich vom Nugget Tsil erreichten, sahen wir eine Fährte. Die Kiowas waren also fort, wahrscheinlich auf dem Weg zu ihrem Dorf. Nun folgten wir ihrer neuen Fährte. Wir befanden uns zwischen dem Canadian und dem Quellgebiet des nördlichen Red-River-Armes.
Freitag, 14. Dezember 1860:
Am nächsten Morgen erreichten wir den Nordarm des Red River, dem wir noch einen zweiten Tag abwärts folgten. Im Winkel zwischen dem Salt Fork und dem Red-River-Nordarm lag das Kiowa-Dorf, dessen Häuptling Tangua war. Wir ritten einen weiten Bogen und hofften, nicht entdeckt zu werden. Aus weiteren Vorsichtsgründen benutzten wir dazu die Nacht.
Samstag, 15. Dezember 1860:
Als Winnetou und ich auf Kundschaft wollten, erblickten wir zwei Reiter. Es waren Händler, die aus dem Dorf der Kiowas kamen. Von ihnen erfuhren wir, wo Hawkens steckte und auch wo Santer untergebracht war. Wir verlegten unser Lager sicherheitshalber auf eine Insel etwas abwärts mitten im Fluss. Als es dunkel geworden war, brachen Winnetou und ich auf, um zum Dorf der Kiowas zu gehen. Dort trennten wir uns: Winnetou wollte sich an Santer heranmachen und ich hoffte, den auf einer Insel gefangenen Sam Hawkens befreien zu können. Doch dort befand sich auch ein Sohn des Häuptlings, Pida, der ‚Hirsch‘, der gerade mit Sam sprach. Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen. Sie hatten Winnetou gesehen, aber noch nicht erwischt. Ich konnte Hawkens heute nicht befreien, dafür aber den Sohn des Häuptlings niederschlagen und mit dem Bewusstlosen in seinem Kanu stromabwärts fahren. Das Kanu stieß ich später in den Fluss. Es begann zu regnen, und zwar so heftig, dass es mir unmöglich war, die Uferstelle zu finden, die unserer Insel gegenüberlag.
Sonntag, 16. Dezember 1860:
Der Regen hörte auf und der Tag begann zu grauen. Ich fand die Uferstelle und Winnetou half mir, meinen Gefangenen auf die Insel zu bringen. Wir planten, ihn gegen Sam Hawkens und gegen Santer auszutauschen. Unverhofft kam ein Kanu an uns vorbei: Es war Santer, der in Eile flussabwärts fuhr. Da hielt es Winnetou nicht mehr bei uns und er glaubte, mir unten an der Mündung des Rio Boxo eine Nachricht hinterlassen zu können. Dann ritt er mit seinen Apatschen fort, um Santer zu verfolgen. Mit dem Kanu, worin ich Pida entführt hatte, ruderte ich flussaufwärts, dem Kiowa-Dorf entgegen. Dort presste ich Sam Hawkens von Tangua mit dem Versprechen los, seinen Sohn Pida und den anderen Gefangenen freizulassen. Ich fuhr mit Sam im Kanu zurück zu unserer Insel, während uns zwei andere Kanus mit vier unbewaffneten Kiowas folgten, denen wir die beiden Gefangenen übergaben. Dann stiegen wir auf unsere Pferde und lenkten sie zur linken Seite des Flusses hinüber. Es galt, in dieser Nacht einen tüchtigen Ritt zu tun.
Freitag, 4. Januar 1861:3
Als sich Winnetou von mir getrennt und ich Sam Hawkens befreit hatte, gelangten wir nach einem wahren Gewaltritt an die Einmündung des Süd-Arms in den Red River, trafen aber keinen von Winnetous Apatschen an. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns direkt nach St. Louis zu wenden, wo wir nach langem Ritt heute Abend ankamen. Von Mr. Henry, den ich sofort aufsuchte, erfuhr ich, dass Winnetou hier gewesen war, aber Santer noch nicht hatte einholen können. Er wollte ihm nach New Orleans folgen.
Mr. Henry erzählte mir auch, dass im November vergangenen Jahres ein neuer Präsident gewählt worden war, nämlich der Republikaner Abraham Lincoln. Daraufhin sei, wie vorher angekündigt, der Staat South Carolina aus der Union ausgetreten und weitere Staaten des Unteren Südens wollten folgen. Wie es schien, brachen die Vereinigten Staaten von Amerika auseinander, und Mr. Henry prophezeite, wenn das geschehe, käme es bestimmt zu einem Bürgerkrieg.
Samstag, 5. Januar 1861:
Mit Sam Hawkens war ich im Vermessungsbüro der Atlantic and Pacific Company, um die Messgeräte und die Zeichnungen abzuliefern und meinen vereinbarten Lohn abzuholen.
Samstag, 12. Januar 1861:
Die Hälfte der Summe, die den Lohn meiner Arbeit bildete, schickte ich nach Hause und den größeren Teil der anderen Hälfte hinterlegte ich auf einer Bank als Rücklage. Ich hatte den Atem der Savanne getrunken, doch nicht lange genug, um ihrer Lockungen überdrüssig geworden zu sein, denn am nächsten Tag wollte ich wieder ins Indianerland aufbrechen.
Dienstag, 30. Juli 1861:
Ich verwendete die Wintermonate zu Sprachstudien bei verschiedenen Indianerstämmen, die den Apatschen freundlich gesinnt waren. Im Frühling wechselte ich dann über das Felsengebirge hinüber und besuchte die Mormonenstadt am Großen Salzsee. Es lockte mich dann, noch weiter nach Norden in die Gegend des Yellowstone-Sees zu reiten. Ich hatte dort oben ein gefährliches Erlebnis mit den Sioux-Ogellallah zu bestehen: Ich stand auf einem Felsen, und sie konnten mich mit ihren Kugeln nicht erreichen. Da trat ich hervor und erbot mich, mit dreien von ihnen zu kämpfen, sie mit dem Tomahawk und ich ohne Waffe. Ich habe sie alle drei mit der Faust erschlagen, darunter Pethaschitscha (‚Böses Feuer‘), den stärksten Mann des Stammes.4 – Hierauf überstieg ich abermals das Felsengebirge und wendete mich nach Süden.
In Fort Sill erfuhr ich vom Colonel Olmers, dem Kommandanten des Forts5, dass am 12. April zwischen den Nord- und den Südstaaten Krieg ausgebrochen sei. Doch der werde sicher bald vorbei sein, denn der Präsident habe 75.000 Freiwillige für 90 Tage einberufen, die es den Rebellen schon zeigen würden, wer der Herr im Hause Amerika sei. Hier in Fort Sill lernte ich den Engländer Emery Bothwell kennen, der sich mir auf meinem weiteren Ritt anschloss.
Im Apatschen-Pueblo wurden wir mit Jubel empfangen. Zu meiner großen Freude war Winnetou anwesend, der schon vor Monaten, leider ergebnislos, von der Verfolgung Santers zurückgekehrt war. Wir verlebten vier Wochen bei den Apatschen, dann aber machte sich der Gedanke an die Heimat mit aller Macht in mir geltend. Auch Bothwell verlangte nach Hause. Ich nahm von Winnetou Abschied, voraussichtlich für längere Zeit. Unterwegs verabschiedete ich mich von Emery Bothwell mit der Zusicherung, ihn drei Monate später in Nordafrika,