»Sie wollen doch damit nicht etwa sagen, daß er wirklich daran glaubt, Sybil?«
»Fragen Sie ihn doch selbst, Lady Windermere – da ist er.« Lord Arthur kam den Garten herauf mit einem großen Strauß gelber Rosen in der Hand, und seine zwei Kinder umtanzten ihn.
»Lord Arthur!«
»Ja, Lady Windermere.«
»Wollen Sie mir wirklich einreden, daß Sie an Chiromantie glauben?«
»Ganz gewiß glaube ich daran!« antwortete der junge Mann lächelnd.
»Aber warum denn?«
»Weil ich der Chiromantie das ganze Glück meines Lebens verdanke«, murmelte er und setzte sich in einen Korbsessel.
»Was verdanken Sie ihr, lieber Lord Arthur?«
»Sybil«, antwortete er und überreichte seiner Frau die Rosen und schaute in ihre blauen Augen.
»Was für ein Unsinn!« rief Lady Windermere. »Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht solchen Unsinn gehört.«
DER MODELLMILLIONÄR
EIN ZEICHEN DER BEWUNDERUNG
Wenn man nicht reich ist, hat es keinen Sinn, ein netter Junge zu sein. Romantik ist das Vorrecht der Reichen, nicht der Beruf der Arbeitslosen. Der Arme muß praktisch und prosaisch sein. Es ist besser, ein sicheres Einkommen zu haben, als die Leute zu bezaubern. Das sind die großen Wahrheiten des modernen Lebens, die Hugo Erskine niemals erkannte. Armer Hugo! In intellektueller Beziehung, das muß ich zugeben, war er freilich nicht von großer Bedeutung. Er hat nie in seinem Leben ein glänzendes oder auch nur ein bissiges Wort gesagt – aber er sah wunderhübsch aus mit seinem krausen braunen Haar, seinem feingeschnittenen Profil und seinen braunen Augen. Er war ebenso beliebt bei Männern wie bei Frauen, und er hatte jede Tugend, nur nicht die, Geld machen zu können. Sein Vater hatte ihm seinen Kavalleriesäbel und eine Geschichte des spanischen Erbfolgekriegs in fünfzehn Bänden hinterlassen. Hugo hing den ersteren über seinen Spiegel und stellte die letzteren auf ein Regal zwischen Ruff's Guide durch London und Bailey's Magazine und lebte von zweihundert Pfund im Jahr, die eine alte Tante ihm aussetzte. Er hatte alles versucht. Er war sechs Monate auf die Börse gegangen; aber was soll ein Schmetterling zwischen gierigen Raubtieren anfangen? Etwas längere Zeit war er Teehändler gewesen, aber Pekoe und Souchong langweilten ihn bald. Dann hatte er versucht, herben Sherry zu verkaufen. Das ging nicht – der Sherry war etwas zu herb. Endlich war er nichts weiter als ein entzückender, harmloser junger Mann mit einem vollendeten Profil, aber ohne Beruf.
Um das Übel voll zu machen, war er überdies verliebt. Das Mädchen, das er liebte, war Laura Merton, die Tochter eines pensionierten Obersten, der seine gute Laune und seine gute Verdauung in Indien verloren hatte und keines von beiden je wiederfand. Laura betete Hugo an, und er war bereit, ihre Schuhbänder zu küssen. Es gab kein hübscheres Paar in London, aber sie besaßen zusammen keinen Heller. Der Oberst hatte Hugo sehr gern, wollte aber nichts von einer Verlobung wissen.
»Kommen Sie zu mir, mein Junge, wenn Sie einmal zehntausend Pfund besitzen – dann werden wir weiter sehen«, pflegte er zu sagen; und an solchen Tagen blickte Hugo sehr sauer drein, und Laura mußte ihn trösten.
Eines Morgens, als er gerade auf dem Wege nach dem Holland Park war, wo die Mertons wohnten, kam ihm der Gedanke, einen guten Freund, Alan Trevor, zu besuchen. Trevor war ein Maler. Es gelingt heutzutage wirklich wenig Leuten, dies nicht zu sein. Aber er war auch ein Künstler, und Künstler sind doch schon etwas seltener. Äußerlich war er ein seltsam grober Bursche mit einem sommersprossigen Gesicht und einem wilden roten Bart. Wenn er aber seinen Pinsel in die Hand nahm, war er ein wirklicher Meister, und seine Bilder waren sehr gesucht. Er war anfangs von Hugo lediglich seiner äußeren Vorzüge wegen entzückt gewesen. »Die einzigen Leute, mit denen ein Maler verkehren sollte«, pflegte er zu sagen, »sind Leute, die dumm und schön sind, Leute, die anzusehen ein künstlerischer Genuß ist, und bei denen der Geist ausruht, wenn man mit ihnen spricht. Männer, die Dandys und Frauen die Darlings sind, regieren die Welt oder sollten es wenigstens.« Als er aber Hugo besser kennenlernte, gewann er ihn ebenso lieb wegen seines frischen, heiteren Wesens und seiner sorglosen, noblen Natur; und so hatte er ihm erlaubt, ihn jederzeit in seinem Atelier zu besuchen.
