Man ist nun heute gewohnt, den Begriff des »kapitalistischen Betriebs« gerade an dieser Betriebsform zu orientieren, weil sie es ist, welche die eigenartigen sozialen Probleme des modernen »Kapitalismus« gebiert. Und man hat daher von diesem Standpunkt aus für das Altertum die Existenz und beherrschende Bedeutung »kapitalistischer Wirtschaft« in Abrede stellen wollen.
Wenn man indessen den Begriff der »kapitalistischen Wirtschaft« nicht unmotivierterweise auf eine bestimmte Kapitalverwertungsart: die Ausnutzung fremder Arbeit durch Vertrag mit dem »freien« Arbeiter, beschränkt – also soziale Merkmale hineinträgt –, sondern ihn, als rein ökonomischen Inhalts, überall da gelten läßt, wo Besitzobjekte, die Gegenstand des Verkehrs sind, von Privaten zum Zweck verkehrswirtschaftlichen Erwerbes benutzt werden, – dann steht nichts fester als ein recht weitgehend »kapitalistisches« Gepräge ganzer – und gerade der »größten« – Epochen der antiken Geschichte. Nur muß man sich auch hier vor Uebertreibungen hüten: – darüber später, – und ferner zeigen die Bestandteile des Kapitalbesitzes sowohl wie die Art seiner Verwertung charakteristische, für den Gang der antiken Wirtschaftsgeschichte bestimmend wichtige, Eigenheiten. Unter den Bestandteilen des Kapitalbesitzes fehlen natürlich alle jene Produktionsmittel, welche durch die technische Entwicklung der letzten beiden Jahrhunderte geschaffen sind und das heutige »stehende Kapital« ausmachen; auf der anderen Seite tritt ein wichtiger Bestandteil hinzu: Schuld- und Kaufsklaven. Unter den Arten der Kapitalverwertung tritt die Anlage im Gewerbe überhaupt, speziell aber in gewerblichen »Großbetrieben« zurück; dagegen besitzt im Altertum eine heute nach Art und Maß der Bedeutung ganz in den Hintergrund getretene Kapitalsverwertungsart eine geradezu dominierende Tragweite: die Staatspacht. Die klassischen antiken Richtungen der Kapitalanlage sind: 1. Uebernahme von oder Beteiligung an Steuerpachten und öffentlichen Arbeiten, 2. Bergwerke, 3. Seehandel (mit eigenem Schiffsbesitz oder Beteiligung daran, speziell durch Seedarlehen), 4. Plantagenbetrieb, 5. Bank- und bankartige Geschäfte, 6. Bodenpfand, 7. Ueberlandhandel (nur sporadisch als kontinuierlicher Großbetrieb – im Okzident wohl nur in den ersten beiden Jahrhunderten der Kaiserzeit nach dem Norden und Nordosten zu –, meist als Commendaanlage im Karawanenverkehr), 8. Vermietung von (ev. ausgebildeten) Sklaven oder ihre Ausstattung als selbständige Handwerker oder Händler gegen »Obrok«, wie die Russen sagen würden, endlich 9. kapitalistische Ausnutzung von gelernten gewerblichen Sklaven, die zu Eigentum oder pfandweise besessen wurden, mit oder ohne »Werkstätten« (Beispiele unten bei Athen). Die Häufigkeit der Verwendung von Sklavenarbeit im eigenen privaten gewerblichen Betrieb ist nicht zu bezweifeln. Selbstmitarbeitende Handwerker mit einigen Sklaven werden vorgekommen sein. Kapitalistische Nutzung kommt in der oben erwähnten, weiterhin noch zu erörternden Form des ἐργαστήριον vor. Für die »klassische« Zeit ist die Ausnutzung der eigenen Sklaven in Form der »unfreien Hausindustrie« (Hingabe der Rohstoffe und Arbeitsgerätschaften seitens des Herrn, Ablieferung der im Familienhaushalt des Sklaven daraus gefertigten Produkte), welche im Orient zweifellos, in Altägypten vorherrschend ist, nicht sicher nachzuweisen, obwohl gewiß vorhanden. Wenn dagegen die exportierten attischen Vasen in größerer Zahl (Maximum bisher ca. 80) den gleichen Namen aufweisen, so ist dies natürlich ein »Künstler« (nicht aber: ein »Fabrikant« oder »Verleger«), dessen Namen dann ev. eine Familie von Töpfern, in der das technische Können, als Geheimnis, erblich sich fortpflanzt, als Eponymos beibehält. Die Existenz von Handwerkerdörfern (δῆμοι) in Attika ist für diesen familienhaften Handwerksbetrieb hier, wie sonst, charakteristisch (s.u.).
Für die quantitative wie qualitative Bedeutung kapitalistischer Erwerbswirtschaft im Altertum waren nun jeweils eine Reihe von Einzelmomenten maßgebend, die in sehr verschiedener Kombination miteinander aufgetreten sind.
