»Die Mauern stürzen uns über dem Kopfe zusammen, und der Mundvorrath fängt an zu fehlen,« fuhr Heyward fort, ohne diesen neuen Ausbruch seines Unmuths zu beachten; »selbst die Mannschaft zeigt Spuren von Unzufriedenheit und Unruhe.«
»Major Heyward,« sprach Munro, mit der vollen Würde des Alters und eines höheren Ranges zu dem jungen Manne sich wendend, »umsonst hätte ich Sr. Majestät ein halbes Jahrhundert gedient und meine Haare im Feld ergrauen sehen, wenn ich das, was Sie sagen, und die Dringlichkeit der Umstände nicht selbst begreifen würde; und doch sind wir der Ehre der königlichen Waffen und unsrer eigenen Alles zu opfern verpflichtet. So lange noch Hoffnung auf Unterstützung vorhanden ist, werde ich diese Feste vertheidigen, und sollt’ ich dazu die Kiesel vom Seeufer auflesen. Alles kommt darauf an, den Brief zu Gesicht zu bekommen, damit wir die Absichten des Mannes kennen lernen, den uns der Earl von London als seinen Stellvertreter hinterlassen hat.«
»Und kann ich hiebei von Nutzen seyn?«
»Ja, das können Sie, Sir: der Marquis von Montcalm hat mich neben seinen übrigen Artigkeiten auch zu einer persönlichen Unterredung zwischen den Festungswerken und dem Lager eingeladen, um mir, wie er sagt, weitere Aufschlüsse zu geben. Nun denke ich, würd’ es nicht sehr weise seyn, wenn ich ein zu großes Verlangen zeigte, ihn zu sprechen, und ich könnte Sie, einen Offizier von Rang, zu meinem Stellvertreter nehmen: denn es würde Schottland keine Ehre bringen, wenn es hieße, eines seiner Kinder habe sich von dem Eingebornen eines andern Landes an Höflichkeit übertreffen lassen.« Ohne sich in eine überflüßige Erörterung oder Vergleichung bei Höflichkeitsverdienste dieser oder jener Nation einzulassen, Verstand sich Duncan mit Freuden dazu, bei der bevorstehenden Unterredung die Stelle des Veteranen zu vertreten. Ehe er sich verabschiedete, folgte eine lange, vertrauliche Mittheilung, in welcher der junge Mann von dem, was ihm oblag, noch genau unterrichtet wurde, wie es eben die Erfahrung und der eigenthümliche Scharfsinn seines Obern eingeben mochte. Da Duncan nur als der Stellvertreter des Befehlshabers auftrat, so fielen natürlich die Förmlichkeiten, welche eine Unterredung der Häupter beider feindlichen Streitkräfte begleitet hätten, weg. Der Waffenstillstand dauerte noch fort, und unter dem Wirbeln der Trommeln trat Duncan, von einer kleinen weißen Fahne begleitet, zehen Minuten nach dem Empfang seiner Verhaltungsbefehle aus dem Ausfallthor. Er wurde von dem Offizier, der die Vorposten befehligte, mit den gewöhnlichen Förmlichkeiten empfangen und sogleich zu dem entfernten Zelte des berühmten Kriegsmanns geführt, der an der Spitze des französischen Heeres stand.
Der feindliche General empfing den jugendlichen Abgesandten, umgeben von seinen hohen Offizieren und einer dunkeln Schaar indianischer Häuptlinge, welche ihn mit den Kriegern ihrer verschiedenen Stämme in das Feld begleitet hatten. Heyward stand einen Augenblick stille, als seine Augen mit einem flüchtigen Blicke über die dunkle Gruppe der letztern schweiften und den boshaften Zügen Magua’s begegneten, welcher ihn mit der diesem Wilden eigenen, ruhigen, aber düstern Aufmerksamkeit betrachtete. Ein Ausruf des Erstaunens wollte den Lippen des jungen Mannes entschlüpfen; schnell erinnerte er sich aber seines Auftrags und seiner Umgebung, und jeden Schein von Aufregung unterdrückend, wandte er sich gegen den feindlichen Anführer, der ihm bereits einen Schritt entgegen getreten war.
Der Marquis von Montcalm stand in der Zeit, von welcher wir schreiben, in der Blüthe seiner Jahre und, könnte man hinzusetzen, im Zenith seines Glückes. Aber selbst in dieser beneidenswerthen Lage war er leutselig und zeichnete sich eben so wohl durch seine Aufmerksamkeit gegen die Gesetze der Höflichkeit, als durch jenen ritterlichen Muth aus, der ihn schon zwei Jahre später auf den Ebenen von Abraham das Leben verlieren ließ. Duncan’s Auge wandte sich von der boshaften Miene Magua’s ab und heftete sich mit Vergnügen auf die lächelnden, feinen Züge und den edeln kriegerischen Anstand des französischen Anführers.
