Außer meinem Dank für das Gespräch, Herr Professor, wäre diesem Urteil nichts mehr hinzuzufügen.
Jacob Christoph Burckhardt, geboren am 25. Mai 1818 in Basel, gestorben am 8. August 1897 ebenda, war ein Schweizer Kulturhistoriker mit Schwerpunkt Kunstgeschichte; er lehrte an den Universitäten Zürich und vor allem Basel. Friedrich Nietzsche, der als Deutschlands jüngster Universitätsprofessor von Leipzig nach Basel gekommen war, würdigte ihn als »unseren großen, größten Lehrer«. Herausragend: Burckhardts Studien zur Geschichte der Renaissance in Italien.
Der überbaute Raum
ist das Wesen des Hauses
Im Gespräch mit Carl von Clausewitz
Herr von Clausewitz, Sie als Theoretiker der Kriegsführung äußern sich zur Architektur? Was ist denn Ihr »Approach«, wie wir in unserer heutigen Diktion fragen würden?
v. Clausewitz: Wenn es einen Gedanken gibt, der würdig ist, in der Architektonik zu herrschen, so ist es der historische … Darum … sollte die Architektonik sich als den Träger des historischen Prinzipes ansehen, die Geschlechter aneinander erinnern, den Nachhall ihres Daseins zu einer festen Form kristallisieren. Für alles, was öffentliche Gebäude heißt, ist dieser Gedanke längst anerkannt: Selbst große Familien haben ihre historischen Erinnerungen an Schlösser und Häuser geknüpft und diesen mehr oder weniger den dazu geeigneten architektonischen Charakter zu geben gesucht. Warum sollte der Bauherr eines schlichten Wohnhauses nicht denselben Gedanken haben?
Gute Frage, was aber ist denn der spezifisch historische Charakter von Wohnhäusern?
v. Clausewitz: Offenbar Dauer und Festigkeit … Außer dem Eindruck von Dauer und Festigkeit gibt es aber noch ein anderes Merkmal des historischen Charakters: nämlich, dass der Bau seine reale und keine fingierte Bedeutung an sich trage. Ein altes Schloss, im 14. oder 15. Jahrhundert gebaut, mit Gräben und Türmen, also neben der Eigenschaft des Wohnlichen mit der der Verteidigungsfähigkeit versehen, ist durchaus historisch. Eine Nachahmung solcher Bauart im 18. Jahrhundert würde es nicht sein; ebenso wenig, wenn jemand sein Haus in Form eines Tempels oder einer Moschee erbaut. Das Familienhaus soll kein Schauspieler, sondern eine wirkliche Person sein. Ein entlehnter Charakter eignet sich dagegen zuweilen für öffentliche Gebäude, weil sich hier oft eine Verwandtschaft zwischen dem wahren Zweck des Gebäudes und dem entlehnten Charakter in vielen und starken Zügen ausspricht, während bei Privathäusern es nur das zufällige Gedankenspiel des Bauherrn sein würde.
Lassen Sie uns auf die Frage nach dem Zweck von Wohnhäusern zu sprechen kommen!
v. Clausewitz: Der Zweck ist der oberste, leitende Gedanke bei jedem Bau und muss also in ihm sogleich erkannt werden. Bei öffentlichen Gebäuden aber, die gänzlich als wahre Kunstwerke, also mit einem poetischen Charakter auftreten, tritt dieser Hauptgedanke offenbar mehr in den Hintergrund, und die verschiedenen leitenden Ideen bilden sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu einer Gruppe. Beim Privathause, wenn es nicht ein wahres Denkmal sein soll … ist das nicht der Fall: Der Zweck herrscht allein und alles … und so entsteht der Charakter des Schlichten und Nützlichen. Ein kleines Privathaus mit vielen vor- und zurücktretenden Teilen muss einem missfallen, weil es etwas Launiges hat, das Gefühl der Unzweckmäßigkeit wird durch keinen anderen Gedanken verdrängt. Je kleiner ein Privathaus ist, umso einfacher müssen die Linien seiner Umfassungsmauer sein, umso mehr muss es sich dem wahren Würfel nähern. Wie dieser Gedanke des Nützlichen und Schlichten uns auch ästhetisch beherrscht, sehen wir aus der Bemerkung, dass zu wenig Tiefe überhaupt einen ungemütlichen Eindruck macht, dass aber das kleine Haus viel mehr verhältnismäßige Tiefe verträgt und erfordert als das große, dass sich also der ästhetische Eindruck nicht bloß nach den geometrischen Verhältnissen richtet.
