»Es ist richtig, und dieser helle Strich –«
»Das ist der Stundenzeiger –«
»Dachte ich mir. Er steht noch ungefähr um ein Zwölftel des ganzen Kreises von dem geöffneten Auge ab.«
»Daher eben schließe ich, daß noch zwei Stunden zirka bis zum Beginn des Erwachens der Martier sind.«
»Aber finden Sie es nicht seltsam, daß die Martier den Tag ebenfalls in zwölf Stunden teilen?«
»Ebenfalls? Wir teilen ihn ja in vierundzwanzig –«
»Nun, das sind zweimal zwölf.«
»Daß die Zwölf wiederkehrt, wundere ich mich gar nicht – ich würde mich wundern, wenn es anders wäre. Es liegt das im Wesen der Zahl, das heißt im Wesen des Bewußtseins überhaupt. Die Gesetze der Mathematik sind die Gesetze der Welt. 12 ist 3 mal 4, die kleinste aller Zahlen, welche die drei ersten Zahlen 2, 3 und 4 zu Teilern besitzt. Alle intelligenten Wesen, welche Mathematik treiben, werden die 12, nächstdem die 60 zur Grundlage ihrer Einteilungen machen.«
»Aber wir haben ja doch die Zehn –«
»Die alte Astronomie wählte die Zwölf – zwölf Zeichen bilden den Tierkreis – die Zehn ist nur ein unwissenschaftlicher Rückfall in die sinnliche Anschauung der zehn Finger – Krämerpolitik –, doch lassen wir das.«
»Meinetwegen«, sagte Saltner. »Aber was tun wir nun? Erst müssen Sie natürlich Ihren Fuß auskurieren.«
»Ich fürchte«, erwiderte Grunthe, »wir werden auch dann nichts anderes tun können, als was die Martier über uns beschließen. Mit der Expedition wird es wohl so ziemlich aus sein. Suchen wir uns inzwischen möglichst mit den Verhältnissen vertraut zu machen. Rekognoszieren Sie ein wenig!«
»Im Zimmer habe ich mich schon umgesehen, und ich möchte nicht noch mehr von den rätselhaften Instrumenten probieren – man kann sich zu leicht blamieren. Ich komme mir vor wie ein Wilder in einem physikalischen Institut, bloß daß unsereiner nicht die nötige Naivität besitzt.«
»Was haben wir denn für Ausgänge?«
»Nur einen aus jedem unserer Zimmer. Ich weiß die Tür nicht zu öffnen. ich glaube, es ist auch schicklicher, wir warten hier, bis man uns aufsucht, als daß ich aufs Ungewisse herumstöbere.«
»Sie haben recht! Vielleicht haben Sie die Güte, unsere Sachen ein wenig zu ordnen, und wenn Sie mein Tagebuch finden, so bitte ich Sie darum. Zunächst müssen wir sehen, daß wir sowohl Torms Eigentum als die offiziellen Aktenstücke der Expedition in Sicherheit bringen.«
»Ich habe schon einiges hier beiseite gelegt«, sagte Saltner, indem er unter den Gegenständen aufräumte, welche die Martier aus der Gondel gerettet hatten. Sie waren zum Teil durch den Sturz und das Meerwasser beschädigt.
»Es wäre mir übrigens gar nicht unangenehm«, fuhr Saltner fort, »wenn noch einiges von unserm Proviant brauchbar wäre. Denn ich traue nicht recht, wie einem dieser Würstchen-Automat hier bekommen wird. Sehen Sie einmal, was die Herrn Nume alles aufgehoben haben! Da haben sie uns ja das Futteral mit den beiden Flaschen Champagner hergelegt, das Sie in der Not als Ballast auf die Insel warfen. ich hab halt gedacht, das würde ihnen die Köpfe zerschlagen und dabei in tausend Trümmer gehen. Aber es scheint ganz unversehrt. Nun, ich will die beiden Monopol nur aus dem Kasten nehmen. Die können wir doch nimmer mit Freude ansehn. Arme Frau Isma!« Er nahm die Flaschen heraus.
»Halt«, sagte er, »da in dem Futter steckt noch ein Paketchen. – Was haben wir denn da?«
Der Verschluß hatte sich gelöst. Ein Buch in der Größe eines Notizkalenders kam zum Vorschein.
»Na«, sagte Saltner, »Frau Isma wird uns doch nicht noch ein Album mitgegeben haben. Sehen Sie doch einmal, Grunthe, was das ist.«
»Was geht das mich an?« sagte Grunthe unwirsch.
Saltner schlug das Buch auf. Er stutzte sichtlich, blätterte darin und sah lange hinein.
