Nat reichte ihr das Gerät wortlos, als wäre er ihr Untergebener oder so. Das ungute Gefühl verstärkte sich. Der Nachtwächter blickte zu Liliflora, die das Gerät auspackte. Es sah aus wie ein Ohrthermometer.
»Entspannen Sie sich.« Liliflora lächelte. »Das ist eine Standarduntersuchung.«
»Nee!« Der Mann wich zurück. »Was soll das sein?«
»Wölfchen«, sagte Liliflora. »Sei so gut, halt ihn fest.«
»Wir könnten ihm auch einfach erklären, was wir tun«, brummte Isa.
»Na los«, zischte Liliflora. »Wir haben genug Zeit verloren.«
Isa seufzte leise und sprang. In einer fließenden Bewegung war sie hinter dem Mann und hielt seine Hände fest.
»Keene Angst.« Ihr Werwolfslächeln schien ihn nicht zu beruhigen. »Ist gleich vorbei.«
Gantar hustete. »Schau ihn dir an«, murmelte er. »Voll der Muskelprotz und scheißt sich fast ein. Dabei ist sein Bizeps fetter als ich.«
Übertrieben, aber tatsächlich wölbten die Armmuskeln des Kerls sich wie Brötchen unter der nackten Haut. Ein Blitz raste durch Vivis Gehirn. Sie erstarrte.
»Warum hat er nicht mehr an?«, murmelte sie.
»Stört's dich?«, fragte Gantar.
»Er sitzt in einem Kühlhaus.« Panik sauste durch Vivis Körper. »Er sollte eine dicke Jacke … Isa! Weg von ihm! Weg da!«
Zu spät.
Einen Augenblick lang sah sie, wie ihre Liebste die Augen aufriss. Wie die Wolfsohren sich spitzten. Sah die Ohrstecker darin. Dann explodierte die Welt.
Vivi schrie. Sie hörte Gantar brüllen, starrte auf den Bildschirm, auf dem alles brannte. Loderte. Die Brustkameras zeigten nichts als Flammen, bis sie nichts mehr zeigten. Eine nach der anderen ging aus.
»Durchgeschmort«, murmelte Gantar. »Scheiße. Firat! Furkan! Nikolas! Zurück zu Liliflora! Das ist ein … Keine Ahnung, was!«
Ifrit, dachte Vivi. Feuerdämon. Feuer. Isi.
Alles wurde schwarz.
Ifrit
Ja, kacke, dachte Sofie.
Feuerschlangen schossen auf sie zu. Sie wurde rückwärts geschleudert, roch verbranntes Haar und spürte, wie ihre Augenbrauen angesengt wurden. Schloss die Augen, gerade noch rechtzeitig. Hitze strich über ihre Haut. Sie prallte gegen ein Regal voll riesiger Plastikcontainer. Schmerz schoss in ihre Schulter.
Etwas kippelte über ihr und krachte runter, knapp vor ihre Füße. Eine Kiste. Ihr Deckel wirbelte durch die Luft und prallte auf den Boden, der von Raureif bedeckt war. Etwas fiel aus der Kiste, aber Sofie hatte nur Augen für das Feuer.
Besser gesagt: den Feuerkerl.
Der Feuerkerl, der eben noch ein Nachtwächter gewesen war, hatte einen schlangenartigen, nasenlosen Kopf und sechs Hörner, gezwirbelt wie Korkenzieher. Seine Finger waren flammende Peitschen. Er war plötzlich deutlich größer als Isa. Isa, die sich fiepend auf dem Boden wälzte. Ihr Fell glimmte an mehreren Stellen. Jean und Liliflora lagen auf dem Boden und starrten das Feuermonster an. Nat kauerte hinter einem Regal.
»Scheiß-Wächter!«, röhrte das Monster. »Was wollt ihr hier? Wir sind nicht mal in Magow!« Seine Augenhöhlen glühten weiß. »Ich bring euch um! Alle!«
»Äh.« Nat räusperte sich. Er richtete sich auf und umklammerte sein Schwert. »Wir sind hier, um dich zu verhaften. Echt. Bitte komm friedlich mit in die Zentrale.«
»Was laberst du, Weichei?«, brüllte Jean. Er packte sein Schwert und stürmte auf das Monster zu. »Wir machen das Vieh alle!«
Eine Feuerschlange zischte und wand sich um sein Schwert. Jean brüllte vor Wut, als es ihm entrissen wurde.
