Das rote Meer. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711466780
Скачать книгу
aus. „Ach, Annemarie denkt da nicht weiter viel drüber nach.“

      An dieses Gespräch hatte Hedwig oft denken müssen. Dämmerte bereits eine Ahnung in ihrem Rudolf, dass die junge Frau, die er hatte, doch nicht die Frau seines Lebens war? „Gebe Gott, dass er glücklich bleibt!“ Es war der Mutter heimliches Gebet.

      II

      Annemarie Bertholdi, geborene von Lossberg, stand in ihrem Ankleidezimmer. Sie liess sich ein neues Kleid anprobieren. Man sah es, sie hatte geweint. Am Morgen war ein Brief von Rudolf gekommen. Es musste schrecklich sein am Winterberg. Wenn er so kurz schrieb, so kurz und ernst, dann stand ihm immer Schweres bevor.

      Die junge Frau hatte sich die Kriegskarte geholt. Anfangs hatte sie da immer kleine Fähnchen gesteckt — das Vorrücken ging so rasch, man musste die fast jeden Tag ein bisschen weiter herausstecken — nun aber blieben sie schon eine lange Weile immer auf derselben Linie. Die Franzosen waren hartnäckig. Ach, ihr armer Rudolf! Annemarie waren die Tränen gekommen. Nun aber blickte ihr Auge voller Interesse auf die Hände des Fräuleins, das vor ihr am Boden kniete und von unten herauf den Saum des duftigen Kleides anblinzelte.

      „Wird es mich auch nicht zu stark machen, wenn der Rock noch kürzer ist? Ich möchte ihn ja gern so kurz haben, es ist viel moderner, aber —!“ Die hübsche Frau blickte bedenklich. Seit des Knaben Geburt drohte sie etwas sehr üppig zu werden. Dick, das war ihr ein angstvoller Gedanke.

      „Gnädige Frau haben eine prachtvolle Figur,“ versicherte das Fräulein, nahm Nadel um Nadel von dem Kissen, das, gestachelt wie ein Igel, neben ihr am Boden lag, und steckte den Saum noch kürzer um. „Und gnädige Frau haben ein hübsches Füsschen — und dann das elegante Schuhwerk!“ Bewunderung und Neid waren in dem Blick, mit dem die blasse Person das tadellose Schuhwerk der Dame musterte. Sie erhob sich und stand mit verriesterten Schuhen auf schiefgelaufenen Absätzen. „Es ist schrecklich; wenn man auch einen Bezugsschein hat, Schuhe kriegt man darum doch nicht. Und man braucht doch welche. Man zerreisst so viel bei dem ewigen Rumstehen und Laufen.“

      Die junge Frau lächelte zerstreut, sie musterte sich im Spiegel; dann vertiefte sie sich mit der Schneiderin in die Vorzüge und Nachteile des kurzen Rocks. —

      Annemarie hatte Freude an schönen Kleidern, gerade weil sie als arme Offizierstochter früher immer hatte plundrig gehen müssen. Ihre Fähnchen durften nicht viel kosten. Die Brüder hatten es besser gehabt, die kamen in des Königs Rock, der sah immer nach was aus. Es war jetzt für die junge Frau Bertholdi das grösste Vergnügen, von Laden zu Laden zu ziehen und Sammete und Seiden zu durchmustern. Erstaunlich, was für schöne Stoffe noch vorhanden waren, freilich kosteten sie ein Vermögen. Wollstoffe waren kaum noch aufzutreiben; das war weiter nicht schlimm, dann trug man eben Seide.

      Ein Glück für Annemarie, dass heute diese Zerstreuung gekommen war. Der ernste kurze Brief ihres Mannes hatte sie schon verstimmt, ein Brief ihrer Mutter hatte ein übriges getan. Deren Briefe waren immer wenig erfreulich.

      Frau Oberst von Lossberg hatte nicht die Absicht, der Tochter zu klagen — sie klagte auch nie über die drückend engen Verhältnisse, in denen sie nach dem Tode ihres Mannes, des Obersten, in dem kleinen Städtchen an der Lahn lebte, — aber sie konnte die Herzensangst nicht verbergen, unter der sie jetzt ständig litt. Nicht den beiden Jüngsten, die bei Annemaries Hochzeit noch Kadetten gewesen, jetzt auch schon an der Front waren, galt diese Angst. Es war ihr selbstverständlich, dass die beiden Jungen bei der langen Dauer des Krieges auch noch drankamen. Frau von Lossbergs Klagen galten dem ältesten Sohne, dem ‚schönen‘ Lossberg, wie er im Regiment hiess. Von seinem Krankenlager in Sofia hatte sich der Leutnant ein Anhängsel mitgebracht, das die Mutter in Kummer und Empörung versetzte: eine Abenteurerin, eine ganz unmögliche Person! Die Krankenschwester, die den Typhuskranken dort gepflegt hatte, war ihm gefolgt; zuerst in die Heimat, wo er sie in seiner Nähe unterbrachte, dann an die flandrische Front. Sie pflegte da in einem Feldlazarett, sie sollte sogar eine ausgezeichnete Pflegerin sein, für Frau von Lossberg blieb sie die Abenteurerin. Dass ein Offizier, ein Lossberg, sich mit solchem Weib kompromittierte! Dann noch lieber Schulden. Diese Person war aus einer Sphäre, die sie an und für sich schon unmöglich machte. Eine Rabbinerstochter aus dem Posenschen. Jochen würde doch um Gottes willen nicht auf den Gedanken kommen, sie zu heiraten?!

