Gunvor hingegen war diejenige, die stets vor der Party kommen und alles vorbereiten mußte. Heute hatte sie Cattas Wohnung aufgeräumt, während Catta im Bett lag und sich wegen ihrer Migräne schämte. Danach hatte sie zweihundertfünfzig Pastetchen gefüllt und vier mal hundert Kanapees mit Krabben, Kaviar, Huhn oder Roquefort belegt. Sie waren ein Erfolg gewesen.
Wenn sie bei jemandem zu Hause stand und arbeitete, fragte sich Gunvor oft, ob sie sich ausgenutzt fühlen solle. Manchmal tat sie es, aber dennoch lehnte sie nie ab. Es war immer noch amüsanter, das Fest mit vorzubereiten, als überhaupt nicht kommen zu dürfen. Gunvor glaubte ganz einfach, wenn sie nicht bereit wäre, mehr als alle anderen zu tun, wäre sie auch nicht länger willkommen, bei dem Spiel mitzuspielen.
Stella hatte, wie üblich, überhaupt nichts getan. Statt eine halbe Stunde vor den anderen Gästen zu kommen, worum die leicht nervöse Catta sie alle gebeten hatte, war sie zu spät erschienen, zusammen mit Benjamin und zwei seiner nicht eingeladenen Freunde, die sich sofort über die mühsam vorbereiteten Kanapees hermachten. Jetzt baumelte sie mit den Beinen und setzte die Flasche an, anscheinend völlig zufrieden mit dem Leben und mit sich selbst.
In Wahrheit fühlte sie sich äußerst mies, deshalb hatte sie sich in die Küche verdrückt. Es schien nämlich nicht so, als sei einer der Festteilnehmer da draußen – alles ihre eigenen alten Freunde – sonderlich interessiert, sich mit ihr zu unterhalten. Die es waren, kommentierten ständig mit schiefem Lächeln ihre Frisur und Kleidung und gaben ihr das Gefühl, nur eine billige Schlampe zu sein. Auch konnte sie nicht gut zu Benjamin und seinen Kumpels gehen; das hier waren schließlich ihre Freunde. Die anderen hatten sie nur begleiten dürfen! Da konnte sie nicht ihre Abhängigkeit zeigen und sich nur an sie halten.
Stella beschloß bei sich, daß der Grund, warum es ihr hier nicht gefiel, diese unerträgliche Ansammlung von Bourgeois war. Aber man konnte ja immerhin so lange bleiben, wie es noch Champagner gab. Sie nahm noch ein paar tiefe Schlucke, um sich zu stärken, ganz bewußt die Warnglocken ignorierend, die in ihrem Inneren zu läuten begannen, und sah dann Catta an.
»Was für ein Glück, daß wir unseren Kontakt genau zu deinem Geburtstag wiederaufgenommen haben«, sagte Stella und wischte sich den Mund. »Sonst hätte man ja diese Party verpaßt!«
»Amüsierst du dich, Catta?« fragte Lizzie und trocknete sich die Hände ab.
»Sicher«, antwortete Catta, und es klang, als wären die Rollen Gast–Gastgeberin völlig vertauscht. »Charlie hat ein neues Pin-up-Girl gefunden.«
Lizzie und Gunvor wechselten einen Blick. Stella schaute Catta amüsiert an.
»Er ist nicht gut für dich, wie oft muß ich dir das noch sagen?« fragte sie. »Du brauchst einen betuchten, ledigen Finanzmann, der nicht viel im Kopf hat, kannst du das nicht kapieren?«
»Warum dann nicht schon lieber einen zweiundzwanzigjährigen Dealer?« erwiderte Catta gleichgültig. »Das scheint dich ja immerhin glücklich gemacht zu haben.«
Sie merkte zu ihrem Erstaunen, daß sie nicht einmal die Kraft hatte, Rücksicht zu nehmen.
»Jetzt bist du unfair«, sagte Stella. »Es ist dein Fest, und ich darf nicht mit gleicher Münze zurückzahlen.«
»Hör jetzt auf, Stella«, sagte Lizzie ungewöhnlich scharf.
»Meinst du die in Rosa?« fragte Gunvor. »Die ist mit Janne Starck gekommen. Sie ist unheimlich verliebt, also keine Chance.«
Catta sah sie an, alle drei hatten ihr den Blick zugewandt. Lizzies Augen unter den völlig geraden Brauen waren grau. Gunvor schaute sie mit treuherzigen, braunen Kullern an. Stellas Blick war aufreizend und grün über den gekräuselten Lippen.
»It’s my party and I’ll cry if I want to«, sagte Catta.
Dann konnte sie nicht anders und verzog den Mund. Sie ging zu Stella und nahm ihr die halbvolle Flasche ab.