1. Die Bedeutung der Edelmetallvorräte muß für das Tempo kapitalistischer Entwicklung zweifellos hoch angeschlagen werden. Allein heute besteht vielfach die Neigung, ihre Bedeutung für die Struktur der Wirtschaft selbst zu überschätzen. Die Wirtschaft Babylons, bei fehlenden Minen und offenbar – die Beschränkung des Edelmetalls auf die Wertmesserfunktion zeigt es ebenso wie die Korrespondenzen der Könige mit den Pharaonen – sehr geringem Metallvorrat, ist schon in ältester Zeit tauschwirtschaftlich so entwickelt wie die irgendeines anderen orientalischen Landes, entwickelter als die des goldbesitzenden Aegypten; die – wenn die neueren Berechnungen auch nur annähernd stimmen – kolossalen Edelmetallvorräte des ptolemäischen Aegypten andererseits haben, trotz voll durchgeführter Geldwirtschaft, den »Kapitalismus« als Strukturprinzip der Wirtschaft nicht zu irgendwelcher besonders bemerkenswerten Höhe, insbesondere nicht zu einer Entwicklung wie im gleichzeitigen Rom, gedeihen lassen; die wunderliche Ansicht endlich, daß das Hereinbrechen der Naturalwirtschaft in spätrömischer Zeit Folge der beginnenden Unergiebigkeit der Bergwerke gewesen sei, stellt den Sachverhalt vermutlich genau auf den Kopf: wo damals eine Unergiebigkeit der Minen sich überhaupt eingestellt hat, dürfte sie ihrerseits Folge der, aus ganz anderen Gründen, im Bergbau an Stelle des in klassischer Zeit gerade hier heimischen kapitalistischen Sklavenbetriebes getretenen Kleinpächterwirtschaft gewesen sein. Die mächtige Rolle, welche die Verfügung über große Edelmetallvorräte und ganz besonders die plötzliche Erschließung solcher kulturhistorisch gespielt haben, soll damit nicht im geringsten geleugnet werden: das alte Fronkönigtum (s.u.) ruht auf dem »Hort« des Königs; ohne die Bergwerke von Laurion gab es keine attische Flotte (?); die Verwandlung von hellenischen Tempelschätzen in Umlaufsmittel könnte manche Preisänderungen im 5./4. Jahrh. mit bewirkt (?) und diejenige der Schätze des Perserkönigs die hellenistische Städteentwicklung erleichtert haben; und die Wirkung des kolossalen kriegerischen Edelmetallimports in Rom im 2. Jahrh. v. Chr. ist bekannt. Aber die Bedingungen dafür, daß jene Edelmetallvorräte damals in der Art ihrer Nutzbarmachung so, wie geschehen, und nicht anders (z.B. thesaurierend, wie im Orient), verwendet wurden, mußten vorher vorhanden sein: – »schöpferisch« in dem Sinne der Erzeugung qualitativ neuer Wirtschaftsformen haben auch im Altertum Edelmetallquanta als solche nicht gewirkt.
2. Die ökonomische Eigenart des kapitalistisch verwendeten Sklavenbesitzes liegt, verglichen mit dem System der »freien« Arbeit, zunächst in der gewaltigen Steigerung des zur Beschaffung der lebendigen Arbeitskraft aufzuwendenden und durch Ankauf in ihr festzulegenden Kapitals; – bei Nichtbeschäftigung des Sklaven im Fall flauen Geschäftes bringt dieses Kapital nicht nur – wie die Maschine – keine Zinsen, sondern es »frißt« überdies (im wörtlichen Sinne) kontinuierliche Zuschüsse. Daraus allein schon folgt: Verlangsamung 1. des Kapitalumschlags, 2. des Kapitalbildungsprozesses überhaupt. Sodann: in dem damit zusammenhängenden, großen Risiko, welches gerade diese Form von Kapital trägt. Dies Risiko liegt nicht nur in dem Umstand begründet, daß die bei kapitalistischer Ausnutzung sehr hohe und dabei überdies ganz unberechenbare Mortalität der Sklaven ökonomisch ein Kapitalsverlust ihres Besitzers ist, auch nicht nur darin, daß jede politische Schlappe die Sklavenkapitalien gänzlich vernichten konnte, sondern außerdem und namentlich in den kolossalen Schwankungen der Sklavenpreise (Lucullus verkaufte Beutesklaven zu 4 Drachmen in einer Zeit, wo man bei mäßig versorgtem Markt im Frieden Hunderte von Drachmen erlegen mußte, um einen brauchbaren Arbeiter zu kaufen), welche die stete Gefahr der Entwertung des angelegten Kapitals mit sich brachte. Die Basis eines sicheren Kostenkalküls, die unumgängliche Voraussetzung differenzierter »Großbetriebe«, fehlte. Dazu tritt ein ferneres Moment: die patriarchale Sklaverei, wie sie im Orient überwog, gab dem Sklaven entweder die Stellung eines Hausgenossen