»Gut nachgedacht.« Agatha Simpson nickte. »Stellen Sie sich mal Mister Parkers Überraschung vor, wenn wir plötzlich auftauchen.«
»Mister Parker ist mit einem Hausboot unterwegs, Mylady.«
»So ein Kahn wird sich ja schließlich finden lassen«, lautete die entschlossene Antwort. »Ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden, Kindchen. Überraschen wir also Mister Parker!«
»Ich habe diesen Vorschlag aber nicht gemacht, Mylady«, protestierte Kathy Porter.
»Klammern Sie sich gefälligst nicht an Kleinigkeiten«, tadelte die Detektivin. »Wir werden ihm nur einen kurzen Besuch abstatten und dann zurückfahren. Kommen Sie!«
Lady Agatha zitterte wieder mal vor Aktivität. Sie marschierte auf den Rover zu.
»Soll ich Sie jetzt nicht ablösen, Mylady?« fragte Kathy schüchtern.
»Besser nicht«, lautete die Antwort. »Sie sind immer noch etwas unsicher am Steuer, Kindchen. Ihnen fehlt meine Erfahrung. Ich werde mich schon melden, wenn ich tauschen möchte.«
»Mylady!« Kathy hatte mehr gesehen als Agatha Simpson. Sie deutete zur Straße hinüber, wo die sechs Motorradfahrer wieder auftauchten. Sie hatten jetzt einen wesentlich besseren Blickwinkel und erspähten den Rover, der sie von der Straße abgedrängt hatte. Die Motorradfahrer bremsten, hielten an und beratschlagten miteinander.
Sie sahen unheimlich aus in ihrer schwarzen Lederkleidung, drohend und gefährlich. Es schien sich um moderne Racheengel zu handeln.
»Was ist denn, Kindchen?« Agatha Simpson hatte sich umgedreht und beobachtete die Motorradfahrer.
»Vielleicht sollte man ganz schnell losfahren, Mylady«, empfahl Kathy Porter nervös.
»Wegen dieser Lümmel da drüben?« Die Detektivin sah ihre Gesellschafterin erstaunt an.
»Wegen dieser Lümmel, Mylady.« Kathy öffnete die Fahrertür und wartete ungeduldig darauf, daß Agatha Simpson endlich einstieg. Mit etwas Glück konnten sie es vielleicht noch schaffen, die nächste Ortschaft zu erreichen ...
Doch es war bereits zu spät.
Die sechs Motorradfahrer fuhren langsam von der Straße herunter und näherten sich der Scheune. Als sie auf der Wiese waren, fächerten sie auseinander und bildeten eine Art Halbkreis.
Der Anführer der Gruppe hielt dicht vor Agatha Simpson an. Sein Gesicht war hinter der getönten Scheibe seines Helmvisiers nicht zu erkennen. Er stellte den Motor ab, kippte die Maschine auf den Ständer und näherte sich mit schleppenden, drohenden Schritten.
»Brauchen wir ’ne kleine Nachhilfestunde, altes Mädchen?« fragte er mehr als salopp.
»Richtig«, gab Agatha Simpson mit dunkel gefärbter Baßstimme zurück. »Wie hätten Sie’s denn gern, junger Mann?«
Der junge Mann mochte etwas über zwanzig Jahre alt sein, ging hart an ihr vorbei, rempelte sie aber nicht an. Er näherte sich dem linken Vorderrad des Rover und hielt plötzlich ein blitzendes Schnappmesser in der lederbehandschuhten Hand.
Seine Absicht, den Reifen zu zerstechen, war unverkennbar.
*
»Jetzt platzt mir aber der Kragen!«
Pete Robson übernahm die Rolle der Dogge und stürzte sich auf den Butler. Er hatte die feste Absicht, diesem komischen und aufdringlichen Mann eine Abreibung zu verpassen. Zudem fürchtete er, daß der Butler Teile der telefonischen Unterhaltung gehört hatte, Es galt also, diesen Mann in die Schranken zu weisen.
Parker besaß erstaunlich gute Nerven, scharfe Augen und ein Gefühl für Zeitabläufe. Er blieb solange in der nur halb weit geöffneten Tür stehen, bis Pete ihn fast erreicht hatte. Als der Untersetzte allerdings den letzten Sprung tat, zog Josuah Parker höflich die Tür zu und sich zurück.
Pete Robson knallte mit voller Wucht gegen die solide Türfüllung und verstauchte sich die rechte Schulter und das rechte Knie. Er rutschte zu Boden und stöhnte.
