Einige könnten einwenden, dass man die Herrschaft des männlichen Geschlechts und die anderen angeführten Formen ungerechter Macht gar nicht miteinander vergleichen könne. Diese seien willkürlich und die Folge bloßer Usurpation, jene aber natürlich. Aber gab es jemals eine Herrschaft, die denen, die sie besaßen, nicht natürlich erschien? Es gab eine Zeit, zu der die Teilung des Menschengeschlechts in zwei Klassen, eine kleine der Herren und eine zahlreiche der Sklaven, selbst den gebildetsten Geistern ganz natürlich, ja: als die einzige natürliche Verfassung des Menschengeschlechts erschien. Kein geringerer Geist als Aristoteles, der zum Fortschritt der Menschheit so viel [27]beigetragen hat, vertrat diese Ansicht, ohne jeden Zweifel und ohne jedes Bedenken, und leitete sie aus denselben Voraussetzungen ab, aus denen die Behauptung der Notwendigkeit der Herrschaft der Männer über die Frauen üblicherweise abgeleitet wird, nämlich dass es innerhalb des Menschengeschlechts verschiedene Naturen gebe – freie Naturen und Sklavennaturen. Die Griechen hätten eine freie Natur, die barbarischen Rassen der Thraker und Asiaten eine Sklavennatur. Doch weshalb bis auf Aristoteles zurückgehen – stellten nicht die Sklavenhalter in den Südstaaten von Amerika dieselbe Behauptung auf, mit dem ganzen Fanatismus, mit dem Menschen an Theorien festhalten, die ihre Leidenschaften rechtfertigen und ihre persönlichen Interessen legitimieren? Nahmen sie nicht Himmel und Erde dafür als Zeugen, dass die Herrschaft des weißen Mannes über den schwarzen natürlich, dass die schwarze Rasse [black race] von Natur aus zur Freiheit unfähig und bestimmt zur Sklaverei ist? Einige gingen sogar so weit zu behaupten, Freiheit für diejenigen, die mit der Hand arbeiten, sei grundsätzlich und überall naturwidrig. Ebenso haben auch die Theoretiker der absoluten Monarchie diese immer wieder für die einzige natürliche Staatsform erklärt. Diese sei hervorgegangen aus dem Patriarchat, das die ursprüngliche und sich spontan entwickelnde gesellschaftliche Form gewesen sei, sie sei nach dem Muster der Herrschaft des Familienvaters gestaltet, die der Gesellschaftsbildung voranging, und sei insofern, wie sie behaupten, die schlechthin naturgemäße Art von Autorität. Ja, selbst das Recht des Stärkeren wurde von denen, die sich auf kein anderes berufen konnten, als der natürlichste Grund für die Ausübung von Gewalt angeführt. Erobernde [28]Völker finden es natürlich, dass die Unterworfenen den Siegern Gehorsam leisten oder, wie sie es wohlklingender umschreiben, dass die schwächeren und weniger kriegerischen Völker sich dem tapfereren und männlicheren unterwerfen. Eine auch nur oberflächliche Kenntnis der Lebensverhältnisse des Mittelalters lehrt uns, wie außerordentlich natürlich dem feudalen Adel seine Herrschaft über die niederen Stände erschien und wie unnatürlich sie den Gedanken fanden, eine Person aus diesen unteren Ständen könne einen Anspruch auf Gleichstellung oder sogar auf Herrschaft erheben. Und diese Ansicht war bei den Unterworfenen kaum weniger verbreitet. Die sich emanzipierenden Leibeigenen und Bürger erhoben selbst in ihren heftigsten Kämpfen keinen Anspruch auf Teilhabe an der Herrschaft, sondern verlangten nur eine größere oder geringere Beschränkung der Macht, [270] sie zu tyrannisieren. Es ist schlicht so, dass unnatürlich gemeinhin nichts anderes bedeutet als unüblich und dass alles, was üblich ist, natürlich erscheint. Die Unterjochung der Frauen