Vor allem aber: Wohin sind Terra und Luna vor viereinhalb Jahrhunderten versetzt worden?
Weitere Fragen ergeben sich aus dem Vorgang: Falls sie zurückversetzt werden, was geschieht dann mit Iya und seinem Mond? Den stationierten Cairanern? Den freundlichen Ayees? Haben sie alle eine Zukunft?
Nun, das vermutlich durchaus – schließlich hatte es die Ayees schon vor ihrer Versetzung hierher gegeben. Vermutlich. Wahrscheinlich wird es einfach ein Rücktausch sein. Also bleibt nur die Antwort auf die Frage: Wohin kehren sie zurück?
Da die Technik der Ayees noch nicht sehr hoch entwickelt ist, konnten sie uns nicht sagen, wo sie vorher gelebt hatten. Es gab Sterne, es gab den Mond, es gab die Sonne – also alles wie bei uns und Millionen anderer Systeme auch.
Oh. Es ist so weit.
Weiter geht's nach Hause!
Wieder einmal bin ich im Reisefieber.
*
Die Tschubai-Chroniken, Fortsetzung.
Viele Fragen werden mich die nächsten beiden Monate beschäftigen, die wir im Hypertrans-Progressorflug verbringen werden. Das Angenehme dabei? Wir müssen nicht mehr in Suspension gehen.
Das verdanken wir der Wechselwirkung unserer Schiffshülle mit der Proto-Eiris in der Cetus-Kleingalaxis. Atlan hatte damals die Hoffnung gehegt, mit ihr die Pseudo-Biophore in der Milchstraße zu neutralisieren und den Weltenbrand zu verhindern.
Seit diesen Tagen – also seit 1552 NGZ – ist das Schiffsinnere gegen die schädlichen Strahlungskomponenten während des Flugs abgeschirmt, was die Suspension überflüssig macht. Das ist überaus angenehm. Wenngleich sich bei dem einen oder anderen während der zwei Monate gleichförmigen Flugs natürlich auch Langeweile einstellen mag. Bei mir jedenfalls nicht. Ich werde nicht nur alle Daten auf den neuesten Stand bringen, meiner Funktion als Medienwart nachkommen und mein Tagebuch weiterführen, ich werde auch jede Menge Fitness betreiben, denn herumsitzen macht dick, und ich werde bestimmt auch die eine oder andere Verabredung haben und Freundschaften pflegen.
Schließlich ist unser Omniträger-Fernschiff wie ein Miniaturplanet. Na gut: eher eine Hohlwelt von 3000 Metern Durchmesser plus einer Menge Beiboote, die ebenfalls bewohnt sind. Aber das ist durchaus eine kleine Welt für sich. Wir sind 35.000 Mann Besatzung, das sind mehr Menschen, als in einer historischen Kleinstadt lebten, in der nicht jeder jeden kennen kann. Es besteht also während einer langen Reise die Möglichkeit, jemand Neues kennenzulernen. Das finde ich sehr spannend. Ich mag zwar nicht der forscheste, kontaktfreudigste Mensch an Bord sein, aber ich arbeite daran, leichter mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Aber ich habe vorhin von zwei Effekten gesprochen – es gibt also einen weiteren: den Fernblick.
Ich selbst habe ihn nicht ausprobiert ... ich weiß nicht, warum ich bisher davor zurückgeschreckt bin, es wenigstens mal zu versuchen. Diese grenzenlose Weite ... allein der Gedanke daran jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Vielleicht hole ich das eines Tages nach, jetzt aber nicht.
Es gibt jedoch andere, die diesen Ausblick lieben, und mit denen werde ich mich in Kürze treffen. Ich habe soeben die Einladung zu einer Gesprächsrunde erhalten. In meiner Funktion als Vorsitzender des Bordrats. Es heißt, dass es etwas Neues gibt ...
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Icho Tolot fühlte sich wieder ausgeglichen. Auf seinem Weg zur Außenhülle bemerkte er durchaus die zweifelnden Blicke mancher Besatzungsmitglieder, die ihm begegneten. Obwohl es ihn dazu drängte, erlaubte er sich keinen Scherz. Kein Knurren und Zähnefletschen und kein wildes Dreinblicken bei vollständig ausgefahrenen Augenstielen.
Im Gegenteil: Er beugte sich leicht, um nicht zu wuchtig zu wirken, und bewegte sanft die linke Handlungshand, zeigte die leere Fläche. Menschen nickten einander normalerweise grüßend zu, aber dazu war er physisch nicht in der Lage. Sein halbkugelförmiger Kopf konnte mangels Hals nicht geneigt werden.
