»Wie steht’s bei dir mit der Liebe, Gunni?« fragte Lizzie, um von Stella und ihren Kommentaren abzulenken. »Gibt’s da irgendwelche Herren?«
»Ja, da gibt’s schon welche«, sagte Gunvor und trank gierig ihr Glas leer. »Aber bis jetzt bin ich bei keinem richtig hängengeblieben.«
Sie schluckte den sprudelnden Champagner hastig hinunter, so rasch, daß er auf der Zunge brannte. Wie konnte sie nur so lügen? Bei keinem hängengeblieben. In Wahrheit war es schon Monate her, daß einer sie mal zum Essen ausgeführt hatte!
Wieder legte sich Schweigen wie ein feuchtwarmer Film über das Zimmer. Der Geruch des Champagners war ekelerregend. Eine der Kerzen zischte plötzlich beunruhigend, als seien da Kräfte im Gange, die sie nur ahnen konnten.
»Wann habt ihr beide euch übrigens das letztemal gesehen?« wandte sich Lizzie an Catta und Gunvor, um die Stimmung aufzubessern. »Trefft ihr euch nicht dauernd?«
»Mehr oder weniger«, sagte Catta. »Einmal im Monat wenigstens.«
»Catta ruft mich an, wenn sie bei irgendwas Hilfe braucht«, kicherte Gunvor.
»Schade, daß es bei uns nur in so großen Abständen ist«, sagte Lizzie und schaute sie an. »Aber Frank und ich, wir haben immer so viel zu tun.«
»Gott, klingst du erwachsen und beschäftigt«, äußerte Stella kühl.
Lizzie antwortete ihr noch immer nicht. Es war das beste, Stella jetzt einfach zu ignorieren. Außerdem wußte sie nicht, was sie hätte sagen sollen.
»Na und du?« fragte Gunvor Stella. »Von wegen beschäftigt! Nie rufst du zurück!«
»Benjamin hat ’ne Flasche Whisky auf den Anrufbeantworter fallenlassen«, erwiderte Stella und lächelte ihr frechstes Lächeln. »Ist das nicht ’ne fürchterliche Verschwendung?«
Wie die Sache eigentlich ausgegangen war, daß sie und Benjamin sich eine halbe Nacht gestritten und so geprügelt hatten, daß die Möbel zu Bruch gingen und Stella in die Notaufnahme fahren mußte, um vier Stiche an der Faust nähen zu lassen, das brauchte sie hier wahrhaftig nicht zu erzählen. Vielleicht hätte sie es tun können, hätte eine lustige Geschichte daraus machen können, wenn nur Lizzie nicht so verdammt selbstgefällig dagesessen hätte.
Lizzie mit ihrer Dachgeschoßwohnung und ihrem Mann mit dem Aktenkoffer, der genau drei Jahre älter war als sie, eben genauso wie es nach allen sozialen Regeln zu sein hatte ... Nein, in dieser Situation konnte Stella absolut nichts erzählen – nicht solange Lizzie dasaß und auch noch die schweigende Märtyrerin spielte.
Das war einfach zuviel.
War Lizzie nicht unerträglich beknackt?
»Liebst du ihn?« fragte Catta.
Stella nickte heftig, mit breitem, aufgesetztem Lächeln.
»Und du?« fragte sie. »Wie steht’s mit Charlie?«
»Ach danke«, erwiderte Catta mit ebenso breitem Lächeln. »Bestens! Bin verliebter denn je!«
»Wird er seine Familie denn verlassen?« fuhr Stella unbarmherzig fort. »Oder sagt er nur, daß er es tut?«
Cattas Lächeln wurde noch verkrampfter.
»Er wartet nur auf die richtige Gelegenheit«, sagte sie. »Aber wir sind total glücklich, also fühle ich mich nicht besonders unter Druck.«
Ein Weilchen wurde es still.
Irgendwie war das die Lüge, die alles platzen ließ, der Schwindel, den alle durchschauten – daß Catta mit ihrem fünfzehn Jahre älteren Liebhaber, einem glücklich verheirateten Vater mehrerer Kinder, wirklich froh und zufrieden war, daß sie wirklich glücklich war und völlig ruhig.
Catta wich den Blicken der anderen aus, errötete und verdrängte ihre Gefühle. Ihr Blick wanderte rasch und ohne haftenzubleiben von Stellas Gesicht zu Gunvors glatten Wangen auf der anderen Seite des Tisches und weiter zu Lizzies ruhigem Lächeln.
