Offenbar hatte Sanderus hier den Weg verlassen und war in den Waid eingedrungen, indem er den Spuren der großen Hufe nachging, die zwar nicht so tief wie auf der Landstraße, aber doch ziemlich deutlich waren, denn das mächtige Tier hatte bei jedem Schritte die Zweige der Fichtenbäume in den Torfgrund gestampft und schwarze Flecken an diesen Zweigen zurückgelassen. Auch andere Spuren blieben den scharfen Augen Zbyszkos nicht verborgen, daher bestieg er wieder sein Pferd, Macko das seine, und sie begannen nun miteinander und mit dem Böhmen in so leisem Tone zu beraten, wie wenn der Feind dicht daneben gewesen wäre.
Der Böhme gab ihnen den Rat, den Weg zu Fuß fortzusetzen, aber dies wollten sie nicht thun, weil sie nicht wußten, wie weit sie noch durch den Wald zu ziehen hatten. Einige der unberittenen Mannen sollten indessen vorausgeschickt werden und, falls sie etwas Besonderes gewahrten, ein Zeichen geben, damit die Reitersmänner sich in Bereitschaft setzen konnten.
So ritten sie denn unverweilt weiter durch den Wald. Ein zweiter Einschnitt an einem Fichtenbaume zeigte ihnen, daß sie Sanderus’ Spur nicht verloren hatten. Binnen kurzem bemerkten sie auch, daß sie sich auf einem ziemlich begangenen Wege, oder vielmehr Fußpfad befanden. Nun waren sie überzeugt, daß sie auf irgend eine Ansiedelung stoßen und die Flüchtlinge dort finden mußten.
Die Sonne neigte sich schon dem Untergange zu und schimmerte golden zwischen den Bäumen hervor. Der Abend versprach schön zu werden. Tiefe Stille herrschte im Walde, denn für Vögel und anderes Getier war die Zeit der Ruhe gekommen. Nur da und dort unter den von der Sonne beleuchteten Zweigen sprangen noch Eichhörnchen umher, die von den Strahlen rot übergossen waren. Zbyszko, Macko, der Böhme, sowie ihre Knechte ritten im Gänsemarsch, einer hinter dem andern her. In dem sicheren Gefühle, daß die Mannen zu Fuß ihnen um eine beträchtliche Strecke voraus waren und sie nötigenfalls warnen würden, besprach sich der alte Ritter mit seinem Bruderssohn, ohne die Stimme allzusehr zu dämpfen.
»Laß uns nach der Sonne die Zeit berechnen,« sagte er. »Von dem letzten Futterplatze, bis zu der Stelle, wo das Kreuz eingeschnitten war, haben wir eine große Strecke zurückgelegt. Die Krakauer Uhr muß nun ungefähr die dritte Stunde zeigen … Sanderus befindet sich wohl längst bei jenen Rittern und hat auch genug Zeit gehabt, ihnen von seinen Abenteuern zu erzählen. Wenn er uns nur nicht verrät.«
»Er wird uns nicht verraten,« entgegnete Zbyszko.
»Und wenn sie ihm nur glauben,« fügte Macko hinzu, »denn glauben sie ihm nicht, so wird es ihm schlimm ergehen.«
»Warum sollten sie ihm nicht glauben? Und was wissen sie von uns? Aber ihn kennen sie gut. Auch kommt es ja häufig vor, daß Kriegsgefangene entfliehen.«
»Gerade das ist wichtig, denn wenn er ihnen gesagt hat, er sei aus der Gefangenschaft entflohen, werden sie vielleicht aus Furcht, er könne verfolgt werden, sogleich wieder aufbrechen.«
»Dann würde er irgend eine Ausflucht ersinnen, er würde ihnen begreiflich machen, daß eine solche Verfolgung kaum zu erwarten ist.«
Eine Weile schwiegen sie, dann dünkte es Macko, sein Bruderssohn flüstere ihm etwas zu, deshalb wandte er sich an ihn und fragte: »Was sagst Du?«
Doch Zbyszko hatte den Blick gen Himmel gerichtet, er flüsterte Macko nichts zu, aber er empfahl Gott Danusia und seine kühne Unternehmung.
Macko wollte sich bekreuzen und erhob gerade die Hand, als plötzlich einer der vorausgesandten Mannen aus den dichten Haselnußsträuchern hervortrat und zu ihm heranschlich: »Eine Pechsiederei!« sagte er. »Sie sind hier.«
»Halt!« rief Zbyszko in gedämpftem Tone, und im nämlichen Augenblick sprang er schon vom Pferde.