»Das ist –«, sagte er dann kopfschüttelnd, »das ist ja – Aber wie ist das möglich?«
Das kleine Buch enthielt ein Wörterverzeichnis der Sprache der Martier; die Worte waren mit Hilfe der Lautzeichen des lateinischen Alphabets transkribiert, daneben befand sich eine deutsche Übersetzung und zugleich das Zeichen des Wortes in der stenographischen Schrift der Martier. Saltner hatte an den wenigen ihm bekannten Worten die Bedeutung des Inhalts erkannt.
»Sagen Sie mir das eine«, fuhr er fort, »mir steht der Verstand still – wie kann ein deutsch-martisches Wörterbuch hierherkommen – wie kann es überhaupt existieren?«
Grunthe streckte sprachlos die Hand aus und ergriff das Buch.
Er warf nur einen Blick hinein. Dann sagte er leise: »Das ist die Handschrift von Ell.«
Grübelnd schloß er die Augen. Das unlösbare Rätsel trat ihm wieder entgegen – wie kam Ell zur Kenntnis der Sprache der Marsbewohner? Und wenn er sie kannte, warum hatte er sich nicht offen ausgesprochen? Warum hatte er nicht ihm oder Torm die Sprachanleitung mitgegeben? Wie kam sie versteckt in das Futteral, unter die Flaschen?
Er wußte keine Antwort.
Saltner hatte inzwischen das Buch ergriffen und suchte sich daraus einige Worte zusammen.
Da hörte er im Nebenzimmer leises Lachen und Stimmen der Martier. Der Arzt Hil war in Saltners Zimmer eingetreten. Se hatte ihn bis an die Tür begleitet und amüsierte sich köstlich über die Unordnung, welche Saltner angestiftet hatte, am meisten aber darüber, daß er bei seinem Frühstück als Teller die – Kämme benutzt hatte. Die flachen Scheiben, welche Saltner für Teller gehalten hatten, dienten den Martiern dazu, das Haar zu ordnen; sie wurden elektrisch geladen und streckten dann die Haare geradlinig vom Kopf ab. »Es ist zu lustig«, lachte Se. »Aber wir wollen ihm jetzt nichts sagen, dem armen ›deutsch Saltner‹.« Darauf zog sie sich wieder zurück. Denn es war ihr zu ›schwer‹ in den Zimmern der Bate.
Hil trat bei Grunthe und Saltner ein.
10. Kapitel
La und Saltner
Hil war mit dem Zustand seiner Patienten sehr zufrieden. Mit großem Interesse betrachtete er ihre Effekten. Sichtliches Erstaunen aber malte sich auf seinen Zügen, als ihm Grunthe den kleinen deutsch-martischen Sprachführer überreichte. Er blätterte eifrig darin, und indem er auf einzelne Zeichen der martischen Schrift zeigte und sich das danebenstehende deutsche Wort nennen ließ, gelang es ihm bald, einige Fragen zu stellen, die Grunthe durch das umgekehrte Verfahren beantwortete. Da es ihm selbst an Zeit gebrach, den gegenseitigem Sprachunterricht sofort eingehend aufzunehmen, fragte er Grunthe mit Hilfe des Grönländischen, ob er nicht mit La, die sich gern mit Sprachstudien beschäftigte, martisch sprechen wolle, um recht bald zu einem gegenseitigen Verständnis zu kommen. Grunthe war dies sehr unangenehm. Er war recht froh, daß sich keine von seinen Pflegerinnen hier bei ihm sehen ließ, und er wandte sich daher an Saltner mit dem Vorschlag, ihn in dieser Hinsicht zu vertreten. Obgleich dieser die Sprache der Eskimos nicht als verbindendes Hilfsmittel benutzen konnte, glaubte er doch, mit Hilfe des Ellschen Sprachführers auszukommen und erklärte sich gern zu allen Diensten bereit.
Hil nahm den Sprachführer mit sich und geleitete Saltner in den anstoßenden großen Salon der Martier. Hier stellte er ihn einer Anzahl der dort versammelten Martier vor, unter denen sich der Leiter der Station Ra mit seiner Frau sowie neben einigen andern Martierinnen auch Se und La befanden.
Saltner wußte nicht, wo er seine Augen zuerst hinwenden sollte. Fast alles, was er sah, war ihm fremd, am meisten aber überraschten ihn die Gestalten der Martier selbst. Es war ihm nur lieb, daß er sich aus Mangel an Sprachkenntnissen in Schweigen hüllen und sich mit dem Sehen begnügen konnte. Hil nannte ihm die Namen der einzelnen, die ihn mit ihren