Der schlanke, drahtige Rob war dicht hinter ihm, riß die Tür auf und zog gleichzeitig seine Schußwaffe. Es handelte sich um eine belgische Automatik Kaliber 7.65. Natürlich wollte er den Butler nicht niederschießen. Er wollte ihn nur nachdrücklich auffordern, doch noch mal zurückzukommen.
Er hatte fest mit einem flüchtenden Butler gerechnet, der auf dem schnellsten Weg die Straße erreichen wollte. Daher auch seine Überraschung, als er knapp hinter der Tür mit dem Butler zusammenstieß. Parker hatte sich nur wenige Zentimeter wegbewegt und grüßte jetzt überaus höflich.
Die stahlblechgefütterte Rundung seiner schwarzen Melone legte sich dabei leider auf die Stirn des jungen Mannes. Rob schnaufte erregt, verdrehte die Augen, seufzte dann fast wohlig auf und taumelte zurück. Er stolperte über Pete, der gerade aufstehen wollte, und schlug der Länge nach zu Boden. Dabei berührte die Hinterpartie seines Schädels den an sich recht staubigen Fußboden. Während das beeindruckende Dröhnen noch zu hören war, wurde Rob bereits ohnmächtig.
Pete hingegen hatte sich ein wenig erholt.
Er robbte über den Boden zu einem Stuhl, drückte sich hoch und riß dann die Sitzgelegenheit schwungvoll in die Höhe. Er gedachte, sie als Wurf- oder Schlaginstrument zu benutzen.
»Falls mich nicht alles täuscht, scheinen Sie ein wenig gereizt zu sein«, stellte Josuah Parker gemessen fest. »Man sollte nie im Zorn handeln, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf.«
»Jetzt mach ich dich fertig!« Pete ging vorsichtig auf sein Opfer zu. Der Stuhl in seiner Hand sah äußerst bedrohlich aus. Pete war ein Mann, der mit solch einem Gegenstand bestimmt umzugehen wußte.
»Möchten Sie meine Entschuldigung schriftlich haben?« Parker griff nach einer der vielen Westentaschen und holte einen völlig normal aussehenden Kugelschreiber hervor. »Den Text können selbstverständlich Sie bestimmen.«
»Ich werde mit dem Stuhl schreiben!« Pete holte noch etwas weiter aus, als habe er die Absicht, Butler Parker ungespitzt in den Fußboden zu schlagen. Er wußte nichts von Parkers Vorliebe für Hilfsmittel und Tricks. Er war völlig ahnungslos.
Parker hatte inzwischen eingesehen, daß sein Gegenüber mit Argumenten nicht mehr zu stoppen war. Daher drückte er auf den Halteclip des Kugelschreibers und wartete in aller Ruhe ab.
Aus der Spitze des Kugelschreibers zischte ein feiner Strahl hervor. Ein Treibgas beförderte ein an sich völlig harmloses Reizmittel in das Gesicht des aufgebrachten und wütenden Mannes. Es traf natürlich auch die Augen von Pete, der unmittelbar darauf eine gewisse Schwäche an den Tag legte. Er brüllte, ließ den Stuhl fallen und rieb sich die schmerzenden Augen.
»Möglichst nicht reiben, wenn ich Ihnen diesen Rat erteilen darf«, ließ der Butler sich vernehmen. »Spülen Sie die Augen mit klarem Wasser aus! Sie werden ehrlich überrascht sein, wie wohl das tut. Miß Robson, vielleicht sollten Sie das übernehmen, ja?«
Maud Robson hatte überhaupt nicht mitbekommen, was passiert war. Sie sah nur, wie ihr Bruder litt. Sie langte nach seinem Arm und handelte sich einen Jagdhieb ein. Sie wurde gegen eine Art Küchenschrank geschleudert und keifte daraufhin ihren Bruder an. Von ihrer schüchternen Sanftheit war längst nichts mehr zu sehen oder zu hören.
Parker hatte das untrügliche Gefühl, auf die Dauer wohl doch zu stören. Er empfahl sich und verließ das Farmhaus. Hier auf dem Gelände gab es ja noch so viel zu sehen ...
*
Obwohl sehr reich, hatte Agatha Simpson etwas gegen Verschwendung. So wollte sie nicht einsehen, daß der Autoreifen zerstochen werden sollte.
»Tun Sie es lieber nicht, junger Mann«, warnte sie den Racheengel in der Ledermontur, der gerade lässig und langsam in die Knie ging.
»Halt die Klappe«, gab er zurück, ohne sich nach der Detektivin umzuwenden. Und genau das hätte er wohl doch besser