Ausblendung. Wege in die virtuelle Welt. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Die c't Stories
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783947619450
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führten zu den Terroristen. Die KS-Zelle wurde liquidiert, wobei ein zweiter Kadett ums Leben kam. Gemäß Protokoll erhielten die beiden nach Übungsende Lipropanol. Sie erinnerten sich an den Einsatz, aber das traumatische Ende war vergessen. Es ging ihnen gut. Alles in allem war es ein guter Score.

      Seine Versuche, mehr über Anns Zustand zu erfahren, waren unergiebig. Tiefschlaf, … auf dem Weg der Besserung … in wenigen Tagen wissen wir mehr, hieß es vom Krankenhaus. Die Schulung der Kadetten nahm ihn voll in Anspruch. Es war schön zu sehen, wie begeistert sie waren und wie sie unter seiner Führung besser wurden. Er hatte kaum Zeit, an den Anschlag zu denken, der Ann und ihn fast das Leben gekostet hätte. Und das war gut.

      Nur in den Träumen kamen die Bilder wieder. Die wasserhellen Augen des Terroristen, der Pick-up, Ann zur Seite stoßen, zielen, feuern. Aus einer Halswunde quellendes Blut.

      Er erwachte mit klopfendem Herzen. Im Takt quellendes Blut – das Metronom des Todes. Wie in der Combat-Simulation. Die Wunde war an der gleichen Stelle und es quoll im gleichen Takt. War das Zufall?

      Bill nahm den geplanten Urlaub, nachdem er die Kadetten durch das Programm geschleust hatte. Sie würden gute Phantoms werden – aufmerksam, entscheidungsstark und skrupellos, wenn es um die Bekämpfung des Terrors ging.

      Es war phantastisch, Ann wiederzusehen. Sie genossen einen romantischen Abend mit allem, was dazugehörte. Sie war wunderschön, kein Anzeichen von Narben, die Haut war glatt und jugendlich, ihre Formen besser denn je, die Brüste zart und wohlgeformt, ein Thigh Gap wie bei einem Model: Die Biobots hatten ganze Arbeit geleistet.

      Er buchte ein Luxushotel auf Sardinien und die Tage vergingen wie im Traum. Sie vermieden es die meiste Zeit, über den Anschlag zu sprechen, aber Bills Alptraum quälte ihn; die Bilder liefen immer wieder ab, als hätte er etwas übersehen.

      „Weißt du noch“, fragte er eines Morgens, „als der Wagen auf uns zu raste? Da standst du neben mir. Was ist dann geschehen?“

      „Du hast mich zur Seite gestoßen.“

      „Und?“

      „Es war heftig, ich bin gestürzt.“

      „Hattest du einen Hut auf? Oder irgendwas um die Schultern? Ein Cape oder einen Umhang?“

      Sie verneinte wortlos. „Warum fragst du?“

      „Ich weiß nicht. Es kam mir so vor. Hat dich der Pickup erwischt?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Du hast geschossen, dann ist er in die Mauer gekracht. Und dann …“

      Dann war die Welt in Feuer und Schmerz untergegangen.

      Jetzt wusste er, was ihn beunruhigte: Er hatte bis zur Explosion volle Sicht auf die Uferpromenade gehabt. Er hätte Ann sehen müssen, sie war ja nicht weit von ihm gestürzt. Aber da war nichts. Dort, wo sie hätte liegen müssen, war in seiner Erinnerung ein Loch.

      „Das kommt vom Lipropanol“, beruhigte sie. „Es ist ohnehin erstaunlich, dass du dich an so viele Details erinnerst. Die haben dir zu wenig gegeben.“

      Die Erinnerung überfiel ihn, als sie durch die Straßen schlenderten, vorbei an Geschäften, Cafés, Restaurants. Ein Windstoß erfasste einen schlecht befestigten Schal vor einem Souvenirladen, wehte ihn in die Straßenmitte. Er schwebte elegant zu Boden und landete in einer Pfütze. Bill blieb stehen. Er starrte in die Pfütze, die vor seinen Augen rot wurde, blutrot wurde sie, und der Schal sog das frische Blut auf.

      Ann hatte einen Schal getragen an jenem Tag. Der Schal lag in einer Pfütze aus Blut und Gehirnmasse, und in der Pfütze lag ein halber Schädel – Anns Kopf oder was von ihm übergeblieben war, als der Pick-up sie überfahren hatte. Du kannst das nicht überlebt haben, dachte er. Nicht mit den besten Biobots der Welt konnte man ein zu Brei gequetschtes Gehirn wiederherstellen.

