Teja vernahm die Schritte des Nahenden und legte die Harfe nieder. «Es ist der König», sagte er: «ich kenne seinen Gang. Was suchst du hier, mein König?»
«Ich suche dich, Teja», antwortete dieser.
Teja sprang auf von der gefallnen Säule, darauf er saß. «So geht’s zum Kampf?»
«Nein», sagte Totila, «doch verdien’ ich diesen Vorwurf.» Er faßte ihn bei der Rechten und zog ihn liebevoll wieder auf den Marmorsitz, sich neben ihn niederlassend. «Ich suche nicht dein Schwert, ich suche dich. Ich brauche dich, aber nicht deinen Arm: – dein Herz. Nein, bleibe nur, Adalgoth: du darfst und sollst es hören, wie man den stolzen Mann, ‹den schwarzen Grafen› lieben muß.»
«Das weiß ich, seit ich ihn gesehen. Er ist wie der Dunkelwald, durch dessen Wipfel geheimnisvolles Rauschen geht: voll Schauer und voll Reiz zugleich.»
Teja heftete einen langen Blick auf den König aus seinen großen, traurigen Augen.
«Sieh, mein Freund, soviel ist mir geworden, so Reiches hat der gnädige Himmelsgott mir zugewendet! Ein halbverlornes Reich hab’ ich zurückgewonnen: – soll ich nicht auch zurückgewinnen können des Freundes halbverlornes Herz? Freilich: der Freund hat das Beste getan bei der Wiedergewinnung des Reichs: – er muß auch hier das Beste tun. Was hat mir dein Herz entfremdet? Verzeih mir, wenn ich, wenn mein strahlendes Glück dich gekränkt. Ich weiß, wem ich die Krone danke: und ich kann sie nicht mit Freude tragen, wenn nur dein Schwert, nicht auch dein Herz mein eigen. Wir waren Freunde, Teja, ehedem – o laß uns wieder Freunde sein, denn ich kann dich nicht entbehren.»
Und er wollte den Arm um seinen Nacken schlingen.
Aber Teja faßte seine beiden Hände und drückte sie.
«Dieser nächtige Gang ehrt dich mehr als dein Siegesgang durch Italien. Die Träne, die ich in deinem Auge zittern sah, ist mehr wert als die edelste Perle deiner Krone. Vergib du mir: ich hatte dir Unrecht getan. Das Glück und dein helles fröhliches Blut haben doch deinem Herzen nicht geschadet. Ich habe dir nie gezürnt: ich habe dich stets geliebt, und mit Schmerzen hab’ ich’s empfunden, wie unsere Wege immer weiter auseinander gingen. Denn im Grunde gehörst du doch zu mir: näher als zu dem wackeren Witichis: näher als zu dem leiblichen Bruder.»
«Ja, ihr gehört zusammen», sprach Adalgoth, «wie Licht und Schatte.»
«Wir empfinden gleich rasch, gleich feurig», sagte der König.
«Wenn Witichis und Hildebad», fuhr Teja fort, «den geraden Heerweg gingen mit stetem Schritt – uns beide will der ungeduldige Schwung stets wie mit Flügeln durch die Lüfte tragen. Und weil wir so zusammengehören, darum schmerzte es mich, daß du in deinem sonnigen Glück zu glauben schienst: jeder, der nicht lachen könne wie du, sei ein kranker Tor. O mein König und mein Freund, es gibt Geschicke, Schmerzen und Gedanken – wer die einmal getragen, empfunden und gedacht, der hat des Lächelns holde Kunst für immerdar verloren.»
Totila sprach voll ernster Achtung: «Wer so heldenstark wie du jeder höchsten Lebenspflicht genügt, den darf man beklagen, aber nicht schelten, wenn er des Lebens Freuden stolz verschmäht.»
«Und du hast geglaubt, ich grolle deinem Glück oder deiner heiteren Art? O Totila, nicht Groll, ach Wehmut ist’s, mit der ich dich und deine Art betrachte. Wie uns ein Kind zu Wehmut rühren kann, das da wähnt, Sonne, Lenz und Leben währen ewig, und Winter, Nacht und Tod nicht kennt. Du vertraust dem Sieg und Glück des Freud’gen in der Welt. Ich aber höre stets den Flügelschlag des Schicksals, das, erbarmungslos und taub für Fluch, Gebet und Dank, dahinrauscht über die Scheitel der Menschen und ihre Werke.» Und er blickte vor sich hin in die Nacht, als erspähe er den Schatten der heranschreitenden Zukunft.
