„Ich verstehe nur noch Bahnhof“, brummte Franklin.
„Macht nichts“, sagte Shed DeRuyter sanft. „Du wirst nicht fürs Denken bezahlt.“
Er warf einen Blick auf die Uhr und drängte zum Aufbruch. Der bestellte Wagen sollte sie in einer Viertelstunde abholen.
„Hast du die Papiere im Wagen gelassen?“ fragte er im Weggehen noch.
„Führerschein und Wagenpapiere“, nickte Alton. „Beides ist echt.“
In ihren dunklen Anzügen sahen sie wie Mondfahrer auf einem Diplomatenempfang aus. Aber das störte sie nicht weiter. Im Gänsemarsch schlugen sie einen Bogen um die Farm, kamen auf die Zubringerstraße und marschierten diese in südlicher Richtung entlang. Nach einer halben Meile tauchte ein Chevrolet auf. Der Fahrer betätigte dreimal die Lichthupe, als er die drei Gestalten sah. DeRuyter hob den rechten Arm, riß den Hut vom Kopf und setzte ihn mit der linken Hand wieder auf. Das war das vereinbarte Zeichen, und gleich darauf stiegen sie ein.
„Hallo, Lee“, sagte Shed, „unser Plan hat sich etwas geändert. „So kommen wir schneller zum Ziel.“
„Mir soll es recht sein“, brummte der mit Lee Angesprochene, wendete den Wagen und fuhr bis zur Hauptstraße zurück. „Warten wir hier?“
„Ein Stück weiter ist ein Rasthaus, dort fällt es am wenigsten auf“, schlug DeRuyter vor. „Stell dich auf den Parkplatz und halte die Augen offen. Er muß hier vorbeikommen.“
Sie fuhren die halbe Meile weiter, dann rangierten sie den Chevrolet in eine günstig gelegene Lücke, so daß sie schnell starten konnten. So gut es ging machten sie es sich in dem Wagen bequem.
Little Tupper hatte den einzigen Wunsch, in ein Mauseloch kriechen zu können. Er fürchtete nicht die beiden Wärter mit ihren Taschenkanonen, die etliche Maiskolben ummähten. Auf allen vieren kroch er durch das Feld. Wie ein See-Aal wand er sich durch die Halme. Er mußte so schnell wie möglich verschwinden, bevor die große Suchaktion einsetzte und das ganze Gelände abgeriegelt wurde. Als er einen Zwischenraum zwischen zwei Feldern erreichte, konnte er einen Dauerlauf einlegen. Dabei zog er den Kopf so tief wie möglich ein und ging bei jedem Sprung in die Knie.
Im rechten Winkel von der Hauptstraße weg führte ihn die Flucht. Er wußte nicht genau, wo er war und hetzte nur stur weiter. Die Zunge hing ihm schon zum Hals heraus, als er einen kräftigen Baum erblickte, der ziemlich einsam stand. Little Tupper kletterte hinauf und wurde völlig durch die dichtbelaubten Äste verdeckt. Trotzdem fand er genügend Lücken, um die Gegend gut zu überblicken. Er entdeckte eine Meile weiter die Farm, und seine erste Überlegung war, einen großen Bogen darum zu schlagen. Dann besann er sich und war sicher, daß sie noch nichts von seiner Flucht wissen konnten. Vielleicht fand er dort die Möglichkeit, seinen Reiseetat aufzufüllen oder wenigstens ein Fahrrad zu stehlen. Geduckt hielt er darauf zu und fand nach zehn Minuten den Wagen.
Fünf Minuten lang beobachtete er mißtrauisch das verlassene Fahrzeug. Der Ford trug eine Zulassung aus New York und sah noch gut erhalten aus.
Als Tupper näher schlich, sah er das offene Fenster und den Zündschlüssel im Schloß. Bevor er jedoch den Wagen bestieg, erkundete er den Weg und sah vom Besitzer weit und breit keine Spur. Er konnte zumindest bis vor die nächste größere Ortschaft fahren und dort leichter untertauchen.
Wenn ihm nicht der Boden unter den Füßen gebrannt hätte, wäre Little Tupper zu Fuß weitermarschiert. Doch so wischte er alle Bedenken beiseite, kletterte hinein und startete den Wagen. Ein Blick auf die Tankuhr zeigte ihm, daß er nicht sehr weit kommen würde. Gierig nahm er sich eine Zigarette und zündete sie an. Seit drei Tagen das erstemal.
Little Tupper schonte weder Stoßdämpfer noch Reifen. Zweimal krachte die Karosserie auf Unebenheiten auf, aber das störte ihn nicht. Er kam im Bogen auf die Straße zur Farm, entfernte sich von ihr und sah bald die Lichter der Wagen auf einer größeren Straße. Er schätzte die Entfernung zurück und entschloß sich, nach New Brunswick zu fahren. Bis dahin mußte der Sprit reichen, und wenn er wirklich ausging, würde er laufen. Aber dort wußte er, wo genügend Geld auf ihn wartete, und er war sicher, daß ihn die Polizei zuallerletzt in ihrer Nähe vermuteten.
