Wie aus dem Ei gepellt .... Sandy Penner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandy Penner
Издательство: Bookwire
Серия: Wie aus dem Ei gepellt ...
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960744221
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anno 1812

      Flinkenstein kräuselte erneut ihre Stirn. Osterburg war ihr durchaus als Nachbargemeinde bekannt. Ihre kleine Schwester wohnte dort mit ihrem Mann und den drei Kindern. Aber ob die jemals etwas von einem Meister Eduard Lampe gehört hatten? Hildegard wagte, das zu bezweifeln.

      Sie wollte gerade den gesamten Kram mit einem Kopfschütteln beiseitelegen, als das Telefon klingelte. Am Apparat war ein richterlicher Kollege aus Salzwedel.

      „Du Hildegard, hier ist Klaus“, sagte er glucksend vor Lachen. „Gerade hat mir so ein Spaßvogel ein Osternest vor die Tür gelegt. Mit einem Brief von 1812, hahaha. Verrückte gibt’s vielleicht.“

      Noch etliche weitere Anrufe folgten und trugen mittlerweile zur allgemeinen Belustigung der gesamten Belegschaften bei. Nur Hildegard lachte nicht mit. Die Sache kam ihr irgendwie seltsam und eigenartig vor.

      Am Abend des 24. Aprils legte sie, so blöd sie sich dabei auch vorkam, das Osternest mitsamt eines kleinen Briefes unbemerkt wieder an seinen Ursprungsort zurück. Dann setzte sie sich in ihren Wagen und wartete geduldig. Sie dachte an den kleinen Brief, den sie verfasst hatte:

      Sehr geehrter Herr Lampe,

      ich habe Ihre Klage mit großem Interesse gelesen, muss Ihnen aber leider mitteilen, dass wir für Rechtsangelegenheiten aus dem Jahre 1812 nicht mehr zuständig sind. Die Kollegen in meiner Zeit, das sind Richter und Anwälte aus dem Jahre 2011, dürften mit Glaubensfragen an den, ... nun den Ostereiermacher, etwas überfordert sein. Bitte wenden Sie sich mit Ihrer Klageschrift an die werten Richter ihrer Gegenwart. Außerdem möchte ich Ihnen sagen, dass die Kinder in der heutigen Zeit durchaus noch an sie glauben. Also sehen Sie es den Kleinen nicht so lange nach.

      Liebe Grüße,

      Hildegard Flinkenstein, Richterin

      Wittenberg, anno 2011

      Dann hatte sie umständlich etwas Kerzenwachs auf den sauber gefalteten Zettel geträufelt und mit dem Stempel „Sonderpost“ abgestempelt und samt dem Nest wieder vor die Tür des Amtsgebäudes gelegt.

      Nun starrte sie die ganze Nacht aus dem Fenster ihres Autos. Hildegard wollte unbedingt wissen, wer sie alle zum Narren hielt. Die Kanne mit heißem Tee half ihr wach zu bleiben, doch so sehr sie auch das Nest bewachte und keine Sekunde lang aus den Augen ließ, sie konnte niemanden bemerken. Aber als sie sicherheitshalber gegen halb sechs in der Früh danach schaute, war ihre Nachricht verschwunden und ein weiterer kleiner, versiegelter Brief lag stattdessen darin.

      Die Richterin bekam eine Gänsehaut. Sie entnahm die Nachricht und mit zitternden Fingern brach das Siegel auf.

      Sehr geehrte Frau Flinkenstein,

      ich danke Ihnen für Ihre aufmunternden und ehrlichen Worte. Aber wie um Himmels willen bin ich bloß in das Jahr 2011 gekommen? Ich glaube, ich muss mir meinen Korb einmal ganz genau ansehen. Irgendetwas scheint da mit der Reisemechanik nicht zu stimmen. Vielleicht klemmt auch irgendwo ein Ei? Außerdem bin ich mit den Jahren auch nicht gerade dünner geworden, schließlich muss ich die Qualität der Schokolade ja jedes Jahr aufs Neue prüfen. Und das mit der Klage gegen die Kinder, da haben Sie wohl recht, werte Frau Richterin. Und den Erwachsenen, denen kann man es eh nie ganz recht machen!

      In diesem Sinne wünsche ich ein frohes Osterfest, und schauen Sie doch einmal auf den Rücksitz Ihres eigenartigen Gefährts. Ist nur ein kleines Dankeschön für ihre Beratung.

      Fröhliche Grüße,

      Eduard Lampe, Ostereiermacher

      Osterburg, anno 1812

      Geradezu hektisch blickte Hildegard auf und ging völlig verunsichert zu ihrem Auto zurück. Immer wieder blickte sie sich ängstlich um, doch niemand war weit und breit zu sehen. Der Platz vor dem Gericht war menschenleer, denn schließlich war Ostern. Und auch keine langen Ohren waren in den hübsch bepflanzten Beeten vor dem Gerichtsgebäude zu erkennen. Vorsichtig öffnete sie die hintere Tür ihres Autos und lugte über den Rahmen in das innere hinein. Über und über war der Rücksitz mit den buntesten und schönsten Ostereiern bedeckt. Wenn sie nicht irgendwann tief und fest eingeschlafen war, dann war das hier einfach überhaupt nicht möglich.