«Ja, ja», sagte der junge Mundschenk, «ähnlich lautete ein alter Spruch, den Iffa auf dem Berge sang, er hatte ihn vom Oheim Wargs gelernt:
‹Auf Glück ist und Unglück
Die Welt nicht gerichtet.
Das haben nur törig
Die Menschen erdacht.
Es will sich ein ewiger
Wille vollenden:
Ihm dient der Gehorsam,
Ihm dient auch der Trotz.›.
«Aber», fragte der Jüngling nachdenklich, «wenn wir mit bester Kraft das Unvermeidliche nicht wenden mögen, warum regen wir denn überhaupt die Hände? Warum erwarten wir dann nicht in dumpfem Brüten, was da kommt? Worin ist dann der Unterschied gelegen zwischen Held und Feigling?»
«Nicht im Sieg ist er gelegen, mein Adalgoth! In der Art des Ringens und Tragens! Nicht die Gerechtigkeit entscheidet die Geschicke der Männer und Völker, sondern die Notwendigkeit. Oft schon ist der bessere Mann, das edlere Geschlecht dem Gemeineren erlegen. Wohl ist auch Edelsinn und Edelart eine Gewalt. Aber sie sind nicht immer stark genug gegen die Übermacht anderer dumpfer Gewalten. Edelsinn und Edelart und Heldentum kann immer den Untergang weihen, verherrlichen, nicht aber immer ihn wenden. Und nur das ist der letzte Trost: nicht was wir tragen, wie wir’s tragen verleiht die höchste Ehre, und oft gebührt der Lorbeer nicht dem Sieger, mehr dem besiegten Helden.»
Der König stützte sich nachdenklich auf sein Schwert und sah zur Erde. «Wieviel mußt du gelitten haben, Freund», sprach er dann innig, «bis du zu solch schwarzem Irrtum gelangt bist! Du hast ja deinen Gott im Himmel verloren! Mir wäre das viel ärger, als hätte ich die Sonne am Himmel eingebüßt, – als wäre ich erblindet. Ich könnte nicht mehr atmen, ich könnte nicht mehr glauben an den gerechten Gott, der vom Himmelstore aus herabschaut auf die Taten der Menschen, und der die reine, gute Sache zum Siege führt.»
«Und König Witichis, was hatte er verbrochen, der Mann sonder Mal und Makel? Und ich selbst und»… er schwieg.
«Dein Leben ist mir verhüllt seit unserer Trennung in frühester Jünglingszeit» –
«Genug davon für heut’», sprach Teja, «Mehr hab’ ich diese Nacht von tief Innerem aufgedeckt als sonst in Jahren. Es kommt wohl noch die Stunde, aufzudecken, was ich erlebt und gedacht. Ich möchte», sagte er, über Adalgoths Locken streichend, «dem jüngsten und besten Sänger unseres Volkes nicht zu früh den hellen Ton seiner Saiten verdüstern.»
«Wohl», sprach der König, aufstehend. «Dein Schmerz ist mir heilig. Aber ich bitte, laß uns die erneute Freundschaft pflegen. Ich gehe morgen nach Taginä zu meiner Braut. Begleite mich –: wenn dich’s nicht kränkt, mich glücklich zu sehn mit einer Römerin.»
«O nein – es rührt mich – es mahnt mich an… – Ich gehe mit dir.» –
Drittes Kapitel
Bald darauf traf der König mit Graf Teja, Adalgoth und zahlreichem Gefolge in dem Städtlein Taginä ein, oberhalb dessen sich auf steiler, dichtbewaldeter Felshöhe das Kloster der Valerier erhob, in welchem Valeria noch immer ihren Aufenthalt fortsetzte.
Der Ort hatte seine Schauer für sie verloren, nicht nur durch äußere, durch innere Gewöhnung: ihre Seele geriet widerstrebend, aber sicher, unter die Einflüsse der ernsten Mächte dieser Stätte. Als sie dem König bei dessen Eintritt in den Klostergarten entgegenkam, schien ihm ihre Farbe viel bleicher, ihr Gang viel langsamer als sonst.
«Was ist mit dir?» schalt er zärtlich. «Als unser Gelübde fast nicht mehr erfüllbar schien, da hieltest du Mut und Hoffnung hoch. Und nun, da der Geliebte die Krone dieses Reiches trägt und fast nur in einer Stadt noch der Feind den Boden Italiens tritt, jetzt willst du sinken und verzagen?»
«Nicht