Es war ziemlich hell. Ohne Licht bog er auf die Hauptstraße ein. Dann begnügte er sich mit Standlicht, und als er einen Tanklaster eingeholt hatte, hängte er sich dicht dahinter. Bisher war ihm noch kein Streifenwagen begegnet. Little Tupper begann aufzuatmen. Er pfiff ein Lied vor sich hin und malte sich aus, was er alles mit dem vielen Geld anfangen konnte, zumal er nicht zu teilen brauchte. Keine Gedanken des Bedauerns verschwendete er an seine beiden auf der Strecke gebliebenen Kumpane.
Sooft er auch in den Rückspiegel blickte, niemand verfolgte ihn. Ein einziges Mal tauchten zwei Lichter auf und näherten sich schnell. Little Tupper fuhr langsamer. Doch der Wagen überholte ihn, ohne daß der Fahrer auch nur einen Blick auf den langsam dahinzockelnden Ford warf. Dann war er wieder allein hinter dem Laster.
Rechter Hand tauchte eine Raststätte auf. Er hätte sich gar zu gern einen doppelten Whisky genehmigt, aber erstens war das zu riskant, und zweitens besaß er keinen Cent. Es wurde Zeit, daß er sich ein Stück von dem Kuchen abschnitt, der in New Brunswick auf ihn wartete.
Die Nadel der Benzinuhr pendelte um Null, aber solange sie sich überhaupt bewegte, waren noch ein paar Liter im Tank. Bis New Brunswick hatte er noch etwa fünfzehn Meilen und Little Tupper hoffte, daß der Sprit reichte.
„Das ist er“, sagte Alton Dexter ruhig und warf einen anerkennenden Blick auf Shed. Die Idee, dem flüchtenden Gangster ein fahrbereites Auto direkt in den Weg zu stellen, war goldrichtig gewesen. Es hatte prompt geklappt, und sie brauchten dem Bursehen nur noch zu folgen.
Lee startete augenblicklich, zog den Wagen elegant auf die Straße und fuhr ohne Licht. Sie hatten die Rücklichter des Tankers und des Ford vor sich, und das genügte, um den Verlauf der Straße zu erkennen. Lee behielt ständig den Rückspiegel im Blickfeld, damit er einen nachfolgenden Wagen rechtzeitig erkennen konnte. Sie wollten jetzt nicht einer Verkehrsstreife in die Hände fallen und wegen mangelnder Beleuchtung angehalten werden.
„Mit dem wenigen Benzin bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als sich direkt zum Versteck zu begeben“, kicherte Lee. „Ich wette, er holt sich das gesamte Geld und will sich damit absetzen, bevor alle Straßen abgesperrt werden.“
„Und daß wir hundert Meter hinter ihm hängen, ahnt er nicht einmal“, bestätigte DeRuyter zufrieden. Er sah immer noch so würdevoll aus wie ein Entwicklungsminister im Fernen Osten.
Scheinwerfer tauchten weit hinter ihnen auf. Lee beschleunigte etwas, bis ein Straßenschild auftauchte. Er bremste den Wagen mit der Handbremse ab und fuhr in die Seitenstraße. Da die Bremslichter nicht aufleuchteten, konnte der nachfolgende Fahrer ihn nicht sehen. Dicht am Straßenrand hielten sie, warteten, bis der andere vorbei war, und kurvten dann im Dunkeln zurück. Mit Vollgas jagten sie dem Ford nach, bis sie ihn wieder eingeholt hatten. DeRuyter merkte zuerst, daß es nicht der Ford war, sondern ein Chevrolet, der hinter dem Tankwagen klebte. Er ließ einen wüsten Fluch los, und Lee trat im gleichen Augenblick das Gaspedal bis zum Bodenbrett durch. Jetzt schaltete er das Licht ein und jagte mit Höchstgeschwindigkeit an den beiden Wagen vorbei. Die Straße machte eine große Kurve, und als sie durch waren, sahen sie den Ford. Der Wagen hatte seine Geschwindigkeit erheblich erhöht.
„Laß die Lichter an!“ befahl Shed. „Es fällt ihm jetzt nur auf, wenn du plötzlich dunkel fährst. Wir folgen in größerem Abstand.“
Es waren nur noch ein paar Meilen bis New Brunswick, und kurz darauf tauchten die ersten Häuser auf. Der Ford bremste an der ersten Kreuzeung ab und bog rechts ein.
„Geradeaus!“ zischte DeRuyter, und Lee gehorchte. Er fuhr über die Kreuzung, beschleunigte und nahm mit pfeifenden Reifen die nächste Straße nach rechts.
Sie sahen die Lichtkegel schon kommen. Geistesgegenwärtig schaltete Lee auf Standlicht. Vor ihnen schob sich der Ford über die Kreuzung. Er war wieder abgebogen und hatte die Parallelstraße