Dafür klapperten um einhalb fünf Uhr die Kannen. Die Kalfaktoren brachten das Frühstück. Ich trank nur Kaffee. Dann aß ich doch. Du mußt, sagte ich mir, sonst wird dir schlecht. Wenn’s dir schlecht würde, müßten die Todeskandidaten länger leiden.
Eine halbe Stunde vor der Hinrichtung stand ich im Schuppen. Das Kruzifix glitzerte silbrig. Der Luftzug der Türe bewegte den schwarzen Vorhang vor der Guillotine. Ich mußte mich dazu zwingen, ihn wegzuschieben, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war.
Das Fallbeil war aufgezogen und grinste mit schräger Schneide.
Dann kamen die Beamten. Die Zeugen. Unter ihnen mein Bekannter. Sie drückten sich gegen die Wand. Ich stand mit meinen Gehilfen mitten im Raum.
»Lassen Sie Ruppert Fischer vorführen«, sagte der Staatsanwalt mit belegter Stimme.
Meine Assistenten holten ihn ab. Ihnen folgten sicherheitshalber Gefängnisaufseher. Die Zeit bis zu ihrer Rückkehr dauerte ewig. Ich las meine eigene Unruhe von den Gesichtern der anderen.
Dann kamen sie. Schritte. Die Füße des Verurteilten schleiften. Er wurde halb getragen. Die Kerzen zuckten flackrig über die Niederschrift des Urteils. Fischer hing in den Schultern meiner Helfer.
»Sie heißen?« fragte der Staatsanwalt genau nach dem Reglement des Todes.
Fischer gurgelte nur.
Ein Priester. Ein paar Herzschläge Gebet.
»Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes!«
Er mußte es zweimal sagen, bis ich es begriff. Sechs Meter bis zu dem schwarzen Vorhang. Ich glaubte plötzlich, daß sich meine Füße nicht bewegen würden. Der Staatsanwalt starrte auf seine Schuhe, während Fischer der Kragenlatz abgebunden wurde. Fischers starres Gesicht begann allmählich zu leben. Vor Angst …
Da stürzte ich auf den Vorhang, riß ihn auseinander. Schnell, schnell, dachte ich … und das habe ich von da ab jedes Mal gedacht. Und immer sah ich das Gesicht des Mörders in den endlosen Sekunden vor mir, in denen sich meine Füße nicht vom Boden hoben. Ich sah nur noch Schatten.
Das schwere Brett klappte um. Der Schlitten mit dem armen Sünder schoß an mir vorbei, rastete ein. Wir mußten ihn noch festschnallen. Die Gurte haßte ich von der ersten Sekunde an. Sie kosteten Zeit. Meine Finger flogen. Einen Blick noch. Nur Schluß!
Ich hielt den Griff der Auslösung in der Hand. In dem Augenblick, in dem ich ihn herunterzog, hörte ich einen schweren Fall hinter meinem Rücken. Gleichzeitig polterte das Fallbeil dumpf in seinen Scharnieren. Ehe ich es begriff, hatte ich einen Menschen hingerichtet … wie das Gesetz es befahl.
Ich ließ den Griff los, als ob er aus glühendem Eisen wäre. Jetzt konnte ich mir auch den Fall vor der Auslösung des Beils erklären: Der Gastwirt, einer der zwölf bürgerlichen Zeugen, war zusammengebrochen und mußte weggeschafft werden.
»Urteil vollstreckt«, sagte ich.
Und zum erstenmal spürte ich, wie schwer diese Worte auszusprechen sind, wenn sie in die Stille des Todes hineingesagt werden müssen …
Und dann kam schon der nächste. Steingruber. Ich sah ihn nicht an. Es ist nur eine Probe, redete ich mir mit zusammengebissenen Zähnen ein. Ich brachte es fertig. Diesmal war auch der Staatsanwalt grün im Gesicht.
Ich schrie fast die Worte heraus: »Urteil vollstreckt!«
Der dritte, Hutterer, kam nicht. Er behauptete in letzter Stunde, sein Geburtsdatum falsch angegeben zu haben, jünger zu sein. Es mußte überprüft werden. Das kostete Zeit.
Draußen, vor dem Schuppen, bekamen die Gesichter der Zeugen wieder Farbe. Der Staatsanwalt wollte etwas zu mir sagen. Aber er mußte mein Gesicht gesehen haben, denn er schwieg. Der Pfarrer betete leise weiter.
Drei Tage später mußte ich doch noch den dritten hinrichten. Sein Einspruch war gescheitert. Aber er durfte zweiundsiebzig Stunden länger leben. Was das bedeutete, begriff ich schon bei meiner ersten Exekution.
Wir redeten auf der Rückfahrt kein Wort. Meine Frau sah mich fragend an. Ich zuckte die Schultern.
Wieder konnte ich nicht schlafen. Ich ging ruhelos in meiner Wohnung auf und ab. Irgendwo lag die Bibel. Ich fand sie, schlug sie auf, las die Stelle: »Wer Blut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden …«
Aber sie waren doch noch so jung, dachte ich. Zwei Morde. Jetzt sind fünf Menschen tot …
So begann meine düstere Karriere, zufällig in der gleichen Zeit, da mein größter Fall ins Rollen kam: Martha Marek, eine Frau ohne Beispiel. Bald werden alle Zeitungen voll von ihr sein.
Und ich wußte noch nicht, daß ich eines Tages mit ihr in der Todeszelle stehen würde, wie in Landshut mit Hutterer, mit Fischer, mit Steingruber.
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