»Bitte begleiten Sie mich auf meine Farm.«
Sein Blick hatte etwas Betörendes, und die Wärme seiner Stimme hatte kein »Nein« zugelassen. Noch am selben Abend waren sie auf seine Farm gefahren.
Erneut waren es Stimmen, die Sabrina jetzt aus ihren Gedanken rissen. Eine davon, männlich, zwar leise, aber direkt, die andere verzerrt aus einem Telefon. Als sie die ersten Worte des auf Englisch geführten Telefonats wahrnahm, wollte sie sich diskret zurückziehen, doch beim Wort Chakalaka blieb sie abrupt stehen. War damit die Gala auf dem Weingut gemeint, für die sie in wenigen Tagen kochen sollte? Als ihr dann noch die Wortfetzen »how to destroy« zu Ohren kamen, erstarrte sie in ihrer Bewegung. »Zerstören? Ruinieren!« Was sollte hier ruiniert werden?
Sabrina duckte sich zwischen die Container und lauschte angestrengt. Jetzt redete der andere, zwar laut genug, um das Kratzen der Silben und die Satzmelodie bis zu ihr zu tragen, jedoch konnte sie kein Wort verstehen. Sie entdeckte die füllige Silhouette des telefonierenden Mannes bei den Mülltonnen, die rechts von ihr standen. Er lehnte seitwärts an einen der größeren Container und atmete schwer. Ein seltsames Knacken irritierte sie. Sie schob sich vorsichtig auf die Zehen und erkannte die kantige Bewegung seiner Hände, während er das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte. Er schien äußerst nervös zu sein. Da der Übergewichtige nicht Afrikaans, sondern Englisch redete, schien zumindest er kein Südafrikaner zu sein.
Sie hatte die Augen geschlossen, um sich auf seine Worte zu konzentrieren, doch es war ihr weder möglich, mehr als einzelne Silben oder etwas lauter gesprochene Satzfragmente herauszuhören, noch die Stimme zu identifizieren, die aufgeregt und dann wieder geheimnisvoll klang.
Noch einmal hörte sie Chakalaka und dann einige zusammenhanglose englische Wortfetzen, von denen ihr effective, poisonous und secretly einen Schauder über den Rücken jagten.
Wirkungsvoll? Giftig? Geheim? Was, verdammt, ging hier ab? Während sie noch darüber nachdachte, vernahm sie deutlich »flight to Frankfurt«, und wie er Frankfurt aussprach – das war eindeutig Deutsch!
Sabrina versuchte, aus dem bisher Gehörten einen Zusammenhang herzustellen. Als jetzt noch die Worte »Black Forest« fielen, entwich ihr ein leiser Schrei, und sie erstarrte. Black Forest – der Schwarzwald! Ihre Heimat! Was hatte das alles zu bedeuten? Noch während sie darüber nachdachte, war die Stimme plötzlich verstummt. Sie spähte aus ihrem Versteck, der Korpulente war verschwunden.
Sabrina hatte genug gehört. Nach Spaß und Jux hatten die abgehackten Satzfetzen und die Heimlichtuerei des Wortführers nicht geklungen. Schon wollte sie sich zurückziehen, als sie ein laut schepperndes Geräusch herumfahren ließ. Sie erkannte die korpulente Silhouette, sah noch das Handy in seiner Hand aufblitzen, und was dann passierte, geschah so schnell, dass sie keine Chance hatte, sich dagegen zu wehren.
Ein zweiter Mann tauchte auf, und ein Sack wurde ihr von hinten über den Kopf gestülpt. Sabrina war es nicht gewohnt, sich widerstandslos zu ergeben, und sie wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Angreifer. Ihre Schreie erstickten unter der Hülle, die mit ein paar Stricken festgezogen wurde. Die junge Frau schlug um sich, doch ihre Arme wurden von starken Händen gepackt und auf dem Rücken verschnürt. Sie versuchte, mit ihren Füßen gegen die Schienbeine der Männer zu treten und ihnen ein Knie in den Unterleib zu stoßen, doch sie hatte gegen die starken Körper keine Chance. Ihre strampelnden Beine wurden gepackt und mit Klebeband umwickelt, sie wurde hochgehoben wie ein Stück Kleinvieh, das zur Schlachtbank getragen wurde, und auf eine kalte, kahle Fläche geworfen. Dann war es nur noch dunkel und – bis auf ihren eigenen, keuchenden Atem – still.
