Toxische Männlichkeit. Sebastian Tippe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Tippe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783949104046
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explizite Forderungen an die Bundesregierung:

      •Anerkennung der Existenz von Gewalt gegen Gebärende seitens der Bundesregierung

      •Bedarfsgerechte Vergütung in der Geburtshilfe statt Fallpauschalen – analog zur Pflege

      •Einrichtung von Landespräventionsstellen „Gewaltfreie Geburtshilfe“ in jedem Bundesland

      •Einrichtung einer koordinierenden Bundespräventionsstelle „Gewaltfreie Geburtshilfe“

      •Bildung einer Bundeskommission zur Verhütung von Gewalt in der Geburtshilfe.

      Im Brandbrief werden die umzusetzenden Ziele und die genauen Inhalte/Aufgaben differenziert erläutert. Auch die WHO sowie Human Rights in Childbirth weisen seit Jahren auf die Gewalt hin, die Frauen im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erleben.

       Genitalverstümmelungen von Mädchen

      Eine weitere entsetzliche Form der Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist die Genitalverstümmelung, auch FGM (Female Genital Mutilation) genannt.

      Dabei werden die weiblichen Geschlechtsteile verletzt, indem sie teilweise oder ganz entfernt werden, um die sexuelle Lust von Frauen zu verhindern (vgl. Desert Flower Foundation). Die Verstümmelung, meist ohne Betäubung und unter katastrophalen hygienischen Bedingungen, wird in der Regel vor der Pubertät bei Mädchen zwischen vier und acht Jahren mit einer Schere, Rasierklinge, einem Messer oder einer Glasscherbe (meist nicht desinfiziert) durchgeführt, aber auch vermehrt bei Säuglingen. Es gibt vier unterschiedliche Formen der Genitalverstümmelung: Bei Typ Drei wird den Mädchen die Klitoris und die Schamlippen herausgeschnitten, anschließend werden die Schamlippenstümpfe zusammengenäht, sodass nur ein kleines streichholzgroßes Loch zum Urinieren und für das Menstruationsblut gelassen wird (vgl. ebd.).

      Zu den gesundheitlichen Schädigungen schreibt die Desert Flower Foundation (ebd.): „Weibliche Genitalverstümmelung hat gravierende gesundheitliche (physische und psychische!) Auswirkungen. Unmittelbar nach dem Eingriff kann es zu schweren Blutungen, Entzündungen, Tetanus, Blasenlähmung oder Blutvergiftung kommen – Folgen, die nicht selten tödlich enden. Auch HIV/AIDS kann über nicht gereinigte Instrumente übertragen werden. Neben dem psychischen Trauma, das der Eingriff hinterlässt, und dem Verlust sexueller Empfindung, klagen die Opfer langfristig oft über Schmerzen beim Urinieren und während der Menstruation. Das Sitzen oder Gehen kann durch das Scheuern der Kleidung an den Narben oder auftretende Druckstellen zur Qual werden. Zysten, Abszesse, Infektionen der Blase und Inkontinenz können auftreten. Auch Unfruchtbarkeit gehört zu den möglichen Langzeitfolgen. Der Geschlechtsverkehr wird häufig als schmerzhaft empfunden. Bei der Geburt eines Kindes kann es zu verstärkten Blutungen und Geweberissen kommen. Die Geburt kann länger dauern als üblich, Kaiserschnitte sind häufig.“

      Laut der Desert Flower Foundation, bezugnehmend auf die WHO, sind weltweit 200 Millionen Mädchen und Frauen von FGM betroffen, in Europa leben eine Million betroffene Mädchen und Frauen. Vor allem werden Mädchen in Nordost-, Ost- und Westafrika beschnitten, sowie im Nahen Osten und in Südostasien. Die Praktik wird aber auch durch Menschen ausgeführt, die nach Europa, Kanada, Australien, Neuseeland und in die USA eingewandert sind und in derem Kulturraum FGM weiter verbreitet ist. Auf ihrer Homepage weist die Foundation darauf hin, dass alle 11 Sekunden ein Mädchen auf der Welt beschnitten wird und jedes dritte durch den Eingriff stirbt.

      In Deutschland sind ca. 70.000 Mädchen – plus Dunkelziffer – von Genitalverstümmelung betroffen, in Somalia sind es laut TERRE DES FEMMES e. V. 98 % aller Mädchen, in Eritrea 83 % (vgl. Tagesspiegel 2019).