      Sie merkte gleich, dass etwas nicht stimmte, da er plötzlich schwieg.

      „Was ist, Liebster?“

      „Weißt du noch, an unserem ersten Hochzeitstag, das teure Restaurant in der Bucht?“, lenkte er ab.

      Sie nickte lächelnd. „Das war so schön.“

      „Ich glaube, wir hatten Fisch, nur an den Wein kann ich mich nicht erinnern.“

      Es war ein Test. Er beobachtete sie aufmerksam. Sie blieb kurz stehen, erstarrte, wie um nachzudenken. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Kind im Laufen innehielt und die Spatzen erstarrten im Flug. Für Sekundenbruchteile schien die Welt den Atem anzuhalten.

      „Nein, wir hatten ein Boeuf Bourgignon und dazu zwei Flaschen Volnay ’93.“

      Gut pariert, dachte er. Natürlich wusste er, dass sie ein Boeuf Bourgignon hatten. Dass sie sich noch an den Volnay erinnerte, war auch möglich. Aber gleich den Jahrgang … – etwas zu perfekt für jemanden, dem Wein nicht viel bedeutete. Die Kameras im Restaurant, die Rechnung, die Robotkellner – alles war aufgezeichnet. Ihr Wissen konnte aus der Datenkonserve kommen.

      Er musste sie mit einer Situation testen, die keine digitalen Spuren hinterlassen hatte. Sie schlenderten weiter und er bemühte sich, entspannt zu wirken.

      „Wir waren dann noch am Strand, erinnerst du dich?“

      Sie nickte versonnen.

      „Was hältst du davon, das heute zu wiederholen? Es ist ein lauer Abend.“

      „O ja, wie schön wäre das!“

      Er legte den Arm um ihre Schulter, zog sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich hab’s dir damals gleich zweimal besorgt. Aber das ist zehn Jahre her. Keine Garantie, dass ich das noch bringe.“

      Sie kicherte verschämt und schenkte ihm ein verliebtes Lächeln.

      Er spürte, wie sich seine Brust zusammenzog. Das war nicht Ann. Denn an jenem Hochzeitstag hatte er die zwei Flaschen Volnay fast allein geleert. Sie waren nicht an den Strand gegangen, sondern gleich aufs Zimmer. Und dann war von Sex keine Rede, so abgefüllt, wie er gewesen war.

      Wer bist du? Wenn du nicht Ann bist, wer bin dann ich? Ein Verdacht regte sich, ein ganz und gar unmöglicher Verdacht.

      Die Woche darauf war mit Meetings und Planungen ausgefüllt. Er beschäftigte sich intensiv mit der Weiterentwicklung der VR-Simulation. Es gab immer noch kleinere Probleme mit dem Streaming. Wenn der Haupt-Cluster eine Anfrage erhielt, die komplexe Suchroutinen in der Cloud erforderte, stockte das Bild für Sekundenbruchteile, so wie bei Kevins Combat-Training. Das war für die praktischen Übungen im Gelände kein Problem. In direkter Aktion hatten die Kämpfer keine Zeit für Anfragen an die Zentrale.

      In den Pausen überlegte Bill, wie er seinen unmöglichen Verdacht überprüfen konnte, und so entstand bald ein Plan. Er erfand einen Notfall und bat Ann um Verständnis, dass er über das Wochenende im Forschungszentrum bleiben musste. Er schlenderte zum Krankenhaus, langsam und scheinbar in Gedanken, um keinen Verdacht zu erregen. Er warf einen Blick in die Krankenstation, in der sie ihn zusammengeflickt hatten, und fand wie erwartet das jetzt unbelegte Krankenzimmer. Aber sein Ziel war die Neurochirurgie – ein Hochsicherheitsbereich, in dem Tests am Menschen und Gehirnoperationen an Versuchstieren durchgeführt wurden.

      Am Wochenende gab es nur Journaldienst. Mit seiner Zertifizierung kam Bill problemlos an einer gelangweilten Schwester vorbei, als er die Labors besichtigen wollte. Bioreaktoren brummten, Zentrifugen sirrten, Sequenzierer blinkten, alles lief vollautomatisch ab. Er ging alle Labors ab, aber nirgends fand er Versuchstiere. Auch die OP-Säle, an die er sich erinnerte, gab es nicht. Die Sache wurde immer mysteriöser.

      Er inspizierte den gesamten Trakt, prägte sich die Lage der Labors und Büros ein und zeichnete sie danach in einen Grundrissplan der Basis ein. Dabei entdeckte