Die Frau Pfarrerin und andere Heimatgeschichten. Jeremias Gotthelf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jeremias Gotthelf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075837202
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des Nachts am aufgeregtesten und kühnsten sind oder scheinen. In Waltrigen hatte man bereits Erfahrungen gesammelt, die Ideale waren zerronnen, man kannte die Franzosen. Diese ließen durch solch Mißtrauen sich nicht anfechten, ihr Selbstbewußtsein erhob sie darüber, jedem war es, als ob er die ganze große Nation in seinem Leibe trüge.

      Dieses nationale Selbstbewußtsein hat seine große, schöne, aber auch seine wüste und lächerliche Seite; jedenfalls wäre zu wünschen, daß die Deutschen und Schweizer auch etwas davon hätten; hätten sie etwas davon, so würden sie nicht meinen, sie müßten dieses französische Selbstgefühl sich aneignen, sobald es bei den Franzosen zutage trittet, als ob sie die gebornen Affen der Franzosen wären. In Frankreich soll folgende Sage existieren: Als unser Herrgott aus Lehm den Adam geschaffen, habe er dem Adam mit dem Atem des Lebens die französische Sprache eingehaucht, und das erste Lebenszeichen, welches Adam gegeben, sei gewesen, daß er gesagt habe: »Merci bien, cher père!« Ein Klümplein Lehm sei übriggeblieben, und Gott der Herr habe es liegen lassen. Als Gott der Herr den Adam gemacht, habe auf einem Baum ein Affe gesessen und Gott dem Herrn zugesehen, wie er den Adam gemacht. Als Gott der Herr fortgeflogen, da sei der Affe vom Aste gesprungen, habe über den Lehm sich hergemacht, habe denselben geknetet, getanggelt, bis er eine Figur gegeben, und dann habe er dreingeblasen aus Leibeskraft. Da sei Leben in die Figur gekommen, sie habe sich gedreht und gestreckt, habe endlich das Maul aufgerissen und gesagt: »Himmelsackerment, da bin ich auch!« Darauf habe der Adam gesagt: »Qui est là?« Darauf habe der andere gesagt: »Versteh dich nicht, das wird französisch sein? Himmelsackerment, wenn ich nur Französisch könnte, quix und cax und sonst noch mehr!« Darauf habe der Adam gesagt: »Bougre bête!« »Märschi bieng!« habe darauf der andere gesagt. So erzählt man sich in Frankreich die Schöpfung.

      Endlich brach der Tag an, es war schön und dazu ein Sonntag. Sonntage, wenn die Sonne scheint, sind immer glänzender als andere Tage, so wie sie auch, wenn trüb das Wetter ist, viel trübseliger scheinen als andere Tage. Die Franzosen fuhren wie Wespen im Hause herum, jagten nach allerlei Dingen, absonderlich dem Weibervolk, kriegten viele Dinge, aber eben gerade dieses nicht. Hänsel hatte unter vielem Fluchen angespannt; einige Franzosen hatten dazu getrieben, saßen längst oben auf dem Wagen, machten höllischen Spektakel mit Schreien und Gestikulieren, sprangen hinunter und wieder herauf, daß die wilden Pferde fast nicht anzuspannen und zu halten waren. Das ging auf und nieder noch ganz anders, als auf der Leiter, auf welcher Vater Jakob die Engel auf- und niedersteigen sah, wird zugegangen sein. Die auf dem Wagen schrien nach denen, welche noch im Hause waren; trabten endlich diese her, sprangen die erstern herunter, und die andern schrieen und lärmten. Hänsel verlor die Geduld; er setzte sich aufs Sattelroß und schrie, wer mitwolle, solle aufsitzen, keinem Donners Schelm warte er eine Minute länger! Die Franzosen verstunden ihn nicht, begriffen ihn jedoch und schrieen nun noch einmal soviel, dem Hänsel, er solle warten, den andern, sie sollten kommen, und kam einer, sprangen zwei herunter, die übrigen zu holen. Da setzte sich Hänsel zweg, sagte: »Hü, in Gottes Name!« und ließ die Peitsche knallen, daß es an allen Bergen widerhallte. »Bougre diable! Sacré nom de Dieu! C'est une bête! Cochon!« usw. brüllte es hinter Hänsel her, focht den aber nicht an; der fuhr kaltblütig zu und gerade in die tiefsten Löcher mitten hinein, daß der Wagen alle Augenblicke umzustürzen drohte, die Franzosen die größte Mühe hatten, sich oben zu erhalten, und die, welche über Hals und Kopf nachgelaufen kamen, das Leben riskierten.

      Von Waltrigen nach Burgdorf führen zwei Wege: einer über Sumiswald, es ist die Hauptstraße von Bern nach Luzern, einer über Affoltern auf wildem Bergrücken, eng, schlecht und einsam, aber kürzer als der erste. Diesen hatte Hänsel gewählt. Der Meister hatte gesagt: »Warum diesen? Nimm dich in acht, da können sie mit dir machen, was sie wollen!« Darauf hatte Hänsel gesagt: »Und ich mit ihnen, sie sind in meiner Hand so gut als ich in der ihren; ich bins, der das Leitseil hält!« »Meinethalb«, hatte darauf der Meister gesagt, »willst du es wagen, so wage es, aber zu den Rossen sieh mir, Rosse kosten Geld!« Es war schön, wie die Franzosen nachzottelten, in den Wagen purzelten, ihre damals noch dreieckigen Hüte nach allen Richtungen sich drehten, wankten und stürzten, während Hänsel kaltblütig auf dem Sattelpferde saß und kunstgerecht durch alle Löcher den Wagen rumpeln, die Pferde in ziemlichem Trabe laufen ließ. Bekanntlich liebt der Franzose die Bewegung, und als einmal alle oben saßen, erquickten sie sich ordentlich am Schütteln und Rütteln, und wenn einer einen Purzelbaum ins Stroh machte oder mit der Nase dem Vordermann in den Nacken fuhr, so gab das Grund zum Lachen, und das war allen recht.

