«Ich habe nur gesagt», sprach Cacus langsam zurückweichend: «erst ess’ ich meine Hirse, das Tier mag warten; bei uns zu Lande kommt der Mensch vor dem Vieh.» – «So, du Tropf?» sagte Wachis, die Bremsen erschlagend, «bei uns kommt das Roß vor dem Reiter zum Futter; mach vorwärts.»
Aber Cacus war stark und trotzig; er warf den Kopf auf und sagte: «Wir sind hier in unserm Land – da gilt unser Brauch.» – «Eia, du verfluchter Schwarzkopf, wirst du gehorchen?» sprach Wachis ausholend. – «Gehorchen? Nicht dir! Du bist auch nur ein Sklave wie ich: und meine Eltern haben schon hier im Hause gelebt, als deinesgleichen noch Küh’ und Schafe stahlen jenseits der Berge.» Wachis ließ den Knüttel fallen und wiegte seine Arme: «Höre, Cacus, ich habe ohnehin noch einen Span mit dir, du weißt schon, was für einen. Jetzt geht’s in einem hin.» – «Ha», lachte Cacus höhnisch, «wegen Liuta, der Flachsdirn? Pah, ich mag sie nicht mehr, die Barbarin. Sie tanzt wie eine Jungkuh.» – «Jetzt ist’s aus mit dir», sagte Wachis und schritt auf seinen Gegner zu. Aber dieser wandte sich wie eine Katze aus dem Griff des Goten, riß ein spitzes Messer aus der Brustfalte des Wollrocks und warf es nach ihm: da sich Wallis bückte, sauste es haarscharf an seinem Kopf vorbei und fuhr tief in den Pfosten der Tür. «Na, warte, du Mordwurm!» rief der Germane und wollte sich auf Cacus werfen; da fühlte er sich von hinten umklammert.
Es war Davus, der die Gelegenheit der Rache scharf erpaßt hatte.
Aber jetzt ward Wachis sehr zornig.
Er schüttelte ihn ab, packte ihn mit der Linken am Genick, erwischte mit der Rechten Cacus an der Brust und stieß nun mit Bärenkraft seinen beiden Gegnern die Köpfe zusammen, jeden Stoß mit einem Ausruf begleitend: «So, meine Jungen – das für das Messer – und das für den Rückensprung – und den für die Jungkuh» – und wer weiß, wie lange diese seltsame Litanei noch fortgedauert haben würde, hätte sie nicht ein lautes Rufen gestört.
«Wachis – Cacus – auseinander, sag’ ich!» rief eine volle starke Frauenstimme, und vor der Tür erschien ein stattliches Weib in blauem, gotischem Gewand. Sie war nicht groß und doch imposant: ihr schöner Bau eher mächtig als zart. Die goldbraunen Haare waren in reichen, doch einfachen Flechten um das runde Haupt geschlungen, die Züge regelmäßig, aber eher fest als fein gezeichnet. Geradheit, Tüchtigkeit, Verlässigkeit sprachen aus den fast allzugroßen graublauen Augen: die unbedecktem vollen Arme zeigten, daß sie der Arbeit nicht fremd. An ihrem breiten Gürtel, über den das braune Untergewand von selbstgewirktem Zeuge bauschte, klirrte ein Bund von Schlüsseln: die Linke stemmte sie ruhig in die Hüfte, und befehlend streckte sie die Rechte vor sich hin.
«Eia, Rauthgundis, strenge Frau», sagte Wachis loslassend, «mußt du denn überall die Augen haben?»
«Überall, wo mein Gesinde Unfug treibt. Wann werdet ihr lernen, euch zu vertragen? Euch Welschen fehlt der Herr im Hause. Aber du, Wachis, solltest nicht auch der Hausfrau Verdruß machen. Komm, Athalwin, mit mir.» Und sie führte den Knaben an der Hand mit fort.
Sie ging in dein Seitenhof und füllte aus einer Truhe Körner in ihr Gewand, die Hühner und Tauben zu füttern, die sie sogleich dicht umdrängten.
Athalwin sah eine Weile schweigend zu. Endlich sagte er: «Du, Mutter, ist’s wahr? Ist der Vater ein Räuber?»
Rauthgundis hielt inne in ihrem Tun und sah das Kind an: «Wer hat das gesagt?»
«Wer? Ei, des Nachbars Calpurnius Neffe. Wir spielten auf dem großen Heuhaufen seiner Wiese drüben überm Zaun, und ich zeigte ihm, wie weit das Land uns gehöre rechts vom Zaun – weit und breit – soweit unsre Knechte mähten und fern der Bach schimmerte. Da ward er zornig und sagte: ‹Ja, und all das Land gehörte früher uns, und dein Vater oder dein Großvater, die haben’s gestohlen, die Räuber.›»
«So? und was sagtest du drauf?»