Macko, der Böhme, sowie die Knechte thaten das Gleiche. Drei von diesen erhielten den Befehl, bei den Pferden zu bleiben, sich mit ihnen bereit zu halten und sorgsam darauf zu achten, daß keiner der türkischen Renner wiehere. Zu den fünf andern sagte Macko: »Wir werden zwei Reitknechte und Sanderus dort treffen. Die müßt ihr sofort knebeln und so einer bewaffnet ist und sich zur Wehr setzen will, dann gebt ihm einen Schlag auf den Kopf.«
Und sie gingen vorwärts. Unterwegs flüsterte Zbyszko nochmals seinem Oheim zu: »Ihr stürzt Euch aus den alten Zygfryd, ich mich auf Arnold.«
»Sei nur behutsam!« antwortete der alte Kämpe.
Und er winkte dem Böhmen mit den Augen, indem er ihm dadurch zu verstehen gab, daß er jeden Augenblick bereit sein müsse, seinem Herrn Hilfe zu leisten.
Jener neigte das Haupt, zum Zeichen, daß er dies thun werde. Dabei holte er tief Atem und faßte sein Schwert, um zu sehen, ob es leicht aus der Scheide gehe.
Doch Zbyszko gewahrte dies und sagte: »Nein, Dir befehle ich, sogleich zu der Tragbahre zu eilen und während des Kampfes auch nicht einen Fuß breit von ihr zu weichen.«
In tiefer Stille schritten sie rasch vorwärts, fortwährend zwischen dichten Haselnußbüschen, aber sie waren noch nicht weit gekommen, zweihundertfünfzig Schritte höchstens, als das Gesträuch plötzlich ein Ende nahm und sie auf einer von Buschwerk umsäumten Lichtung standen, wo sich die rauchgeschwärzten Ueberreste einer Pechsiederei und zwei Hütten, oder Erdwohnungen befanden, in denen zweifellos Pechsieder gewohnt hatten, bis sie durch den Krieg daraus vertrieben worden waren. Die Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten mit hellem Glanze die Wiese, die rußigen Ueberreste und die beiden ziemlich weit voneinander entfernt stehenden Erdwohnungen. Auf einem gefällten Baumstamme vor der einen saßen zwei Ritter, vor der andern ein breitschultriger, rothaariger Mann und Sanderus. Diese beiden waren damit beschäftigt, einige Panzer mit Lappen abzureiben, und zu Sanderus’ Füßen lagen auch zwei Schwerter, welche er offenbar später reinigen wollte.
»Sieh!« sagte Macko, den Arm Zbyszkos fassend, um ihn noch einen Augenblick zurückzuhalten, »absichtlich hat er ihnen Schwerter und Panzer genommen. Das ist gut! Der mit dem grauen Haupte muß …«
»Vorwärts!« schrie Zbyszko plötzlich, und der Windsbraut gleich stürmten sie aus die Wiese hinaus. Die beiden Ritter sprangen sofort auf, doch bevor sie noch zu Sanderus gelangen konnten, hatte Macko den alten Zygfryd schon an der Brust gepackt, nach rückwärts gebogen und sich auf ihn geworfen. Zbyszko und Arnold fuhren aufeinander wie zwei Habichte, umschlangen sich mit den Armen, und nun begann ein verzweifeltes Ringen. Der breitschultrige Deutsche, welcher zuvor neben Sanderus gesessen hatte, griff zwar sofort nach einem Schwert, doch ehe er im stande war, es zu gebrauchen, schlug ihm Wit, einer der Mannen Mackos, mit der Streitaxt auf das rote Haupt und streckte ihn zu Boden. Dann warfen er und die andern Mannen sich dem Befehle des alten Ritters gemäß auf Sanderus, um ihn zu knebeln. Trotzdem dieser aber wußte, daß es eine verabredete Sache war, brüllte er aus Furcht gleich einem einjährigen Kalbe, dem die Kehle abgeschnitten wird.
Und obgleich Zbyszko so stark war, daß der Saft aus einem Baumzweige quoll, wenn er daran drückte, hatte er nun doch die Empfindung, daß ihn nicht die Hände eines Menschen, sondern die Tatzen eines Bären umklammert hielten. Auch fühlte er, daß ohne den Panzer, welchen er trug, weil er sich gesagt hatte, daß sich wohl manch scharfe Lanzenspitze gegen ihn richten werde, der riesenhafte Deutsche ihm vielleicht die Rippen oder das Rückgrat zerbrochen hätte. Zwar hob ihn der junge Ritter ein wenig in die Höhe, aber jener hob ihn noch höher, und all seine Kraft zusammennehmend, versuchte er ihn derart zu Boden zu schmettern, daß er sich nicht mehr zu erheben vermochte.
Doch Zbyszko preßte den Deutschen ebenfalls gewaltsam zusammen, bis dessen Augen mit Blut unterlaufen waren, dann schob er seinen Fuß zwischen dessen Beine, stieß ihn an die Kniekehle und streckte ihn hin. Zwar fielen beide gleicherweise zu Boden, Zbyszko nach unten, aber in diesem Augenblick warf Macko, dem nichts entging, den halbtoten Zygfryd seinen Knechten zu, stürzte zu den Liegenden heran und hatte im Nu Arnolds Füße mit seinem Gürtel gebunden. Dann setzte