»Jean!« Nats Schrei rauschte durch die Luft. So schnell wie die Flammenpeitsche, die auf Jeans Kopf zu raste.
Er wird platzen, dachte Sofie. Wie eine Melone.
Bilder zuckten durch ihr Hirn. Die Honigmelone, die Cassa und sie aus dem zweiten Stock geworfen hatten, damals. Nur, um zu sehen, was passierte. Was passiert war, war eine elende Sauerei.
Die Jean erspart blieb. Ein Schwert zischte hoch und wehrte die Schlange ab. Lilifloras Schwert. Das Lächeln war aus ihrem niedlichen Gesicht verschwunden. Wie ein grüner Panther kauerte sie vor Jean und fauchte. Packte das Schwert fester und stürmte los. Elegant duckte sie sich unter den Feuerpeitschen hinweg, rollte sich nach links ab, kam wieder hoch, hüpfte nach rechts. Auf den Ifrit zu.
»Bitch«, knurrte der und schlug nach ihr. Sie wich aus. Die Peitschen knallten auf den Boden, genau da, wo ihre Füße vor einem Moment noch gewesen waren.
Wow, dachte Sofie. Sie konnte gar nicht so schnell schauen, wie die Dryade sich bewegte. So flink wie ein Vampir. Schon holte Liliflora mit dem Schwert aus und stieß die Spitze gegen die Brust des Ifrits. Leider nicht in die Brust. Die Klinge prallte ab und zerbarst. Liliflora keuchte. Eine Feuerschlange erwischte sie, wickelte sich um ihren Bauch und schleuderte sie davon. Genau auf Sofie zu. Die streckte die Arme aus und gab sich der Illusion hin, dass das hier nicht wehtun würde.
Es tat weh.
Die Dryade donnerte gegen sie und riss sie von den Beinen. Sofie krachte zu Boden. Schmerz raste durch ihr Steißbein.
»Aua!«, brüllten Liliflora und sie gleichzeitig.
Wütend funkelte die Dryade sie an. »Was tust du, du nutzloses Miststück? Greif ihn an! Muss ich denn alles alleine machen?«
»Gern geschehen«, knurrte Sofie und schubste Liliflora von ihrem Schoß.
»Du verkackt hässliche Hackfresse!«, brüllte Jean. Eine Feuerpeitsche sauste auf ihn zu. Doch er wehrte sie mit dem Schwert ab, das er wohl wiedergefunden hatte. Eine weitere schoss auf seine Beine zu. Aber er war schneller. Nicht so schnell wie Liliflora, aber es reichte, um am Leben zu bleiben.
»Guck dich doch mal an, du Missgeburt!«, brüllte der Ifrit.
»Selber Missgeburt, du Streichholzschwanz!« Jean wäre beinahe von einer Peitsche geköpft worden und machte einen Schritt zurück. »Fick dich!«
»Fick dich!«
Liliflora schnaubte. »Was macht der Idiot da?«
»Er lenkt ihn ab«, murmelte Sofie.
Unbemerkt von dem Ifrit zerrte Nat etwas aus dem Regal. Einen gefrorenen Dönerspieß in Frischhaltefolie. Während Jean und das Monster sich anbrüllten, packte er ihn wie eine Keule und schoss von hinten auf den Ifrit zu.
»Verreck, du Kack-Wächter!«, röhrte der Ifrit und holte Jean von den Beinen. Der knallte zu Boden und verlor sein Schwert.
Ein Krachen dröhnte durch die Regalreihen. Der gefrorene Dönerspieß krachte auf den Schädel des Ifrits. Er taumelte. Nat ließ seine Waffe los und sprang vom Rücken des Monsters.
»Du Trottel!«, rief Jean. »Wieso hast du nicht dein Schwert genommen?«
»Ich wollte ihn nicht gleich umbringen«, sagte Nat. »Ich … Scheiße.«
Der Ifrit richtete sich auf und wandte sich zu Nat um. Er fletschte die Zähne und grollte.
»Stirb.« Mit allen Fingern gleichzeitig griff er nach Nat. Die Peitschen rasten auf ihn zu. Nat machte einen Salto rückwärts, entkam knapp, schaffte es hinter die nächste Regalreihe. Der Ifrit setzte nach.
»Tut die supermächtige Hexe auch was oder stehst du hier nur rum?«,