Wir leugneten einmütig – nein, wir wußten von keinem Prozeß und von keinen Blattern. Die Matrosen amüsierten sich königlich, denn inzwischen war auch Monsieur Mouton vorgetreten, und es war ein eigenartiger Anblick, wie die beiden sich mit ihren Haustieren gegenüberstanden und aufeinander einschrien.
Der Kapitän aber wurde sehr ernst. Es war strenge Vorschrift, daß jeder Passagier ein Gesundheitsattest vorweisen mußte, er sah auch jetzt, daß es uns Ernst war mitzufahren, und falls er Hieronymus Glauben schenkte, mußte er uns für eine Art verseuchter Verbrecherbande halten.
Die Schwester saß immer noch in ihrem Klappstuhl und rang die Hände. Aber beim Anblick des rasenden Hieronymus und seiner Präsidentin zerrannen ihre Skrupel. Nein, sie wollte nicht in dieses Haus des Lasters zurückkehren. Sie rang die Hände und flehte Gott um ein Wunder an.
In diesem Augenblick der höchsten Spannung vergaß sich das Krokodil und schnappte in auffallender Weise nach dem Ameisenbär, der friedlich neben seinem Herren stand. Darüber wurde Monsieur Mouton so zornig, daß er ihm einen fürchterlichen Fußtritt gab. Hieronymus fuhr dabei die Kette aus der Hand, und das Krokodil sauste mit einem langen Satz über Bord.
Und nun geschah etwas Unbegreifliches, was man sich weder im Augenblick noch später zu erklären wußte. Hieronymus sprang ihm nach – eine Viertelsekunde lang starrte er völlig abwesend und entgeistert durch sein Monokel das entschwindende Ungetüm an und sprang dann ohne weitere Überlegung ebenfalls über Bord, in das Meer, das gerade an diesem Tage stark bewegt war.
Alles stand wie angewurzelt, nur drunten im Boot stieß die Präsidentin des Flammenbundes einen gellenden Schrei aus.
Zum dritten Mal ertönte die Schiffsglocke. Von allen Seiten eilten Barken herbei, aber weder Hieronymus noch das Krokodil kamen wieder zum Vorschein.
Der Dampfer setzte sich in Bewegung, der Kapitän gab keinen Gegenbefehl, es wurde vorläufig überhaupt kein Wort mehr geredet. Wir waren an Bord – unser Gepäck war an Bord – man fuhr ab –, wir fuhren mit, auch für Mouton und seinen Ameisenbären gab es kein Zurück mehr. Mochte das Logierhaus in den Boden versinken und die ganze Insel vom Meer verschlungen werden, wie Hieronymus und sein Krokodil – wir kehrten nicht mehr zurück.
Erst weit draußen, als der Hafen längst hinter uns lag, fand man allmählich die Sprache wieder.
Schwester Hildegard wollte wieder von ihren religiösen Bedenken anfangen und fühlte sich schuldig, weil sie um ein Wunder gebetet hatte, das uns retten möge. Monsieur Mouton aber brachte sie zum Schweigen, indem er sagte: Nein, hiermit habe der liebe Gott nichts zu tun, und wenn überhaupt von einem Wunder die Rede sein könne, so sei es, daß dieser Hieronymus jemals existiert habe, nicht aber sein jäher und spukhafter Untergang. Er selbst, Mouton, der doch durch seinen Fußtritt den Anstoß zur Katastrophe gegeben, spreche sich gleichfalls von jeder Schuld frei, denn Hieronymus –»c’était un revenant, m’ssieurs et mesdames.« Wir übrigen neigten stumm das Haupt.
Kapitän Petersen aber stand nachdenklich und breitbeinig da – jeder Zoll ein Seemann. Er verstand unsere Gespräche nicht, er verstand überhaupt nichts mehr und sagte schließlich kopfschüttelnd: »In die Kajüte, meine Herrschaften. Ich denke, auf den Schrecken ist es am besten, wenn wir erst mal weiter frühstücken.«
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