Man akzeptierte seine Handbewegung allerdings als friedfertige Geste, beantwortete sie mit dem erwähnten Nicken – und ging beschleunigt an ihm vorbei.
Nicht jeder mochte bereits eine persönliche Begegnung mit einem dreieinhalb Meter hohen und in der Schulter zweieinhalb Meter breiten Giganten mit vier Armen und drei knallroten Augen gehabt haben, um unbelastet damit umgehen zu können. Sicherlich wuchsen die meisten in einem Vielvölkergemisch auf, aber Haluter waren nun einmal außergewöhnlich, selten und lebten zurückgezogen. Die Wahrscheinlichkeit, einem zu begegnen, war sehr gering, sogar an Bord, falls man nicht zur Zentralebesatzung gehörte.
Seit der Haluter-Pest hatten sich die Haluter noch rarer gemacht, allenfalls reisten einige als Forscher einzeln durch die Milchstraße.
Icho Tolot aber war schon sehr lange ein Begleiter der Terraner und vor allem Perry Rhodans. Er fühlte nach wie vor den Drang, seine »Kleinen« zu beschützen und damit die heimatliche Galaxis.
Nun war er unterwegs zum äußeren Rand des Gigantraumers, um den Fernblick zu genießen.
Wenn man während des Hypertrans-Progressorflugs unter zehn Meter an die Außenhaut herantrat, bekam man einen besonderen Einblick in den Kosmos. Und davon konnte der Haluter nie genug bekommen.
Sobald er die Distanz unterschritten hatte, schien die Außenhülle schlagartig transparent zu werden, übergangslos, als würde ein Tuch weggezogen. Gerade für ein so außergewöhnliches Wesen war der Anblick noch erhebender, denn der Haluter verfügte über zwei durch eine horizontale Knochenplatte getrennte Gehirne.
Das Ordinärhirn kümmerte sich um die körperlichen Funktionen, Emotionen, Empathie und dergleichen. Das darunter liegende Planhin war am ehesten einem organischen Computer vergleichbar, dessen Leistungsfähigkeit mit einer Positronik mithalten konnte. Damit war ein Haluter in der Lage, innerhalb zehn Nanosekunden stattfindende Ereignisse wahrzunehmen und zu berechnen. Ihm entging damit praktisch nichts ab zehn Milliardstelsekunden.
Und genau deswegen war er in der Lage, den Fernblick auf einzigartige Weise wahrzunehmen und die Schönheit und Komplexität des Kosmos zumindest ein Stück weit zu erfassen und zu verstehen.
Seinen drei Augen offenbarte sich ein hochkomplexes Gemälde von Linien, Kraftfeldern und Strukturen, nicht zu vergleichen mit dem »normalen« Blick ins All, das die Schiffskameras über Holoprojektionen vermittelten.
Sämtliche Linien waren in Bewegung, als strebten sie in alle Richtungen auseinanderstreben und hätten dennoch ein gemeinsames Ziel.
Der Fernblick durch die Hülle der RAS TSCHUBAI schien wie ein Auge zu sein, das ins Universum blickte und es so sah, wie es gedacht war. Nicht verfremdet, nicht selektiert, eine Erweiterung aller Sinne.
Das war nicht jedem zuträglich. Icho Tolot war derzeit nur eine weitere Person am Bord bekannt, die den Ausblick genauso liebte wie er. Den anderen wurde schon nach wenigen Sekunden übel, oder sie wandten sich sofort ab. Man brauchte offenbar gewisse Fähigkeiten dafür.
Glücklich schaute Icho Tolot hinaus, ohne die noch vor kurzer Zeit drängende Wildheit in sich, völlig ausgeglichen, dem Anblick hingegeben.
Bis er es sah.
Sofort geriet er in Unruhe und aus dem Gleichgewicht. Er fixierte. Und noch einmal. Sein Blick irrte dann umher, um sich davon zu überzeugen, dass er sich nicht täuschte.
Schließlich sagte er in die Stille: »ANANSI?«
Nur eine Sekunde später erschien der Avatar der Semitronik, eine junge Frau mit großen, fragenden Augen. »Wie geht es dir, Taravat?«
Taravat, auf Halutisch »der Herausragende« oder »der Ehrwürdige«, aber auch »der, vor dem man sich in Acht nehmen sollte«, war Icho Tolots Ehrentitel. Warum ANANSI ihn so ansprach, konnte Tolot nicht bestimmen. Aber Name oder Titel spielten ohnehin keine Rolle für den Unsterblichen.
»Es geht mir gut«, antwortete er höflich, obwohl die Semitronik gar keine Antwort erwartete. Es war nur eine Begrüßungsformel ohne