Eigentlich mag ich Elga nicht allein lassen. Zögernd schließe ich die Luke. In der Koje muß ich mich mit Kissen und Decken festkeilen, so rollt das Schiff. An der Bordwand neben meinem Ohr höre ich das Wasser zischen und gurgeln. Ich will wieder hoch und mit Elga sprechen. Doch die Müdigkeit überwältigt mich.
Ich schrecke hoch. 06 Uhr. Wasser poltert über Deck. »Kairos« liegt hart über und arbeitet schwer.
»… müssen reffen!« ruft Elgas Stimme.
Ich ziehe Ölzeug an – vergesse die Gummistiefel diesmal nicht – und steige an Deck. Graue, schaumgeäderte Seen mit weißen Kämmen formen einen unfreundlichen Hintergrund zu Elgas hockender Ölzeuggestalt. Der Wind hat auf Ost gedreht und weht mit Stärke 6. Schritt für Schritt arbeite ich mich zum Mast, fiere das Großsegelfall, so daß das Segel Lose bekommt, die ich mit der Reffkurbel auf den drehbaren Großbaum drehe. Einmal. Zweimal. Meine Arme werden lahm, weil ich mich immer wieder festhalten muß. Beim dritten Mal breche ich mir den Daumennagel ab. Der Schmerz macht mich wach. Einschließlich des Reffens vom Vorabend ist das Segel jetzt fünfmal eingedreht, die Segelfläche entsprechend verkleinert.
»Er liegt noch hart«, sagt Elga, als ich nach achtern komme.
»Wir wechseln das Vorsegel.«
Schritt für Schritt und Hand über Hand arbeite ich mich zur Segelkammer hinunter. Gischt trommelt aufs Kajütsdach. Mit der Baumfock unterm Arm arbeite ich mich wieder an Deck, berge die Genuafock und setze die Baumfock. Das dauert fast 25 Minuten einschließlich des Aufklarens der Leinen und des Verstauens der Genuafock. Von außen salzwassergebadet, von innen schweißdurchnäßt sitze ich atemlos im Cockpit.
»Die Sicht ist miserabel.«
Eine See unterläuft das Schiff. Das Leedeck taucht in Schaum und Nässe, während von Luv hochknallende Gischt über uns hinwegfegt. Am Himmel wehen Nebelwolken, der Horizont ist dunstverhüllt. Da, vor uns in Unsichtigkeit verborgen, liegt die spanische Küste − 20 Seemeilen entfernt nach unserer Koppelrechnung.
Bis zum Beginn meiner Wache habe ich noch eine Stunde Zeit. Ich klettere in die Koje und horche auf das Rauschen, Poltern und Trommeln der groben See. Ich bin müde, hundemüde. Habe ich Angst? Klebriger Schweiß läuft mir über Stirn und Brust. Werde ich seekrank? Schlafen jedenfalls kann ich nicht.
Zum Wachwechsel um 08 Uhr, nach einem hastigen Frühstück, das ich hinunterwürge, übernehme ich die Pinne. Von der Küste ist nichts zu sehen. Sie ist zwischen 400 und 600 Meter hoch, steil steigt sie auf. So habe ich im Handbuch gelesen.
Unentwegt bahnt »Kairos« sich seinen Weg. In die vom Bug aufgeworfenen Gischtwolken zaubert die manchmal aus dem Dunst tauchende Nebelsonne Regenbogenfarben. Die Sicht beträgt höchstens 2 Seemeilen.
09 Uhr. Noch immer keine Küste in Sicht. Einige Möwen umfliegen das Schiff. Ich bin unruhig und nervös. Ob Elga schläft? Ich starre und fühle mich blind. Es ist schwer, Küsten zu verlassen und in ein solches Hundeleben hineinzusegeln – aber es ist ebenso schwer, sich ihnen zu nahen. Teufel, ich sehe nichts!
Vor drei Tagen verließen wir Brest. Der Wetterbericht meldete ein Hoch südwestlich von Irland. Blauträumend blieb die französische Küste achteraus.
10 Uhr. Es muß jetzt die Küste in Sicht kommen. Dunstschwaden verhüllen wieder die Sonne. Der Tag wird sofort um einige Nuancen dunkler.
Ich springe auf – aber es ist nur ein Fischkutter, der Backbord voraus auftaucht und erschreckend schnell vom gelb-grauen Nichts verschluckt wird. Möwen, Fischkutter – das sind Zeichen von Landnähe.
Aus der Bucht von Brest liefen wir bei leichtem Nordwestwind in einen klaren Abend hinein. Leuchtfeuer sandten Grüße hinter uns her, die schwächer und schwächer wurden. Lange blickte ich zurück.