       Brustbügeln

      Eine weitere Perversion ist das sogenannte Brustbügeln. Es ist in Westafrika (Togo, Ghana, Benin, Nigeria, Guinea, Äquatorialguinea) und vor allem in Kamerun verbreitet. Das Brustbügeln richtet sich gegen Mädchen und Frauen, gegen ihren Körper, ihre Weiblichkeit und ihre Sexualität. Es stellt Gewalt sowie Menschenrechtsverletzungen dar (vgl. TERRE DES FEMMES 2016). Die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES e. V. schreibt: „Dabei werden jungen Mädchen, wenn ihr Brustwachstum einsetzt, im Feuer erhitzte, heiße Steine, Stößel oder Holzspachtel über die Brüste gerieben. Oft müssen die Mädchen zusätzlich ein enges Elastikband um die Brust tragen, das gerade noch genug Platz zum Atmen lässt. Ziel ist, das Brustwachstum der Mädchen zu unterdrücken oder aufzuschieben, damit diese möglichst lange unattraktiv für Männer bleiben.“

      Studien über die Häufigkeit gibt es bisher kaum – nur in Kamerun wurden im Auftrag der GIZ und in Zusammenarbeit mit dem „Institut pour la Recherche, le Développement socioéconomique et la Communication” (IRESCO) in den Jahren 2006 und 2013 zwei Studien zum Thema durchgeführt. Waren im Jahr 2006 noch 23,8 % der Mädchen in Kamerun betroffen, so ist die Zahl bis 2013 auf 11,8 % gesunken. Dies ist vor allem auf Aufklärungskampagnen vor Ort zurückzuführen. […] Allerdings schwanken die Zahlen innerhalb Kameruns stark: So sind im Norden Kameruns nur 7 % der Mädchen und Frauen betroffen, während es rund 53 % in der Littoral-Region rund um Douala sind.“ (ebd.) Wie die Frauenrechtsorganisation weiter ausführt, sind die psychischen und physischen Folgen und Schäden für die Mädchen und Frauen enorm: „Neben den starken Schmerzen während der Prozedur selbst sind auch die kurz- und langfristigen Folgen des Brustbügelns für die Mädchen und Frauen schwerwiegend. Narben, Zysten und Abszesse in der Brust, Infektionen und Fieber, starker Juckreiz, Anomalien der Form, ungleichgroße Brüste, eine Verkleinerung des Volumens und Hängebusen sind häufige körperliche Folgeschäden. Außerdem können viele Betroffene später nicht mehr oder nur mit großen Schwierigkeiten stillen. Dies bringt die jungen Mütter zusätzlich in eine wirtschaftlich schwierige Lage, da Babyfläschchen und insbesondere Milchpulver in Westafrika nur sehr schwierig und teuer zu bekommen sind. Besonders gravierend sind die psychischen Folgeschäden, oftmals posttraumatische Belastungsstörungen. Betroffene Frauen berichten von Panikattacken und einem verminderten Selbstwertgefühl bis hin zum Selbsthass. Sie verstecken ihren Körper und möchten nicht berührt werden. Das führt häufig zu Problemen in der Partnerschaft.“ (ebd.) Die Gründe sind, wie TERRE DES FEMMES e. V. konstatiert, patriarchal geprägt: Es geht um Kontrolle über die sexuellen Beziehungen der Mädchen und um einen vermeintlichen Schutz vor Übergriffen, Vergewaltigungen und Frühschwangerschaften. „Letztlich sind es also die Mädchen, die für die Angst vor männlichen Übergriffen mit der Verstümmelung ihrer Brust zahlen müssen.“

       Die Jagd

      Das Bild des (männlichen) Jägers ist ein archaisches, wobei es dieses – wie es in den gesellschaftlichen Köpfen verankert ist – so nie gegeben hat. Das Bild des Jägers ist Teil toxischer Männlichkeitsvorstellungen und findet sich in vielen Bereichen wieder: Von der Tierjagd bis hin zu der toxischen Formulierung „Jagd nach Frauen“, wobei in diesem Kontext perverserweise der Zusammenhang zum Töten von Tieren durch die Formulierung „Jagd nach Frischfleisch“ hergestellt wird. Dies ist eine Weiterführung toxischer männlicher Einstellungen und Verhaltensweisen und reiht sich in Vergewaltigungen und Femizide ein. Weitere aus der Tierjagd entlehnte Formulierungen, die ebenfalls auf Frauen angewendet werden, sind: „Beute machen/Beute erlegen“ oder „auf die Pirsch gehen“. Der Begriff „Stalking“ stammt ursprünglich ebenfalls aus der Jägersprache und steht dort für das Jagen oder auch Hetzen. Die männliche Zuschreibung beim Töten – ähnlich wie es in allen Bereichen von Kampf, Krieg und Mord der Fall ist – schlägt sich auch in den Zahlen der Jagdscheine nieder: Kurz vor der Jahrtausendwende waren 99 % aller Tierjagenden mit einer offiziellen Erlaubnis Männer, im Dezember 2019 lag der Anteil immerhin noch bei 93 % Männern (vgl. Jagdverband e. V. 2019).

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