«Ei, gar nichts, Mutter. Ich warf ihn nur über den Heuhaufen hinunter, daß er die Füße gen Himmel schlug. Aber jetzt, nach der Hand, möcht’ ich doch wissen, ob’s wahr ist.»
«Nein, Kind, es ist nicht wahr. Gestohlen hat’s der Vater nicht. Aber offen genommen, weil er besser war und stärker als diese Welschen. Und alle starken Helden haben’s immer so gemacht zu allen Zeiten. Und die Welschen in den Tagen, da sie stark waren und ihre Nachbarn schwach, am allermeisten. Aber nun komm, wir müssen nach dem Linnen sehen, das auf dem Anger zur Bleiche liegt.»
Als sie nun den Stallungen den Rücken wandten und dem nahen Grashügel links vom Hause zuschritten, hörten sie den raschen Hufschlag eines Rosses, das auf der alten römischen Heerstraße nahte. Rasch hatte Athalwin den Gipfel des Hügels erreicht und blickte nach der Straße hin.
Da sprengte ein Reiter auf einem mächtigen Braunen die Waldhöhe herab auf die Villa zu: hell funkelte sein Helm und die Spitze der Lanze, die er schräg über dem Rücken trug.
«Der Vater, Mutter, der Vater!» rief der Knabe und rannte pfeilgeschwind den Hügel hinab dem Reiter entgegen.
Rauthgundis hatte jetzt auch die Höhe erreicht. Ihr Herz pochte. Sie legte die Hand vors Auge, in die schimmernde Abendröte zu schauen: dann sagte sie still glücklich vor sich hin: «Ja, er ist’s. Mein Mann!»
Fünftes Kapitel
Inzwischen hatte Athalwin den Nahenden schon erreicht und kletterte an seinem Fuß hinan. Der Reiter hob ihn mit liebevoller Hand herauf und setzte ihn vor sich in den Sattel und flog jetzt im Galopp heran: lustig wieherte Wallada, das edle Tier, einst Theoderichs Streitroß, die Heimat und die Herrin erkennend, und schlug freudig mit dem langen, wallenden Schweif.
Nun war der Reiter heran und stieg ab mit dem Knaben. «Mein liebes Weib!» sprach er, sie herzlich umarmend. «Mein Witichis!» flüsterte sie, an seiner Brust erglühend, entgegen, «willkommen bei den Deinen.» – «Ich hatte versprochen, noch vor dem neuen Mond zu kommen, schwer ging’s –»
«Aber du hieltst Wort wie immer.» – «Mich zog das Herz», sagte er, den Arm um sie schlingend. Sie schritten langsam dem Hause zu. «Dir, Athalwin, ist scheint’s Wallada wichtiger als der Vater», lächelte er dem Kleinen zu, der sorgfältig das Pferd am Zügel nachführte.
«Nein, Vater, aber gib mir noch die Lanze dazu – so gut wird mir’s selten hier in dem Bauernleben» – und den langen schweren Speerschaft mit Mühe einherschleppend, rief er laut: «He, Wachis, Ansbrand, der Vater hat Durst vom scharfen Ritt.»
Lächelnd strich Witichis über den Flachskopf des Knaben, der jetzt an ihnen vorüber und voran eilte. «Nun, und wie steht’s hier draußen bei euch?» fragte er, auf Rauthgundis blickend. «Gut, Witichis, die Ernte ist glücklich eingebracht, die Trauben gestampft, die Garben geschichtet.» – «Nicht danach frag’ ich», sagte er, sie zärtlich an sich drückend, – «wie geht es dir?» – «Wie’s einem armen Weibe geht», antwortete sie, zu ihm aufblickend, «das seinen herzgeliebten Mann vermißt. Da hilft nur Arbeit, Freund, und tüchtig Schaffen, daß man das weiche Herz betäubt. Oft denk’ ich, wie arg du dich mühen mußt, draußen, unter fremden Leuten, im Lager und am Hof, wo niemand dein in Treuen pflegt. Da soll er wenigstens, denk’ ich dann, kommt er heim, sein Haus immer wohl bestellt und traulich finden.
Und das ist’s, sieh, was mir all die dumpfe Arbeit lieb macht und weihet und veredelt.»
«Du bist mein wackeres Weib. Mühst du dich nicht zuviel?»
«Die Arbeit ist gesund. Aber der Verdruß, die Bosheit der Leute, das tut mir weh.» Witichis blieb stehen. «Wer wagt’s, dir wehzutun?» – «Ach, die welschen Knechte und die welschen Nachbarn.