Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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Enkelkinder geblieben, des gefallenen Sohnes Knabe und Mädchen.

      Die Sonne war prachtvoll niedergegangen hinter den Bergen, die in weiter duftiger Ferne den Süden und Westen des unvergleichlichen Etschtales begrenzen.

      Warmer rotgoldner Schimmer lag über dem mürben Porphyr der Berge, daß er erglühte wie dunkelroter Wein.

      Da stieg langsam, Schritt vor Schritt, immer wieder anhaltend und, die Hand über die Augen gelegt, in den flimmernden Sonnenuntergang schauend, ein Kind – oder war es schon ein Mädchen? –, eine Schar Lämmer vor sich hertreibend, den Rasenhang hinan, auf dessen Höhe seitab vom Wohnhaus die Stallungen lagen.

      Sie ließ ihren Schutzbefohlenen immer wieder Zeit, mit wählerischem Zahn die würzigen Alpenkräuter zu rupfen auf ihrem Weg, und schlug mit der Haselgerte, die sie statt des Hirtenstabes trug, den Takt zu der uralten und einfachen Melodie des Liedchens, das sie leise sang:

      «Liebe Lämmer, laßt euch leiten

       Von der Hirtin Hand, gehorsam,

       Wie des Himmels lichte Lämmer,

       Wie die Sterne still und stete

       Fromm und friedlich ihrem hehren

       Hirt gehorchen: mühlos meistert,

       Mühlos mustert sie der Mond.»

      Sie schwieg nun und sah mit vorgebeugtem Köpfchen in die tief eingeschnittene Schlucht zu ihrer Linken, die der hier abwärts fließende Wildbach in den Hang gefurcht hatte: jetzt, im Sommer, war er nur halb gefüllt: drüben stieg die Anhöhe wieder steil empor.

      «Wo er nur ist?» fragte sie. «Sonst klettern seine Ziegen immer schon die Halde herab zurück, wann die Sonne zu Golde gegangen. Bald welken meine Blumen.»

      Und sie setzte sich nun auf einen Steinblock am Wege, ließ die Lämmer noch grasen, legte die Haselgerte neben sich und ließ einen Schurz von Schaffell, den sie bisher mit der Linken aufgenommen hatte, niedergleiten: da fielen die schönsten Blumen der Alpen in dichten Flocken vor ihr nieder. Sie begann einen Kranz zu flechten.

      «Der blaue Speik steht seinem braunen Haar am besten», sagte sie eifrig windend. «Ich werde viel früher müde, wenn ich allein treibe, als wenn er dabei ist. Und doch klettern wir dann viel höher. Möchte wohl wissen, wie das kommt. Und wie mich die nackten Füße brennen! Ich könnte wohl einmal hinabsteigen in den Wildbach, sie zu kühlen. Und da sehe ich ihn auch gleich, wenn er drüben auf den Hang treibt. Die Sonne sticht nicht mehr.»

      Und sie streifte das breite große Lattichblatt ab, das sie bisher statt eines Hutes getragen. Da ward die schimmernde Farbe des ganz weißblonden Haares sichtbar, das sie, von den Schläfen zurückgestrichen, mit einem roten Bande hinter dem Wirbel zusammengebunden und bisher unter dem umgebogenen Blatt geborgen hatte. Wie eine Flut von Sonnenstrahlen rieselte es nun über ihren Nacken, den nur ein weißes Wollenhemd bedeckte, das, um die Hüften mit breitem Ledergurt zusammengehalten, nur wenig über die Knie reichte.

      Sie maß die Länge ihres Kranzes an dem eignen Haupt. «Freilich», sagte sie, «sein Kopf ist größer! Noch diese Alpenrosen dazu!»

      Und nun verknüpfte sie die beiden Enden des Kranzes mit zierlichem Bandgras, sprang auf, schüttelte die letzten Blumen aus dem Lederschurz, nahm den Kranz in die Linke und wandte sich, den steilen Abhang hinabzusteigen, an dessen Fuß der Bach an das Gestein toste.

      «Nein, bleibt nur hier oben und wartet! Auch du bleib, Weiß-Elbchen, Liebling. Gleich komm’ ich wieder.»

      Und sie trieb die Lämmer zurück, die ihr folgen wollten und nun blökend der Herrin nachsahen.

      Behend kletterte und sprang die Wohlgeübte den steinigen Abhang der Schlucht hinab, bald sich mit den Händen an zähem Gesträuch, Seidelbast und Goldweide haltend, bald kühnlich von Stein zu Steinplatte springend.