Sabrina hörte in sich hinein, doch bei aller Angst, die sie in dieser Situation haben sollte, überwog die Wut. Selbst schuld! Wer seine Nase in Dinge steckt, die ihn nichts angehen, muss auch mit den Konsequenzen klarkommen! Aber gingen sie diese Dinge wirklich nichts an? Ging es nicht um ihre Gala? Was sie gehört hatte, klang wahrlich nicht nach einer gelungenen Überraschung für die Gala Chakalaka, im Gegenteil. Warum sonst hätte man sie aus dem Verkehr ziehen sollen? Wer waren die beiden Männer, die sie überwältigt hatten, und mit wem hatte der Korpulente telefoniert? Welchen dunklen Machenschaften war sie auf die Schliche gekommen? Und was hatten sie mit ihr vor?
Als sich der Wagen gefühlt Stunden später holpernd in Bewegung setzte, befürchtete sie, dass man sie jetzt als unliebsame Zeugin ausschalten würde. Mit einem Mal verspürte sie ein seltsames Unbehagen in sich aufkeimen. Es war ein Gefühl, das sie weder kannte noch mochte, und dazu flüsterte ihre innere Stimme wieder und wieder: »Wie ruinieren wir Chakalaka …?«
Isabel Conrad saß vor dem kleinen Café auf dem größten Marktplatz Deutschlands in der Sonne und genoss ihren Cappuccino. Es war ihr Lieblingscafé, das sie regelmäßig aufsuchte, wenn sie sich einen ihrer seltenen »Genusstage« – wie sie es immer nannte – gönnte und zum Bummeln ins nahe Freudenstadt oder über die Schwarzwaldhochstraße nach Baden-Baden fuhr.
Jetzt waren Betriebsferien im Conradshof, und sie hatte den ersten wirklich freien Tag seit Wochen. Der ehemalige Bauernhof hatte sich seit 1912 von einer Hofschänke und Dorfwirtschaft zum Hotel mit 18 Zimmern entwickelt. Als ihre Großeltern es von deren Eltern übernommen hatten, war es eine Goldgrube gewesen, und sie hatten es zu einem der führenden Häuser zwischen Murg- und Nagoldtal gemacht. Hätte es damals diesen Begriff schon gegeben, wäre es sicherlich ein sogenannter »Place to be« gewesen. Genau das wünschte sich Isabel für den Conradshof heute.
Isabel hatte sich entschlossen, ihren ersten freien Tag ganz den Dingen zu widmen, die in der letzten Zeit deutlich zu kurz gekommen waren – neuen Klamotten, ihrem Äußeren und vor allem sich selbst. Vom Besuch im Kosmetiksalon ihrer Freundin hatte sie sich auf ihren Fingernägeln ein schönes aufgestempeltes Hirschgeweih mitgebracht, das sie, jetzt, im Schein der langsam schwindenden Nachmittagssonne, mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete.
»Stilecht, und doch mal wieder etwas Ausgefallenes«, dachte sie.
Diese Kombination war typisch für Isabel. Ja, sie war das, was man sich unter einem Schwarzwälder Mädel vorstellte, geboren, aufgewachsen und verwurzelt in ihrem Heimatort im nördlichen Schwarzwald. Wenn es aber etwas gab, das neu und ungewöhnlich war, konnte sie sich dafür begeistern und musste es haben.
In zwei Stunden würde sie sich mit Nina, die sie noch aus ihrer Schulzeit kannte und die inzwischen mit Mann, Kind und Hund in Baiersbronn zu Hause war, in der trendigen Pizzeria Da Angelo treffen; sie würden gemütlich essen und über alte Zeiten philosophieren, an die sie sich beide meist mit ganz viel Lachen erinnerten.
Isabel dachte gerne an ihre unbeschwerte Kindheit und ihre Jugendzeit zurück. Gemeinsam mit ihren beiden älteren Brüdern war sie zwischen Schule, Hotel und Natur aufgewachsen. Ihr Großvater hatte ihr beigebracht, was sie vom Wald und seinen Bewohnern wissen musste, und sie sogar mit auf die Jagd genommen. Bald war sie die beste Pilzkennerin im Tal, wusste die Namen von Heil- und Giftpflanzen und konnte die Eichhörnchen, denen sie Namen gab, voneinander unterscheiden. Der Wald und seine Täler, das war der Abenteuerspielplatz ihrer Kindertage, die drei Stockwerke im Hotel und der weitläufige Keller mit seinen zahlreichen Räumen bildeten die Kulisse für Versteckspiele und Fangen an Regentagen.
Isabels Großeltern hatten den Conradshof an ihren einzigen Sohn übergeben, als klar war, dass die Frau an seiner Seite für den Hotelbetrieb wie geschaffen war und sich das Paar für eine Zukunft und eine Familie im Ort entschieden hatte. Ihr Vater hatte Isabels Mutter auf seiner Rückreise von einem kurzen Italientrip in der Schweiz kennengelernt. Vier Wochen später war die quirlige und moderne Schweizerin im Schwarzwald geblieben und hatte in der Küche und an der Rezeption mitgeholfen. In Isabels Augen war der Conradshof ein Haus, das bei aller