      Mit zittrigen Fingern startete sie schließlich das Auto und fuhr nach Hause. Erzählen würde sie wohl niemandem von dieser seltsamen Geschichte, denn wer sollte ihr das schon glauben ...

      Lorenz-Peter Andresen lebt in Wanderup.

      *

      Der kleine Hase Trick und die gestohlene Zeit

      Es war einmal tief im Herzen eines grünen Waldes. Eulen flogen umher, Eichhörnchen hüpften von Ast zu Ast, Bienen summten über einer bunten Blumenwiese und Schmetterlinge flatterten in der Sonne. Der Name des Waldes war Blätterrauschen, weil der Wind dort besonders schöne Lieder sang.

      Inmitten des großen Waldes, in einem gut versteckten Dorf namens Pilzhausen, wohnten die Hasen. Aber es waren keine gewöhnlichen Hasen, denn diese hier hießen Bemalhasen und sie waren zuständig für das Färben der Ostereier. Grasgrün, himmelblau, rosenrot, sonnengelb, mit Punkten und mit Blumenmustern. Alles konnten die kleinen, braunen Pfoten auf die Eier malen.

      Doch eines Tages geschah in Blätterrauschen etwas ganz Entsetzliches. Zuerst fiel es keinem auf, da alle vertieft in ihre Arbeit waren. Aber ein kleiner, aufmerksamer Hase mit weiß-braun geflecktem Fell wunderte sich schließlich doch.

      „Warum holt denn niemand die bunten Eier ab?“, fragte er einen großen schwarzen Hasen. Die Osterhasen kamen sonst jeden Tag. Erst da bemerkten die Anderen die vielen Körbe mit bunten Eiern, die nach wie vor an ihrem Abholplatz standen.

      Der kleine schlaue Hase, sein Name war Trick, wunderte sich außerdem, warum es immer noch hell war.

      „Kommt euch der Tag nicht auch besonders lang vor?“ Aber auch darauf wusste keiner der Großhasen eine Antwort.

      Trick wusste nicht weiter und beschloss, die älteste Häsin in Pilzhausen zu fragen, obwohl es für die ganz Kleinen unter ihnen verboten war, sie zu besuchen. Denn Lia, die graue Hasenoma, zauberte besonders hübsche und leuchtende Farben auf die Eier und brauchte dafür ihre Ruhe. Daher sollte sie niemand stören und schon gar kein tollpatschiger Junghase. Nun konnte Trick aber ganz besonders leise schleichen, denn nur so kam er heimlich an die frischen Karottenplätzchen, die seine Mama sonntags backte. Auf ganz stillen Pfoten hoppelte er in den großen Pilz, in dem die alte Lia wohnte. Nun stand er vor ihr und konnte nichts anderes machen, als ihr beim Bemalen der Eier zuzuschauen. Solche schönen Blumenmuster hatte Trick noch nie gesehen und seufzte voller Bewunderung auf.

      „Wunderst du dich, warum es nicht dunkel wird, kleiner Hase?“ Lia hatte ihre Arbeit unterbrochen und blickte Trick durch ihre runde Brille an.

      „Ja, das tue ich“, fiepte Trick mit aufgeregter Stimme und fragte sich nicht, woher sie das wusste, schließlich war Lia die schlauste Häsin in Pilzhausen.

      „Immer nach einem besonders langen und dunklen Winter verschwindet die Zeit. Meistens kommt sie zwar wieder, aber es dauert jedes Mal eine ganze Weile. Doch dieses Jahr wird es wohl kein Ostern geben, denn Meister Dachs erzählte mir von einem Gerücht, dass in den Graubergen ein Troll wohnen soll, der die Zeit endgültig eingefangen hat.“ Während sie das sagte, malte sie einen wunderschönen Schmetterling auf ein glänzend gelbes Ei. Nun hob sie ihre ergraute Nase und sah Trick in seine kullerbraunen Augen.

      „Nur der Tapferste unter uns kann die Zeit zurückholen, da der Troll besonders gemein und grummelig ist.“

      Trick streckte seine kleine Nase in die Höhe, um zu zeigen, wie groß und stark er schon war.

      „Ich mache es! Ich hole die Zeit zurück!“ Und bevor die alte Häsin noch ein Wort sagen konnte, war Trick losgehoppelt und verschwand ratzfatz hinter dem letzten Pilz neben dem Karottenbeet.

      Trick war ein sehr neugieriger Junghase und verbrachte viel Zeit