      Aber nun kam man an einen Berg; im schwarzen Tannenwald führte ein enger Hohlweg auf den wilden Bergrücken, an dessen östlichem Abhange Affoltern liegt. Der Hohlweg ist steil und lang, und begreiflich fuhr Hänsel in kurzem Schritt und sah immer hinter sich, ob die Franzosen nicht Verstand hätten und absteigen wollten. Damals mutete man dem Vieh noch nicht Unmenschliches zu; damals machte man aus fünf Stunden eine Tagreise, stieg am kleinsten Abhang aus, und wo der Weg irgendwie sich neigte, spannte man aus Leibeskräften. Aber Hänsel sah umsonst zurück. Da stieg ihm keiner der Franzosen ab, sie brüllten ihn an und machten allerlei Gebärden, sogar mit Säbeln und Flinten. Hänsel verstand ihr Weltschen nicht, drehte sich kaltblütig um und stopfte gemächlich seine Pfeife. Aber die Franzosen, deren heißem Blut langsames Fahren nicht zusagte und bekanntlich mit ihren requirierten Fuhrleuten nie besonders human umgingen, hatten auf ihren Weltfahrten gar anschauliche Manieren, um sich begreiflich zu machen, sich angeeignet: die einen jagten und scheuchten die Pferde, andere schlugen nach Hänsel, kitzelten ihn mit den Bajonetten; er konnte sich nicht wehren, mußte die Pferde halten, verspritzte fast vor Zorn, und wenn er mit der Peitsche drohte, so höhnten sie ihn aus, fingen die Peitsche und kujonierten ihn um so tapferer. Hänsel war eine zornige Natur, aber solch einen Zorn hatte er noch nie verwerchet, wäre nur irgendwo ein Loch gewesen, groß genug, er wäre aus der Haut gefahren. Aber, wie es geht, daß auf die größte Hitze plötzliche Kälte folgt, wie zum Beispiel, wenn man Fische kocht, der Boden der Pfanne kalt wird, sobald der Inhalt der Pfanne den rechten Siedepunkt erreicht hat, so ging es Hänsel.

      Als man den Berg hinaufgefahren war, waren die Pferde mit Schaum bedeckt und ganz erwildet. Mit Mühe hielt sie Hänsel zurück von zornigem Lauf, und immer boshafter und mutwilliger hetzten von hintenher die Franzosen. Auf und nieder führte der Weg, selten war hie und da eine kleine ebene Strecke; es war so recht passend für mutwillige Bursche, Pferde und Fuhrmann des Teufels zu machen. Prachtvoll ist die Aussicht von jenen Höhen weg, das ganze Aartal samt dem Jura sieht man rechts, das Emmental und hinter demselben die Gebirgskette in ihrer weitesten Ausdehnung sieht man links, wer nämlich die Augen zum Sehen hat; aber die Franzosen hatten solche nicht, hatten für nichts Sinn als für ihr boshaft Spiel. So waren sie endlich zu dem Punkte gekommen, wo der Weg eng und steil wischen Felsen zu Tal läuft und in der Nähe von Burgdorf in die Heerstraße sich mündet. Wer einen guten Schritt hat, braucht mehr als eine halbe Stunde, bis er aus der Tiefe auf die Höhe kommt.

      Als Hänsel die Höhe erreicht hatte, wo der Weg sich zu senken beginnt, hineinläuft in die Rinne, welche zu Tal führt, da hetzten die Franzosen wieder in wilder Lust Mann und Rosse. Da hob sich plötzlich Hänsel im Sattel, hieb auf die Vorderrosse ein, stach die Deichselpferde an, daß die wilden Tiere hoch aufsprangen, in gestreckten Laufe niederrannten. Hänsel hatte die Zügel gut gefaßt, kannte genau die kurzen Windungen des Weges und schnurrte mit seinen Franzosen auf Tod und Leben den Berg ab. Wohl, jetzt ging es den Franzosen rasch genug, sie schrien schrecklich erst, dann ward es stille auf dem Wagen, keinen Laut vernahm Hänsel mehr.

      Warum es so stille ward, wußte Hänsel nicht, zum Zurücksehen hatte er keine Zeit. Scharf in Aug und Hand hielt er die Rosse; glücklich machte er die gähe Beugung beim sogenannten Sommerhaus, einem Bade, in welchem die Burgdorfer seit mehr als hundert Jahren sich weiß zu waschen versuchen und es doch nie zustandebringen. Die ganze Bewohnerschaft schoß unter Türen und Fenster, sah mit Beben die rasende Fahrt, sah mit Staunen, wie Hänsel glücklich in die Heerstraße lenkte und der Stadt zufuhr. Leer war der Wagen, nichts als einen kleinen Koffer fand Hänsel, als er vor dem Kaufhause hielt; den warf er ab und fuhr durchs obere Tor weiter in großem Bogen der Heimat zu. Wenn auch keiner seiner Franzosen von ferne zu schauen war, so traute er dem Landfrieden doch nicht, denn es lagen andere im Städtchen; an den Hals ging es ihm, wenn sie seine halsbrechende Rache vernahmen. Sie waren als Brüder ins Land gekommen, als Brüdern war ihnen alles erlaubt;