Seewölfe - Piraten der Weltmeere 685. Jan J. Moreno. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan J. Moreno
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966880992
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zwei Seemeilen nordwestlich ihrer anfänglichen Position. Dan O’Flynn stierte sich die Augen aus, bis er schließlich sogar unter geschlossenen Lidern nur mehr grelle Reflexe wahrzunehmen glaubte.

      Die anfängliche Hoffnung, den Jungen schnell zu finden, wich zunehmender Enttäuschung. Mehr und mehr hielten die Männer auch nach Anzeichen Ausschau, ob in dem Gebiet Haie ihr Unwesen trieben.

      Gegen elf Uhr bewölkte sich der Himmel. Die Schlagschatten überzogen das Meer mit einer matten, bleiernen Schwärze, in der ein blonder Haarschopf wohl ebenso schwer zu entdecken war wie zuvor im gleißenden Sonnenschein.

      Eine halbe Stunde später spaltete der erste vielfach verzweigte Blitz das Firmament. Ein schmetternder Donnerschlag ließ die Arwenacks zusammenzucken.

      Sturm zog auf und peitschte die Wellen höher, dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Es schüttete wie aus Kübeln. Die Sicht verringerte sich auf ein Minimum. Unter diesen Umständen wurde es schwer, wenn nicht gar unmöglich, den Jungen zu entdecken.

      Irgendwann spürte ich die Bewegung – ein stetes, unregelmäßiges Auf und Ab, verbunden mit schmatzenden, glucksenden Geräuschen, die ich mir noch nicht zu erklären wußte. Mein Rücken und die Schultern brannten, während der Rest meines Körpers offenbar von Wasser umspült wurde.

      Ich nahm die Gegebenheiten hin, ohne mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Mein Zustand glich wohl einem sanften Dahindämmern zwischen Traum und Wachen, und zu dem Zeitpunkt wäre ich bestimmt nicht in der Lage gewesen, etwas zu meiner Rettung zu tun. Ich glaube, daß ich nicht mal die Muskeln unter Kontrolle hatte, denn als Wasser mein Gesicht überspülte, konnte ich kaum den Kopf heben.

      Erst allmählich wurde ich mir meiner Existenz bewußt. Die unheimliche, gischtende Wasserwand, das Entsetzen, das ich verspürte. Noch einmal durchlebte ich jene schrecklichen Augenblicke, und abermals konnte ich nicht anders, als meiner Furcht freien Lauf zu lassen.

      Mein gequältes Stöhnen brachte mich vollends in die Wirklichkeit zurück.

      Ich lag auf dem Bauch, auf der Planke, die mir noch vor kurzem als Bootsmannsstuhl gedient hatte. Ein Stück meiner Erinnerung fehlte. Ich entsann mich nicht, daß ich inmitten der Riesenwelle Halt gefunden und mich festgekrallt, geschweige denn, daß ich es geschafft hatte – unter welchen Umständen auch immer –, mich auf das Brett zu ziehen.

      Die Sonne hatte ihren höchsten Stand im Zenit noch nicht erreicht. Ich schätzte, daß es kurz vor oder nach vier Glasen war, also gegen zehn Uhr. Aber hatte ich wirklich eine Stunde lang ohne Besinnung im Wasser gelegen?

      Weitaus wichtiger erschien mir die Frage, was aus der Schebecke der Seewölfe geworden war. Die Planke allein war gewiß noch kein Indiz für den Untergang des Schiffes.

      Mühsam stemmte ich mich hoch, darauf bedacht, den Halt zu bewahren.

      Das Meer war überraschend ruhig. Dennoch reichte meine Sicht kaum weiter als einige hundert Yards.

      Der Wind wehte anhaltend aus Südosten und trieb mich langsam dem fernen Festland entgegen. Allerdings trug er auch die Schwärze des Unwetters heran. Ich begann zu ahnen, daß sich da einiges zusammenbraute.

      Ich war allein. Kein Vogel begleitete mich, nur die Düsternis, die sich weiter zusammenzog.

      Als die ersten Wolken die Sonne verdeckten, begann ich zu frösteln. Nur noch einzelne Sonnenstrahlen huschten über die See, aber einer von ihnen streifte kurz ein Segel und ließ es strahlend hell aufleuchten.

      Ich sah nicht viel, nur die oberste Ecke eines Lateinersegels, doch das allein genügte, mein Herz schneller schlagen zu lassen. Keinen Augenblick lang zweifelte ich daran, daß ich die Schebecke vor mir hatte, zumal ich bei längerem Hinsehen drei winzige Mastspitzen erkannte.

      „Hierher! Hier bin ich!“ Ich begann aus Leibeskräften zu schreien und – soweit es mir möglich war, ohne den Halt zu verlieren – zu winken.