10 Uhr 45. Ich blicke voraus. Wenn die Küste jetzt nicht in Sicht kommt, müssen wir abdrehen. Das Risiko ist zu groß: blind bei fast auflandigem Wind vor einer unbekannten Küste zu segeln. Ich zögere, weil es schwerfällt, ein Ziel aufzugeben.
Voraus steht eine dunkle Wolkenbank mit ausgefransten, hellen Oberrändern. Eine Bö.
»Elga!« rufe ich.
Die Wolkenwand steht steinern unbewegt. Ihre hellen Ränder sind Nebelschwaden über Felsenhängen!
»Elga! Schnell! Land! Land voraus!«
Ich gehe auf Westkurs. Elga zieht sich hastig an. Der Wind unter der Küste nimmt aus Ost rasend zu, warme Böen beginnen zu fallen. Die Sonne kommt durch und wirft Licht auf einen Felsgrat. Und da, da ist der Leuchtturm von Punta Candelaria! Hoch über uns wie ein weißes Schwalbennest hängt er am Felsen.
Wir fallen uns in die Arme und lachen und singen. Der Wind läßt das Meer tanzen. Er heult in Böen, er ist heiß und riecht nach Erde, nach Kiefern und Eukalyptus. Die Biskaya ist überquert. Am Abend kurz vor Sonnenuntergang ankerten wir hier im Hafen von La Coruña. Einige englische und französische Jachten lagen ebenfalls vor der Pier des Real Club Nautico. Stadt und Hafen sind laut und schmutzig – aber was tut’s: der Himmel wurde leuchtend blau.
Während ich dies schreibe, packt Elga dicke Pullover und Wollhosen in die tiefsten Tiefen der Schränke.
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Madeira, im September 1964 |
Damals in La Coruña: Die Einreiseformalitäten für Spanien begannen am Morgen nach unserem Einlaufen auf der sonnenüberstrahlten Treppe des Real Club Nautico. Ein Beamter in Zivil und ein Matrose der Hafenpolizei hielten vergebens Ausschau nach einer Übersetzmöglichkeit zu unserem Schiff. Aus ihrem Gestikulieren war unschwer der Wunsch engeren Kontaktes mit uns abzulesen.
Wir machten unser Schlauchboot klar und ruderten zur Pier. Elga lud die Beamten ein, an Bord zu kommen, was sie jedoch mit Seitenblicken auf unser Schlauchboot einerseits und die dicke Ölschicht auf dem Hafenwasser andererseits ablehnten.
Auf einer Bank unter den Arkaden des Clubhauses füllten wir ein postkartengroßes Formular aus, das u. a. die Frage aufführte, über wieviele Kanonen das eingelaufene Schiff verfüge. Das war nach einem Blick in unsere Pässe der dienstliche Teil.
Elga führte anschließend ein langes Gespräch mit dem Sefior in Zivil. Er sprach mit den Händen ebenso lebhaft wie mit den Lippen. Seine schwarzen Augen glänzten. Der Matrose und ich blieben stumm – er wegen dienstlicher Bescheidenheit, ich wegen mangelnder Sprachkenntnisse. Unsere Blicke streiften sich mehrmals und sagten: Hombre, was die alles zu quasseln haben, was? Wir fühlten nach einer halben Stunde bereits innige Freundschaft.
Das Gespräch endete schließlich mit hinreißendem Lächeln des Beamten und unzähligen »muchas gracias« meiner Frau. Wir schüttelten uns alle herzgewinnend die Hände, wobei mir die derbe Faust des kantabrischen Bauernsohnes ohne Boot, aber in Matrosenuniform fast die Hand zerquetschte.
»Um was ging es denn eigentlich?« fragte ich Elga, als wir zu »Kairos« zurückruderten. »Heiratsantrag?«
»O nein«, sagte Elga bescheiden, »ich fragte ihn nur nach der Bankadresse.«
Wir blieben nicht lange in La Coruña. Der Hafen wird von vielen kohlefeuernden Fischdampfern angelaufen: so kann sich jeder leicht den Schmutz, der dort allgegenwärtig herrscht, vorstellen. Weiter nach Westen um das Cap Finisterre, dann nach Süden, segelten wir an der spanischen Küste entlang. Abends liefen wir in Buchten ein und ankerten. Angaben über die Brauchbarkeit der gewählten Ankerplätze entnahmen wir dem Seehandbuch und der Seekarte, wobei wir das herrschende Wetter und seine mögliche Entwicklung berücksichtigten. Wir verließen uns dabei nicht ausschließlich auf die Seewetterberichte, vertrauten auch der eigenen Entschlußkraft, den rechten Augenblick für unser Handeln zu finden. »Kairos« nannten die griechischen Philosophen jenen gewollten und schicksalsbegünstigten Augenblick, dessen Begreifen und Ergreifen für