»Ist er ein Mingo, daß du ihn deinen Feind nennst?« fragte Mohegan. »Der Delawarenkrieger sitzt still und wartet auf die Ankunft des Großen Geistes. Er ist kein Weib, um wie ein Kind zu weinen.«
»Ich traue der Sache nicht, John«, sagte Lederstrumpf, in dessen Miene sich die ganze Zeit über lebhafte Zweifel ausgesprochen hatten. »Man spricht davon, daß es neue Gesetze im Lande geben solle, und ich bin überzeugt, daß dies neue Wege in die Berge zur Folge hat Das Land hat sich so verändert, daß man kaum noch die Seen und die Ströme erkennt Ich muß sagen, daß ich solchen glatten Zungen nicht traue; denn sooft ich schöne Reden aus dem Mund der Weißen vernahm, so hatten sie’s am ehesten auf die Ländereien der Indianer abgesehen. Ich kann dies nicht in Abrede stellen, obgleich ich selbst ein Weißer bin und in der Nähe von York von rechtschaffenen Eltern geboren wurde.«
»Ich will mich fügen«, sagte der Jüngling. »Ich will vergessen, was ich bin. Erinnere mich nicht mehr daran, alter John, daß ich der Abkömmling eines Delawarenhäuptlings bin, der einst Herr war über diese edlen Berge, diese schönen Täler und dieses Wasser, auf dem unser Fuß dahingleitet. Ja, ich will sein Vasall – sein Sklave werden. Ist es nicht eine ehrenvolle Knechtschaft, alter Mann?«
»Alter Mann?« wiederholte der Indianer feierlich und blieb stehen, wie er gewöhnlich zu tun pflegte, wenn ihn etwas sehr aufregte. »Ja, John ist alt, Sohn meines Bruders. Als Mohegan jung war, – wann sah man seine Büchse ruhen? Wohin konnte sich der Hirsch verbergen, ohne daß er ihn fand? Aber John ist alt, seine Hand ist die Hand eines Weibes, sein Tomahawk ist eine Holzaxt, Disteln und Gesträuch sind seine Feinde, – er weiß keinen andern mehr zu treffen. Hunger und Alter treffen zusammen. Sieh, Hawk-eye! als er jung war, konnte er tagelang gehen, ohne etwas zu essen; aber wenn er jetzt nicht Gestrüpp an das Feuer legt, so löscht die Flamme aus. Ergreife die Hand von Miquons Sohn, und er wird dir helfen.«
»Ich gebe zu, daß ich nicht mehr der Mann bin, der ich war, Chingachgook«, erwiderte Lederstrumpf, »aber wenn’s nottut, kann ich auch jetzt noch fasten. Als wir die Fährte der Irokesen durch die Buchenwälder verfolgten, scheuchten sie das Wild vor sich her, und ich hatte vom Montag morgen bis Mittwoch abend keinen Bissen zu essen. Dann aber schoß ich an der pennsylvanischen Grenze einen so fetten Bock, wie nur je ein sterbliches Auge einen gesehen hat. Es hätte dir in der innersten Seele wohlgetan, wenn du die Delawaren hättest essen sehen; denn ich war auf Kundschaft aus und hatte einem Scharmützel ihres Stammes beigewohnt. Du lieber Himmel! die Indianer lagen still, Junge, und warteten, bis die Vorsehung ihnen einen Braten zuführte; aber ich sah mich nach Proviant um und machte dem Tier den Garaus, ehe es noch ein Dutzend Sprünge machen konnte. Ich war zu schwach und zu gierig, um auf das Fleisch warten zu können, und verhalf mir daher zu einem tüchtigen Trunk von seinem Blut, während die Indianer das Fleisch roh verzehrten. John war dabei, und John weiß die Sache. Aber ich muß gestehen, jetzt wäre mir doch ein solches Hungern zuviel, obgleich ich zeit meines Lebens kein starker Esser gewesen bin.«
»Es ist genug gesagt, meine Freunde«, rief der Jüngling. »Ich fühle, daß das Opfer von meinen Händen allenthalben verlangt wird, und es soll gebracht werden. Aber sprecht nicht weiter, ich bitte euch; die Sache fällt mir zu schwer aufs Herz.«
Seine Gefährten verstummten; bald hatten sie die Hütte erreicht, in welche sie eintraten, nachdem zuvor ein sehr komplizierter und sinnreich angebrachter Riegel entfernt war, der scheinbar den Zweck hatte, das ziemlich wertlose Eigentum der Männer zu schützen. Ungeheure Schneehaufen lehnten sich auf der einen Seite an die Holzwände dieser abgeschlossenen Wohnung, während Überreste von einigen Bäumen und Zweige von Eichen und Kastanien, die von den mütterlichen Stämmen durch den Wind abgerissen worden waren, auf der andern Seite aufgeschichtet lagen. Eine kleine Rauchsäule stieg aus einem von Holzstäben gefertigten und mit Ton verkitteten Schornstein vor dem Felsen in die Höhe und hatte den Schnee in dunklen Wellen rußig gefärbt, vom Ausgangspunkt bis dorthin, wo die Anhöhe vor einem Abgrund zurücktrat und Bäumen von gigantischem Wuchs Raum bot, deren Zweige den kleinen Talboden überdachten.