durch die Männer ist eine universelle Üblichkeit, daher erscheint jede Abweichung natürlicherweise unnatürlich. Doch wie vollständig selbst in diesem Fall das Gefühl von Herkommen und Gewohnheit abhängt, zeigt sich, wenn man seinen Erfahrungshorizont erweitert. Nichts setzt die Menschen in fernen Weltgegenden so in Erstaunen, wenn sie zuerst etwas über England erfahren, wie gesagt zu bekommen, dass England von einer Königin regiert wird. Dies erscheint ihnen so unnatürlich, dass sie es kaum glauben wollen. Engländern scheint dies dagegen nicht im Geringsten unnatürlich vorzukommen, weil sie daran gewöhnt sind – während sie es unnatürlich finden, dass Frauen Soldaten oder [29]Parlamentsmitglieder sein sollen. In den feudalen Jahrhunderten hielt man Krieg und Politik gar nicht für so unnatürlich für Frauen, weil es eben nicht ungewöhnlich war. Es erschien natürlich, dass die Frauen der bevorzugten Klassen von männlichem Charakter waren und ihren Ehemännern und Vätern an Körperkraft nicht nachstanden. Den Griechen erschien die Unabhängigkeit der Frauen weniger unnatürlich als andern Völkern, wie der Mythos von den Amazonen zeigt, die sie für historisch hielten, sowie das Beispiel der Spartanerinnen, die, obwohl sie ebenso dem Gesetz unterworfen waren wie die Frauen in anderen griechischen Staaten, doch über viel mehr Freiheit verfügten, und die, da sie dieselben körperlichen Übungen wie die Männer absolvierten, unter Beweis stellten, dass sie keineswegs von Natur aus ungeeignet dafür waren. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die in Sparta gemachten Erfahrungen Platon unter anderem zu seiner Lehre von der politischen und sozialen Gleichheit der Geschlechter inspirierten.
Doch unterscheidet sich, so wird man einwenden, die Herrschaft der Männer über die Frauen von jeder anderen dadurch, dass sie keine Herrschaft der Gewalt ist: Die Frauen akzeptieren sie freiwillig; sie beklagen sich nicht über sie und stimmen ihr zu. Dazu ist erstens zu sagen, dass eine große Zahl von Frauen diese Herrschaft nicht akzeptiert. Seitdem es Frauen gibt, die in der Lage sind, ihre Gefühle und Gedanken in Schriften zu äußern (der einzige Weg in die Öffentlichkeit, den ihnen die Gesellschaft gestattet), haben sie in zunehmender Zahl gegen ihre jetzige soziale Lage protestiert, und ganz kürzlich erst haben viele Tausende von Frauen – an ihrer Spitze die bedeutendsten, die [30]die Öffentlichkeit kennt – eine Petition zur Gewährung des Stimmrechts an das Parlament gerichtet. Der Anspruch der Frauen auf eine ebenso gute Ausbildung und in denselben Wissensbereichen, wie sie dem Mann offenstehen, wird von den Frauen immer nachdrücklicher und mit immer größerer Aussicht auf Erfolg gefordert. Ebenso wird die Forderung nach Zulassung zu Berufen und Betätigungen, die ihnen bisher verschlossen sind, von Jahr zu Jahr dringlicher. Auch wenn wir in England nicht wie in den Vereinigten Staaten periodische Kongresse und eine organisierte Partei zur Agitation für die Rechte der Frauen haben, haben wir doch einen aktiven, mitgliederstarken und von Frauen geleiteten Verein mit dem [271] begrenzten Ziel der politischen Gleichberechtigung. Und nicht nur in England und Amerika beginnen Frauen mehr oder weniger gemeinschaftlich gegen die Beschränkungen zu protestieren, unter denen sie leiden. In Frankreich, Italien, in der Schweiz und in Russland finden sich ähnliche Bestrebungen. Wie viele weitere diese Bestrebungen teilen, lässt sich nicht annähernd