»Paßt jetzt auf: Die Gastgeberin ist gleich stockbesoffen«, sagte sie.
Dann setzte Catta den Champagner an den Mund. Das Getränk rann sprudelnd und zischend in sie hinein, und der Schaum reichte hoch hinauf im Inneren der Flasche. Die anderen drei klatschten in die Hände, lärmten und schrien, lauter und lauter bei jedem Schluck. Schließlich war die Flasche leer. Das Geschrei erreichte das Falsett, und Catta streckte die Arme in die Höhe und reckte ihren langen, weißen Hals. Ihre Augen glitzerten gefährlich.
Da plötzlich wurde die Tür zum Salon aufgerissen. Drei verwunderte Gäste standen in der Türöffnung und starrten sie an.
»Findet hier drinnen das eigentliche Fest statt?« fragte einer von ihnen. Er starrte Catta mit großen, freundlichen braunen Augen an.
»Nein, Charlie«, sagte Catta ironisch, ging zu ihm hin und schlang ihm die Arme um den Hals. »Das Fest findet immer genau da statt, wo du bist. Das weißt du doch wohl?«
6.
Gunvor drängte sich zwischen die Gäste hinaus und sammelte diskret leere Teller, Flaschen und Gläser ein. Im Hintergrund sangen die Supremes gerade ihr ewiges ›Baby Love‹, und einige Paare hatten sogar zu tanzen angefangen. Gunvor wollte nicht noch mehr tun, sie wollte eigentlich nur feiern, sich amüsieren und mit dem Typen mit der Brille sprechen, der sie in der Diele so herzlich begrüßt hatte und sie von einer anderen Party her kannte, obwohl sie ihn total vergessen hatte.
Oder machte er sich nur lustig über sie?
Vielleicht hatte er das alles nur erfunden?
Egal wie, jedenfalls konnte Gunvor sich nicht von ihrem selbstauferlegten Abräumen losreißen. Muß helfen, muß helfen, ging es in ihrem Kopf herum.
Eigentlich dachte sie an Claes.
Claes, der jetzt zu Hause in ihrer kleinen Wohnung saß und fernsah. Claes, der nie auf ein Internat gekommen war, weil Gunvors Mutter zu große Angst gehabt hatte, ganz allein zu bleiben. Claes war auf dem Lande aufgewachsen und war mit allen gut befreundet gewesen, von den Dorfrockern bis zu den benachbarten Bauern, er war imstande, sich beinahe überall einzufügen. Nicht genug damit: Catta, Stella und Lizzie waren ihm bestens bekannt nach all ihren Besuchen zu Hause auf dem Hof und dem vielen Blödsinn, den sie zusammen mit Gunvor angestellt hatten. Wenn Catta gewußt hätte, daß Claes in der Stadt war, hätte sie angerufen und ihn persönlich hierher eingeladen. Doch nun wußte sie es also nicht, und Gunvor hatte nichts gesagt.
Sie hatte ihn ganz einfach nicht mitgenommen, obwohl sie es hätte tun können und sollen.
Gunvor schämte sich ihres Bruders.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie all die eleganten Stockholmer Typen an der Wand, an den Möbeln oder aneinander lehnten, wie sie sich gegenseitig und anderen die Zigaretten mit exklusiven goldenen Feuerzeugen anzündeten, wie sie laut lachten, miteinander anstießen und sich einen hinter die Binde gossen. Wollte Gunvor einen solchen Mann haben? Nie im Leben, sie erschreckten sie zu Tode. Sie wagte kaum, sie anzusprechen, noch viel weniger, unverfroren zum Schnapstisch zu gehen und sich dort allein hinzustellen, wie es Catta oder Stella getan hätten, und darauf zu warten, daß einer von ihnen sie bemerkte. Sie hatte Angst vor ihnen. Und vor allem verachtete sie sie, verachtete sie wegen ihrer Dummheit, ihrer Engstirnigkeit und ihres ungehemmten Snobismus.
Dennoch hatte sie nicht gewagt, ihren Bruder heute mit hierherzubringen. Sie hatte es nicht gewagt, weil sie wußte, wie er neben diesen tollen Typen gewirkt hätte: wie ein richtiger Prachtkerl vom Lande, plump, mit groben Händen und einem nicht sehr regen Sinn für Humor. Dennoch konnte er ungeheuer amüsant sein, amüsanter, als sich diese Burschen hätten träumen lassen. Und das Merkwürdigste war, daß Stella, Catta und Lizzie so vernarrt in Claes waren. Sie mochten ihn beinahe ebensogern wie Gunvor selbst.
Wie konnte sie dann so feige sein, so peinlich berührt, so kleinlich