Der Rest des Tages wurde verbracht, wie es an derartigen Tagen gewöhnlich in einem neuen Land geschieht. Die Ansiedler drängten sich wieder nach der Akademie, um nochmals Zeugen von Herrn Grants Beredsamkeit zu sein, und auch Mohegan gehörte zu den Zuhörern. Aber obgleich der Geistliche seine Augen fest auf den Indianer heftete, als er die Versammlung einlud, näher an den Altar zu treten, so lastete doch die Scham über die Verirrung der letzten Nacht zu drückend auf der Seele des alten Häuptlings, als daß er sich hätte von der Stelle rühren können.
Als die Versammlung auseinanderging, hatten sich die Wolken, welche bereits den ganzen Morgen am Firmament hin und her gezogen waren, zu dichten Massen geballt, und ehe noch die Hälfte der neugierigen Kirchgänger ihre verschiedenen Wohnungen, die in den Tälern oder sogar auf den Spitzen des Gebirges lagen, erreicht hatten, schoß der Regen in Strömen nieder. Die starken Ränder der Baumstümpfe tauchten zuerst hervor, und der Schnee schmolz schnell dahin. Die Holz-und Heckenumzäumungen, welche bisher nur als lange weiße Dammreihen, die quer durch das Tal und an den Bergen hinanliefen, erkennbar waren, stachen aus ihrer Umhüllung hervor, und mit jedem Augenblick ließen sich die schwarzen Stubben deutlicher unterscheiden, da die großen Schnee-und Eismassen unter dem Einfluß des Tauwetters von ihren Seiten abfielen.
Geborgen in der warmen Halle der behaglichen Wohnung ihres Vaters sah Elisabeth mit Louise Grant ins Freie und betrachtete verwundert den schnellen Wechsel in der Natur. Selbst das Dorf, das eben noch in dem Festschmuck des gefrorenen Elements geprunkt hatte, warf widerstrebend seine Maske ab, und die Häuser zeigten ihre dunklen Dächer und die rauchenden Kamine. Die Fichten schüttelten den Schnee von sich, und alles schien mit fast zauberhafter Schnelle seine ursprüngliche Farbe wieder anzunehmen.
XIX
Und doch war Edwin kein gemeiner Knabe.
Beattie
Der Abend des Christtages im Jahre siebzehnhundertdreiundneunzig war stürmisch, aber verhältnismäßig warm. Als die einbrechende Nacht die Aussicht nach dem Dorf verdüsterte, verließ Elisabeth das Fenster, wo sie mit einer Neugierde, die durch ihre flüchtigen Eindrücke von den Waldschauplätzen eher gesteigert als gemildert worden war, geweilt hatte, solange noch ein Lichtstrahl die Spitzen der dunklen Fichten säumte.
Ihren Arm in den von Miß Grant geschlungen, ging die junge Dame des Herrenhauses langsam in der Halle auf und ab, sinnend über Szenen, die rasch an ihrer Erinnerung vorüberflogen, wobei ihre geheimsten Gedanken immer wieder bei den sonderbaren Begebnissen weilten, die zu der Einführung eines Mannes, dessen Benehmen in einem so seltsamen Kontrast mit seiner Lage zu stehen schien, in die Familie ihres Vaters Anlaß gegeben hatten. Die anhaltende Hitze im Saal – seines großen Umfangs wegen brauchte er einen Tag, um auszukühlen – hatte ihren Wangen eine Röte verliehen, die ihr nicht gewöhnlich war, während auch Luisens milde und melancholische Züge unter einem leichten, rosigen Anflug erglänzten, der, dem hektischen Ton eines Kranken ähnlich, ihrer Schönheit ein schmerzliches Interesse verlieh.
Die Herren ließen sich an dem einen Ende der Halle die trefflichen Weine des Richters Temple schmecken und wendeten häufig ihre Blicke nach den Gestalten, die schweigend auf und ab gingen. Richard war lustig, bisweilen lärmend, der Major noch nicht auf der Glanzhöhe seiner Heiterkeit angelangt, während Marmaduke die Gegenwart seines geistlichen Gastes zu sehr respektierte, um sich selbst der unschuldigen Munterkeit hinzugeben, die seinem Charakter eigentümlich war.
So dauerte es fort, bis die Läden geschlossen wurden und die an den verschiedenen Teilen der Halle aufgesteckten Kerzen das scheidende Tageslicht