Über ihnen ragten die dunklen, geheimnisvollen Balken der Dachgeschoßwohnung auf; der höchste Punkt der weißgekalkten, spitzwinkligen Decke lag mindestens fünf Meter hoch. Dort oben spielten, trotz der Weiße, tiefe Schatten. Die alte Standuhr, die Frank von seinem Großvater geerbt hatte, schlug plötzlich heftig Schlag auf Schlag, doch ging sie nach. Dem Kalender nach war Catta in diesem Augenblick bereits neunundzwanzig Jahre, vier Minuten und siebenunddreißig Sekunden alt.
Der Alkohol wärmte und gab ihren Augen Glanz. Das hier waren ihre drei besten Freundinnen, jedenfalls nannten sie sich so, und jetzt begann ihr Geburtstag. Jetzt fing ihr dreißigstes Lebensjahr an! Als sie den schwindelerregenden Gedanken bis zu Ende gedacht hatte, wußte sie, daß sie vermutlich schon mindestens ein Drittel der ihr zugemessenen Zeit gelebt hatte.
Sie wußte auch, daß sie sich die Lügen, ebensowenig wie die anderen drei, bald nicht mehr leisten konnte.
2.
Gunvor, auf dem kürzesten der drei Sofas, saß jetzt wie auf Kohlen. Ihr war plötzlich eingefallen, daß sie ihre Periode hatte, und sie fürchtete ständig, trotz der Slipeinlage Flekken auf dem Bezug des Sofas zu hinterlassen. Dennoch wollte sie nicht aufstehen, um noch mehr Toilettenpapier in den Slip zu stopfen, nicht gerade jetzt, wo sie anstießen und plauderten und es so gemütlich war.
Denn das war es doch?
Gemütlich?
Typisch für sie, einfach zu vergessen, ein paar Binden einzustecken. Keine der anderen hatte im Augenblick ihre Periode, und Lizzie hatte nur Tampons im Haus, Gunvor aber lehnte es ab, Tampons zu benutzen. Am frühen Abend hatte Stella sie zum hundertstenmal getadelt, als sie mit einem lauwarmen Bier in der Hand vollständig angekleidet und behaglich in einem Korbstuhl vor der Sauna ausgestreckt dasaß, während die anderen Blut und Wasser schwitzten.
»Mensch, ich hab dir doch selbst beigebracht, wie man einen Tampon einsetzt!« hatte sie durch die Saunatür gerufen. »Das war doch, verdammt noch mal, schon in der Neunten!«
Doch Gunvor mochte keine Tampons. Sie verteidigte sich damit, daß sie scheuerten und sie sich mit dem Zeug unwohl fühle. Außerdem fürchtete sie die Tamponallergie, über die sie begierig meterweise Zeitungsspalten gelesen hatte, seitdem sie in der Presse aufgetaucht war. Diese Allergie war der endgültige, noch fehlende Beweis, um ihren Widerwillen gegen die komischen, unnatürlichen Faserröllchen zu rechtfertigen.
»Ich mag Fasern nur, wenn man sie durch den Mund aufnimmt«, hatte Gunvor einmal im vollsten Ernst gesagt und ausnahmsweise ein Riesengelächter bei den anderen geerntet.
Gunvors Mutter, die hypochondrisch veranlagt war, lebte zusammen mit Gunvors Vater, einem Offizier, der es haßte, krank zu sein, und Gunvors jüngerem Bruder Claes, der die Landwirtschaft übernehmen sollte, in Östergötland. Wenn Gunvor in den Ferien aus Lundsberg nach Hause kam, pflegte sie mit ihrer Mutter verbotene Orgien an Arzneischränken und über Necessaires abzuhalten, während der Vater und Claes im Büro vor den ausgebreiteten Kalkulationen des Hofes saßen, die Stirn in tiefen Falten. Dennoch belegte Gunvor im Gymnasium den ökonomischen Zug statt des naturwissenschaftlichen und studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität statt Medizin am Karolinischen Institut.
Das war am sichersten so, nach Meinung ihrer Eltern. Gunvor war ein gehorsames Mädchen.
Heutzutage vermied sie alles, angefangen von Kopfschmerztabletten und Halspastillen bis zu Penicillinkuren, wenn sie nicht absolut notwendig waren. Ihren Bruder Claes wollte sie nirgendwo anders treffen als zu Hause auf dem Hof; er paßte so schlecht zur Großstadt und ihrem neuen Leben. Und als Finanzberaterin hatte sie trotz allem einen gewissen Erfolg zu verzeichnen.
Jetzt saß sie auf einem Sofa unter einer der hochmodernen Dachgauben in Vasastan und fühlte die uralten Echos in ihrem Körper rufen. Irgend etwas verschob sich in ihrem Bauch