      Unter ihrem Sprung bröckelte das mürbe Gestein, und die Trümmer polterten hinab – da, als sie den rollenden nachhüpfte, hörte sie plötzlich von unten ein scharfes, drohendes Zischen. Und eh’ sie wenden konnte, bäumte sich, wohl von einem Stein unsanft aus der Sonnung gestört, eine große kupferbraune Schlange hoch gegen sie empor. Das Kind erschrak, die hurtigen Knie versagten, und laut aufschreiend rief sie: «Adalgoth, zu Hilfe! zu Hilfe!»

      Auf diesen Angstton folgte sofort als Antwort ein heller Ruf: «Alarich! Alarich!» was wie ein Schlachtruf klang. –

      Es knackte in den Gebüschen zur Rechten, Steine rollten den Hang hinab, und pfeilgeschwind flog zwischen die züngelnde Schlange und das ängstlich weichende Mädchen ein schlanker Bube in zottigem Wolfsvließ. Hoch schwang er den starken Bergstock gleich einem Speer, und so wohlgezielt war sein Stoß, daß die Eisenspitze den schmalen Kopf der Natter in die Erde bohrte. Ihr langer Lieb ringelte zuckend um den tödlichen Schaft.

      «Gotho, du bist doch heil?» – «Dank dir, du Treuer!» – «Dann laß mich den Schlangenspruch sprechen, solang die Natter noch zuckt, das bannt ihre Gesippen auf drei Stunden im Umkreis.»

      Und er sprach, die drei ersten Finger der rechten Hand wie beschwörend erhoben, den uralten Spruch:

      «Warte, du Wolf-Wurm!

       Zapple, Gezücht!

       Beiße den Boden,

       Giftigen Geifers;

       Männer und Maide

       Sollst du nicht sehren:

       Nieder, du Neiding,

       Du nichtige Natter,

       Nieder zur Nacht:

       Hoch ob den Häupten

       Schuppiger Schlangen

       Schreitet das schimmernde

       Gotengeschlecht.»

      Viertes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Als er zu Ende gesprochen und sich neigte, die tote Schlange zu prüfen, drückte ihm rasch die Gerettete ihren Kranz auf das goldbraune, kurzkrause, dichte Haar.

      «Heil, Held und Helfer! Sieh, der Siegeskranz war schon vorher gewunden. Eia, wie schön steht dir die blaue Krone.» Und sie schlug freudig bewundernd die Hände zusammen.

      «Du blutest am Fuße!» sprach er besorgt, «laß mich die Wunde saugen – wenn dich der Giftwurm gebissen!» – «‘s ist nur ein scharfer Stein. Möchtest wohl lieber du sterben?»

      «Für dich, Gotho, wie gerne doch! Aber unschädlich wäre das Gift im Munde. Nun, laß dir die Wunde waschen: ich habe noch Essig und Wasser hier in der Lederflasche. Und dann leg’ ich dir Salbei drauf oder heilsame Wegewarte.»

      Und zärtlich drückte er sie nieder auf das Gestein, kniete vor ihr, hob den nackten Fuß sorgsam in seine linke Hand und pflegte ihn, die Mischung aus dem Kugelrund drauf träufend. Dann sprang er auf, suchte auf dem Rasen und kam bald mit den gefundenen Kräutern zu ihr zurück, mit den Lederriemen, die er sich vom eignen Fuße löste, die Blätter sorgsam über die kleine Wunde bindend.

      «Wie gut du bist, Lieber!» sagte sie, sein Haupt streichelnd. – «Nun laß dich tragen – nur den Hang hinauf!» bat er. «Ich halte dich so gern auf meinen Armen.»

      «Was nicht gar!» lachte sie aufspringend. «Bin kein wundes Lamm! Sieh, wie ich laufen kann. Aber wo sind deine Ziegen?»

      «Dort kommen sie aus den Wacholderbüschen. Ich rufe sie!» Und er setzte das Hirtenrohr an den Mund und blies einen schrillen Ton, den Bergstock im Kreise über dem Haupte schwingend. In eilfertigen Sprüngen kamen die starken Ziegen herbei: – sie scheuten die Strafe! Und aus der Tasche einen dünnen Streifen Salz auf die Erde streuend, den die Tiere, gierig leckend, verfolgten, schritt er nun, den Arm zärtlich um des Mädchens Nacken gelegt, den Hang hinauf.

      «Sag’ mir nur, Lieber», fragte sie, oben angelangt und die Lämmer sammelnd, «weshalb