Als Hugo eintrat, war Trevor gerade dabei, die letzte Hand an ein wundervolles, lebensgroßes Bildnis eines Bettlers zu legen. Der Bettler selbst stand auf einer erhöhten Plattform in einer Ecke des Ateliers. Es war ein vertrocknetes, zerknittertes altes Männchen mit einem Gesicht wie Pergament und mit einem sehr kläglichen Ausdruck in den Zügen. Über seine Schulter war ein elender brauner Mantel geworfen, ganz zerfetzt und zerlumpt. Seine plumpen Schuhe waren geflickt, und mit einer Hand stützte er sich auf einen derben Stock, mit der anderen hielt er seinen zerschlissenen Hut nach Almosen hin.
»Welch ein verblüffendes Modell!« flüsterte Hugo, als er seinem Freund die Hand schüttelte.
»Ein verblüffendes Modell?!« schrie Trevor mit der ganzen Kraft seiner Stimme. »Das will ich wohl meinen! Solchen Bettlern begegnet man nicht alle Tage. Eine trouvaille, mon cher, ein lebender Velasquez! Beim Himmel – was für eine Radierung hätte Rembrandt nach ihm gemacht.«
»Armer alter Kerl!« sagte Hugo. »Wie elend er aussieht! Aber für euch Maler muß ja sein Gesicht ein wahres Vermögen bedeuten.«
»Gewiß«, antwortete Trevor. »Sie können ja schließlich nicht verlangen, daß ein Bettler glücklich aussieht.«
»Wieviel bekommt ein Modell für eine Sitzung?« fragte Hugo, nachdem er sich bequem auf den Diwan niedergelassen hatte.
»Einen Schilling für die Stunde.«
»Und wieviel bekommen Sie für ein Bild, Alan?«
»Na – für das bekomme ich zweitausend.«
»Pfund?«
»Guineen. Maler, Poeten und Ärzte rechnen immer nur nach Guineen.«
»Das Modell sollte eigentlich eine Tantieme bekommen!« rief Hugo lachend. »Es hat eine ebenso schwere Arbeit wie Sie.«
»Unsinn, Unsinn! ... Sehen Sie nur, was mir das Farbenauftragen allein schon für Mühe macht, und glauben Sie, es ist nichts, so den ganzen Tag vor der Staffelei zu stehen? Sie haben leicht reden, Hugo, aber ich versichere Sie, daß es Augenblicke gibt, wo die Kunst fast die Würde des Handwerks erreicht. Aber jetzt stören Sie mich nicht – ich habe noch sehr viel zu tun! Nehmen Sie eine Zigarette und verhalten Sie sich ruhig.«
Nach einiger Zeit kam der Diener herein und sagte Trevor, daß der Rahmenmacher ihn zu sprechen wünsche.
»Laufen Sie nicht davon, Hugo«, sagte er, als er hinausging. »Ich bin im Augenblick zurück.«
Der alte Bettler benützte die Abwesenheit Trevors, um sich ein wenig auf der hölzernen Bank, die hinter ihm stand, auszuruhen. Er sah so verloren und elend aus, daß Hugo Mitleid mit ihm haben mußte. Er suchte in seinen Taschen, um zu sehen, was er an Kleingeld bei sich habe. Er fand aber nur einen Sovereign und einige Kupfermünzen. ›Armer alter Kerl‹, sagte er zu sich selbst. ›Er braucht das Geld nötiger als ich. Für mich bedeutet das allerdings vierzehn Tage lang keinen Wagen.‹ Er ging durch das Atelier und schob den Sovereign in die Hand des Bettlers.
Der alte Mann sah verwundert auf, und ein schwaches Lächeln zuckte um seine vertrockneten Lippen. »Danke, Sir«, sagte er, »danke.«
Dann kam Trevor zurück, Hugo nahm Abschied und errötete dabei ein wenig über seine Tat. Er verbrachte den Tag mit Laura, sie schalt ihn liebenswürdig wegen seiner Extravaganz, und dann mußte er zu Fuß heimgehen. Gegen elf Uhr abends ging er noch in den Paletteklub, und dort fand er Trevor, der einsam im Rauchzimmer saß und Rheinwein mit Selterswasser trank.
»Nun,