»Mein Herr,« sprach Letzterer, »es macht mir viel Vergnügen, daß – aber wo ist der Dolmetscher?«
»Ich glaube, er wird uns entbehrlich seyn,« erwiederte Heyward bescheiden, »ich spreche ein wenig Französisch.«
»Ah! das ist mir lieb,« sprach Montcalm, indem er Duncan vertraulich unter dem Arme nahm und ihn in die Tiefe des Zeltes führte, wo sie sich eher besprechen konnten, ohne gehört zu werden. »Ich hasse diese Schelme, man weiß nicht recht, wie man mit ihnen daran ist.« –
»Nun, mein Herr,« fuhr er fort, immer noch französisch sprechend, »obgleich ich stolz darauf gewesen wäre, Ihren Chef bei mir zu empfangen, so schätze ich mich dennoch glücklich, daß er es geeignet fand, einen so ausgezeichneten und sicher eben so liebenswürdigen Offizier an mich abzuordnen.«
Duncan verbeugte sich tief, denn er nahm die Schmeichelei gerne hin, obgleich er den heroischen Entschluß gefaßt hatte, sich durch keinen Kunstgriff bethören zu lassen, die Interessen seines Fürsten außer Acht zu setzen. Montcalm fuhr, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, als ob er seine Gedanken sammeln wollte, fort:
»Ihr Kommandant ist ein wackerer Mann und wohl versteht er, meine Angriffe abzuschlagen. Aber ist es nicht Zeit, der Menschlichkeit mehr, als dem Muthe Gehör zu geben? Jene ziert den Helden ebenso, wie diese.«
»Wir halten diese Eigenschaften für unzertrennlich,« versetzte Duncan lächelnd, »während wir über in der Energie Eurer Excellenz alle Aufforderung finden, diesen zu beleben, so sehen wir doch noch keine Veranlassung, jene in Anwendung zu bringen.«
Montcalm verbeugte sich seinerseits leicht, aber mit der Miene eines Mannes, der zu erfahren ist, um auf die Sprache der Schmeichelei zu hören. Nach kurzem Nachsinnen fuhr er fort:
»Möglich, daß meine Gläser mich täuschten, und daß Ihre Werke unserm Geschütze besser widerstehen, als ich geglaubt hatte. Sie kennen unsere Stärke?«
»Unsere Berichte lauten verschieden,« antwortete Duncan nachläßig, »aber die höchsten schätzen Ihre Macht auf nicht mehr, als zwanzigtausend Mann.«
Der Franzmann biß sich in die Lippen, und faßte den Andern scharf in’s Auge, als ob er in seinen Gedanken lesen wollte; dann fuhr er mit der ihm eigenthümlichen Gewandtheit fort, als ob er die Richtigkeit einer Angabe, welche die Stärke seines Heeres verdoppelte, anerkenne.
»Es ist ein schlechtes Kompliment für uns Soldaten, mein Herr, daß wir, was wir auch angewandt, unsere Zahl nicht haben verbergen können. Wenn es irgendwo möglich wäre, so glaubte ich, es müßte in diesen Wäldern geschehen können. Wenn Sie es aber auch für zu früh halten, auf die Stimme der Menschlichkeit zu hören,« fuhr er arglistig lächelnd fort, »so darf ich doch glauben, daß die Galanterie bei einem jungen Manne, wie Sie, ihr Recht finden wird. Die Töchter des Kommandanten sind, wie ich höre, in das Fort gekommen, seit es eingeschlossen ist.«
»Es ist wahr, Monsieur: aber weit entfernt, unsern Muth zu schwächen, geben sie uns in ihrer eigenen Seelenstärke ein Beispiel des Muthes! Bedürfte es nur der Entschlossenheit, um einen so vollendeten Kriegsmann, wie Monsieur de Montcalm, zurückzuschlagen, so würde ich der älteren dieser Damen mit Vergnügen die Vertheidigung von William Henry anvertrauen.« »Es ist eine weise Verordnung in unserem salischen Gesetz, ›die Krone von Frankreich soll nie von der Lanze an den Rocken übergehen,‹ versetzte Montcalm trocken und mit einer gewissen Hoheit, ging aber sogleich wieder in einen Ton leichter Höflichkeit über: »da alle edleren Eigenschaften sich vererben lassen, so will ich Ihnen gerne glauben; aber, wie ich schon sagte, auch der Muth hat seine Gränzen und auch die Menschlichkeit spricht ihr Recht an. Ich hoffe, mein Herr, Sie sind bevollmächtigt, über die Bedingungen der Uebergabe des Forts zu unterhandeln?«
»Haben