Und schließlich Ihre Ansichten zu Wesen, Ziel und Kosten?!
v. Clausewitz: Der innere, der überbaute Raum ist das Wesen des Hauses, und es wird unserem Verstande immer Vergnügen machen, diesen zu den angewandten Mitteln, das heißt zu den Umfassungsmauern, unvermutet groß zu finden. Ich behaupte, dass dieser ökonomische Gedanke einen bestimmten Einfluss auf den ästhetischen Eindruck hat. Verzierungen also, die auf seine Kosten geschehen, sind bei kleinen Häusern gefährlich, sie stören mehr als sie fördern.
Ganz anders aber ist es mit den äußeren Zierraten der Wände; diese geschehen nicht auf Kosten des Wesens. Man würde uns ganz falsch verstehen, wenn man glaubte, wir setzten den Begriff des Nutzvollen und Schlichten in dem geringsten Aufwand der Kosten zur Erreichung des Zwecks. Die Kosten des Baues sind etwas, was in der ästhetischen Welt gar nicht vorhanden ist. Es wäre lächerlich, zu sagen, ein kleines nutzloses Privathaus, vom edelsten Marmor aufgeführt, sei weniger schön als vom gemeinen Stein. Die Mittel, welche angewandt sind und die wir mit dem Zweck vergleichen, sind nicht das Geld, die Kräfte, die Zeit; alle diese Dinge sind verschwunden. Es sind die Massen, die vor unseren Augen stehen. Eine feine Kuppel kann tausendmal so viel kosten als ein unförmliches Bohlendach und doch schlichter erscheinen.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz, geboren am 1. Juli 1780 in Burg bei Magdeburg, gestorben am 16. November 1831 in Breslau, war ein preußischer Generalmajor, Heeresreformer, Militärwissenschaftler und -ethiker. Sein Hauptwerk »Vom Kriege« hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Kriegswesens in allen westlichen Ländern und wird bis heute an Militärakademien gelehrt. Seine Theorien über Strategie, Taktik und Philosophie finden auch im Bereich der Unternehmensführung sowie im Marketing Anwendung. Dass er ein fulminanter, tiefgründiger Kritiker des Zeitgeistes war, zeigt nicht zuletzt seine Auseinandersetzung mit der Architektur.
Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine
Im Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe
Herr Geheimrat, Sie haben eine sehr präzise Vorstellung von der Ethik des Bauens, um es ein bisschen hochtrabend zu formulieren.
Goethe: Der Bauende soll nicht herumtasten und versuchen. Was stehen bleiben soll, muss recht stehen und wo nicht für die Ewigkeit doch für geraume Zeit genügen. Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.
Ihr Beispiel für hohe Baukunst ist das Straßburger Münster. Da gibt es bei Ihnen einen Vorher-Nachher-Effekt.
Goethe: Als ich das erste Mal nach dem Münster ging, hatt’ ich den Kopf voll allgemeiner Erkenntnis guten Geschmacks. Auf Hörensagen ehrt’ ich die Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen. Unter der Rubrik Gotisch, gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymische Missverständnisse, die mir von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem jemals durch den Kopf gezogen waren. Nicht gescheiter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles gotisch, was nicht in mein System passte, von dem gedrechselten, bunten Puppen- und Bilderwerk an, womit unsere bürgerlichen Edelleute ihre Häuser schmücken, bis zu den ernsten Resten der älteren deutschen Baukunst, über die ich, auf Anlass einiger abenteuerlichen Schnörkel, in den allgemeinen Gesang stimmte …
Ihr Eindruck dann, als Sie dieses Bauwerkes zum ersten Mal ansichtig wurden?
Goethe: Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davortrat. Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, dass es also mit den Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unserer älteren Brüder in ihren Werken zu umfassen. Wie oft bin ich zurückgekehrt, von allen Seiten, aus allen Entfernungen, in jedem Lichte des Tags zu schauen seine Würde und Herrlichkeit. Schwer ist’s dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hocherhaben