      Erst nach einer Weile sagte ich mir, daß es sinnlos war, gegen den Wind anzubrüllen, und ob mich die Arwenacks schon entdecken konnten, blieb dahingestellt. Immerhin betrug die Entfernung bestimmt zwei bis drei Meilen, da ich andernfalls mehr als nur die Toppen gesehen hätte.

      Ich konnte nicht erkennen, in welche Richtung das Schiff segelte, aber wenn es eine Rettung geben sollte, mußte ich so nahe wie möglich heran. Also begann ich mit den Händen zu paddeln. Anfangs war mir das sogar gegen die Strömung möglich, aber dann ließen meine Kräfte nach. Ich schürfte mir an der Planke die Oberarme auf, und der stärker werdende Wind setzte meinen verzweifelten Bemühungen ein Ende.

      Ungestüm brach das Gewitter los. Der Regen, der wenig später fiel, glich einer Sintflut.

      Das Meer dampfte und brodelte, von der Schebecke war längst nichts mehr zu sehen, und die Strömung trieb mich schneller ab. Vielleicht würde ich an Land gespült werden, ich konnte es nur hoffen.

      Ich klammerte mich an der Planke fest und überließ mich den Elementen. Und ich begann zu beten, stockend zuerst und nach den richtigen Worten suchend, aber dann immer flüssiger. Wenn der Herr gnädig war, schickte er mir die Rettung, wie er es schon einmal getan hatte.

      Der anhaltende Donner und die flackernden Blitze erinnerten mich an Geschützfeuer.

      War da nicht Gefechtslärm? Die Schreie Sterbender und Verwundeter gellten in meinen Ohren.

      Unwillkürlich hob ich den Blick. Dunst hatte sich zusammengezogen und verschleierte wie Pulverqualm die Sicht. Dennoch mußten jeden Moment die Umrisse eines der Schiffe sichtbar werden.

      Ein ohrenbetäubender Donnerschlag schreckte mich auf.

      Was war los mit mir? Begann so das Ende? Ich hatte gehört, daß Menschen vor ihrem Tod noch einmal alle Höhen und Tiefen ihres Daseins erlebten.

      Hilf mir, Gott, laß mich nicht sterben! Alles in mir bäumte sich auf. Verzweifelt versuchte ich, an angenehmere Dinge zu denken, an meine Begegnung mit den Arwenacks, an die Zeit auf der Schebecke – aber die Erinnerungen waren geweckt und ließen sich nicht verdrängen …

      März 1598.

      Seit zwei Tagen hatten wir wieder stürmische See, und ebensolange hatte ich keinen Bissen zu mir genommen, weil ich alles sofort erbrach. Mir war sterbenselend zumute. Unablässig wälzte ich mich in meiner Koje im stickigen Mief des Vorschiffs und fand weder Schlaf noch Erleichterung.

      Tränen hatte ich längst nicht mehr. Ich dachte an Vater und flüchtete mich in Gedanken in sein Geschäft für Schiffsausrüstungen im Londoner Hafen. Ob er inzwischen erfahren hatte, warum ich an jenem verhängnisvollen Nachmittag Ende Februar nicht zurückgekehrt war?

      Jetzt mußte er Botengänge und Besorgungen selbst erledigen, denn Mutter mit ihren krampfhaften Hustenanfällen war zu schwach dazu. Der Nebel und die naßkalten Wintermonate waren Gift für sie, das behauptete sie jedenfalls, doch Vater wollte um nichts in der Welt aus London fortziehen.

      „Winter ist überall“, hörte ich ihn zornig sagen. „Nimm dich zusammen, Weib. Oder willst du, daß uns die Kundschaft davonläuft?“

      Wie lange lag das alles zurück? Drei Wochen oder schon vier? Ich hatte die Tage nicht gezählt, weil mir jeder von ihnen wie eine Ewigkeit erschien. Ein Seemann würde ich nie werden, selbst wenn mich der Kapitän totschlagen ließ. Seine Preßgang hatte sich den falschen Jungen gegriffen.

      Ich haßte die „Seawind“, diese verluderte Dreimastgaleone, haßte den versoffenen Profos, den schmierigen Kapitän und inzwischen auch die See, deren Widerwärtigkeiten ich bis vor wenigen Wochen nicht mal geahnt hatte. Das Themsewasser war mit dem Atlantik in keiner Weise zu vergleichen.

      Ich wollte zurück nach London, sehnte mich nach der behaglichen Gemütlichkeit unserer Wohnstube, die im Winter zwar nie richtig warm wurde und an deren schmalen Fenstern dann dicke Eisblumen prangten, die aber wenigstens einen festen Boden unter den Füßen bot. Das Stampfen und Schlingern des Schiffes hingegen zermürbte mich.

      Kaum jemand von der Mannschaft redete mit mir. Anfangs hatte ich noch geglaubt, ich könnte es ertragen,