      Die beiden jüngeren Brüder waren auch empört. Zufällig waren sie vor einiger Zeit in die Nähe des Älteren gekommen; sie fragten sich durch zu ihm, glücklich, ihn zu überraschen. Sie fanden ihn in einem halbzerschossenen Hause, das als Kasino eingerichtet war, in einem Kreis von Offizieren und mit — jener Person. Die sass in ihrer Tracht — schwarzes Kopftuch, weisser Streifen mit rot eingestickten Kreuzen, blauweisses Leinenkleid, weisse, im Rücken gekreuzte Schürze — auf einem Tisch und baumelte mit den Beinen. Die Herren standen lachend um sie herum, sie gab gerade ein paar Schwänke aus ihrem Leben zum besten.

      Im heutigen Brief flehte Frau von Lossberg die Tochter an: vielleicht war es ihr, der Schwester, die der ältere Bruder immer sehr geliebt hatte, möglich, ihn von dieser Person abzubringen? ‚Wenn der Vater das wüsste! Er bringt Schimpf und Schande über unsere Familie.‘

      Zu dumm von Jochen, der Mutter die ganze Geschichte auf die Nase zu binden! Die junge Frau wurde rot vor Ärger. Erzählt hatte er’s geradeheraus, gelacht, als er das Entsetzen der Mutter sah: was war denn da Schlimmes, man hatte sich lieb, jetzt war Krieg, das Weitere würde sich schon finden. Schneid hatte der Jochen, das musste man ihm lassen, und dass er ein bisschen leichtsinnig war — lieber Gott! Annemarie legte den hübschen Kopf auf die Seite: war das denn so schlimm? Sie sah mit blinzelnden Augen hinaus in den heissen Garten und träumte. Dann gähnte sie. Es war hart, sehr hart, so allein zu sein. Herr Gott, wie langweilig!

      Es gab für Annemarie nichts im Hause zu tun. Noch immer waren die gleichen Dienstboten da. Selbst das Hausmädchen, die Emilie, hatte die Schwiegermutter behalten. Emiliens Bräutigam war im Krieg, ihr Kind hatte sie in Pflege gegeben, erst wenn Friede war, würde sie heiraten. Den kleinen Rudi versorgte die Wärterin. Die junge Frau gähnte wieder: ach, wie langweilig! Sie hätte lieber ihr Hauswesen für sich allein gehabt, aber davon wollte Rudolf nichts wissen. Gut aufgehoben war sie ja hier. Sie hatte sich nur längst an all das, was sie als Mädchen, aus bescheidenen Verhältnissen kommend, bejubelt hatte, gewöhnt. Ihre Freundin Lili hatte es viel angenehmer, die war gänzlich ihr eigener Herr. Die war ja auch schon Witwe, hatte mit ihren fünfundzwanzig Jahren bereits etwas hinter sich. Lili hatte ein paar Jahre in Italien gelebt, als Frau des italienischen Leutnants Rossi, und war dann, seit der im ersten Kriegsjahr bei den Kämpfen in Tirol gefallen war, hierher zurückgekommen. Ihre Mutter, die Generalin von Voigt, redete ihr in nichts hinein.

      Annemarie runzelte die Stirn: redete man denn ihr in etwas hinein? Selbst wenn sie sich auf ihren Besorgungswegen in der Stadt verspätet hatte und nicht zur Zeit zum Essen da war, verlor der Schwiegervater kein Wort, er, der selber von einer unheimlichen Pünktlichkeit war, besonders bei den Mahlzeiten. Auch die Schwiegermutter sagte nichts weiter, als: „Aber nun iss auch, mein Kind. Wir möchten auch gern bald aufstehen.“ Nun, mochten sie doch aufstehen! Es schmeckte Annemarie genau so vorzüglich, wenn sie allein am Tische sass.

      Es ärgerte Annemarie, dass die Schwiegermutter so wenig Interesse für ihre Besorgungen, für schöne Kleider mehr zeigte. Früher war die ganz anders gewesen, eine so elegante Frau! Auch bei Lili Rossi fand Annemarie nicht den gehofften Widerhall. Trotzdem hatten sich die beiden jungen Frauen befreundet. Das war so gegeben, sie würden ja über kurz oder lang Schwägerinnen werden.

      Lili von Voigt trug keine Trauerkleider mehr um ihren Mann, den Leutnant Rossi. Wenn sie in ihrem lichten Sommerkleid durch die Gartenstrassen ging, leichten Fusses, ohne Hut, Gesicht und Nacken unbekümmert der deutschen Sonne preisgebend, erkannte man in ihr die Frau nicht mehr, die im Frühjahr fünfzehn heimgekehrt war wie eine Flüchtende. Die dann bald in Trauerkleidern schlich. Jetzt ging sie nicht mehr gesenkten Kopfes, auf stolzem Nacken trug sie ihn aufrecht. Lili von Voigt hatte ganz vergessen, dass sie durch ihre Heirat eigentlich Italienerin war; nur dass sie sich als Ausländerin wöchentlich auf dem Amt melden musste, erinnerte sie schmerzlich daran. Doch auch das wurde ihr bald erlassen. Sie fühlte sich wieder ganz als Deutsche; eine ungeheuere Genugtuung