Aus Platzgründen ist die folgende Darstellung verkürzend. So müsste, um Vollständigkeit zu erreichen, die Emerging Church berücksichtigt werden, denn gerade der Emergent-Dialog im deutschsprachigen Europa und die Diskussion um eine missionale Theologie weisen Parallelen auf, auch wenn sie nicht gleichzusetzen sind. Das aber würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen.15 Auch auf den Beitrag der Pfingstkirchen kann hier nicht eingegangen werden.16 Megakirchen wie die Willow Creek Community Church von Bill Hybels haben in den letzten Jahren ihre soziale Verantwortung entdeckt und rüsten ihre Mitglieder aus, um sich weltweit für Bedürftige einzusetzen. Entwicklungen wie diese müssen ebenfalls unberücksichtigt bleiben. Auch die Vielzahl von Blogs und Internetseiten über missionale Aktionen werde ich nur am Rande berücksichtigen, weil die Fülle des Materials eine eigene Darstellung verlangen würde. Stattdessen werde ich den Schwerpunkt auf die Missionstheologie legen. Von ihr gingen bisher wenig beachtete, aber entscheidende Impulse aus, die zur Entstehung einer missionalen Theologie evangelikaler Prägung geführt haben.
2.Die Missio Dei und die missionstheologische Entwicklung in der ökumenischen Bewegung seit Willingen 1952
Selten hat ein einzelner Begriff so weitreichende Bedeutung für die Missiologie erlangt wie der Begriff „Missio Dei“. Er gilt als gegenwärtig bedeutendster Leitbegriff für ein missionales Verständnis von Kirche. „Wie kein anderer Begriff hat ‚Missio Dei‘ die ökumenische und missionstheologische Diskussion der letzten 50 Jahre geprägt.“ 17 Diese Feststellung trifft in jüngster Zeit auch für die evangelikale Theologie im deutschsprachigen Europa zu. Immer häufiger berufen sich missionale Theologen und Institutionen auf die Missio Dei und benennen sie als ihr Losungswort.
Das Konzept der Missio Dei besagt, dass die Sendung der Kirche in Gottes Wesen und Handeln verankert ist. Der Gott der Bibel offenbart sich als aus sich selbst herausgehender Gott. Er redet, er erschafft, er offenbart sich. Er handelt zum Heil der Menschen und sucht sie zu diesem Zweck, um sie aus ihrer selbst verschuldeten Verlorenheit zu retten. Die christliche Mission hat ihren Ursprung in diesem Heilshandeln Gottes. „Mission ist demzufolge nicht nur eine Aktivität der Kirche, sondern primär eine Aktivität Gottes. Zentrale Mitte der Mission ist nicht die Kirche, sondern Gott selbst. In der Mission ist Gott selbst am Werk.“ 18
Woher stammt der Begriff Missio Dei? Und was vermag er für die Missionstheologie zu leisten? Dieser Teil will eine Antwort auf diese Fragen geben und damit ein zentrales Charakteristikum der missionalen Theologie benennen.
2.1Willingen – Mission in der Krise
Von der missionstheologischen Bedeutung der Missio Dei spricht man seit der ökumenischen Weltmissionskonferenz von Willingen im Jahr 1952. Allerdings wurde der Begriff schon früher verwendet. Das lateinische Wort „missio“ bedeutet „Sendung“ und wurde ursprünglich in der Dogmatik für die sogenannten „innertrinitarischen Sendungsvorgänge“ benutzt. Der Begriff wurde im 4. Jahrhundert n.Chr. vom Kirchenvater Augustin geprägt, um darzustellen, dass der Vater den Sohn sendet und der Sohn und der Vater zusammen den Geist senden.19 Nun wurde diese „innertrinitarische Bewegung“ um eine weitere ergänzt: Vater, Sohn und Geist senden die Kirche in die Welt.20 Dass Gott ein sendender Gott ist, ist kein neuer Gedanke, aber erst in der Folge der Missionskonferenz von Willingen erlangte er missiologische Bedeutung.21
Die Krise der Mission
Die fünfte ökumenische Weltmissionskonferenz fand vom 5. bis 17. Juli 1952 im deutschen Willingen unter dem Thema „Die missionarische Verpflichtung der Kirche“ statt. Das Thema deutet an, dass es angesichts der Herausforderungen der Zeit um eine theologische Besinnung auf die Grundlagen des Missionsauftrags ging.22 Willingen fand in einer Zeit der Krise der Mission statt.23
Es waren insbesondere zwei Umstände, durch welche die großen Umbrüche im Bereich der Mission sichtbar wurden. Zum einen zeichnete sich das Ende der Kolonialepoche mit ihren überragenden missionarischen Erfolgen ab. Die christliche Mission in der Kolonialzeit war außerordentlich erfolgreich gewesen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden enorme Kräfte für die Mission freigesetzt. Die Kirche breitete sich aus und veränderte nachhaltig das Gesicht von Kulturen, die bis dahin vom christlichen Glauben unberührt waren. Man konnte sich bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eines Gefühls der Überlegenheit der westlichen Kultur mit ihren christlichen Wurzeln kaum erwehren. Dieses Gefühl der Überlegenheit der westlichen Kultur und der mit ihr verbundenen Mission schwand. Die jungen Kirchen in den Missionsländern begannen selbstständig Mission zu treiben und traten den Weg in die theologische Mündigkeit an. Das führte zu einer Motivations- und Zielkrise der Mission.24 War die Rede von der „Kirchenpflanzung“ noch angebracht, wenn es immer mehr selbstständige Kirchen in den Missionsländern gab?
Der Westen verlor an allen Fronten seine dominante Stellung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mochte niemand mehr so recht daran glauben, dass die westliche Zivilisation in der Lage wäre, andere Kulturen positiv zu beeinflussen. Die Folge war neben der genannten Motivations- und Zielkrise eine Glaubwürdigkeitskrise der Mission, die eng mit der westlichen Zivilisation verbunden war. Die „Religion des weißen Mannes“ war durch den Krieg, der von einer „christlichen Nation“ ausging, in Misskredit geraten.25 Damit verschärfte sich die Krise der christlichen Mission, die schon mit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt hatte:
An den Gräueltaten dieses Krieges [des Ersten Weltkrieges] mit seinem maschinellen Massenmorden, den Giftgaseinsätzen und Millionen von Toten zerbrach der Traum westlicher Überlegenheit. Hatte man sich um die Jahrhundertwende noch als die fortschrittlichste Zivilisation betrachtet, gemessen an rationaler Weltdeutung, wissenschaftlichen Erfindungen, wirtschaftlichem Fortschritt, militärischer Vormachtstellung und religiös-weltanschaulich-ethischer Überlegenheit, so wurde diese Sichtweise Lügen gestraft: Das sich selbst als aufgeklärt und rational verstehende Europa hatte sich durch die Grausamkeiten des Weltkrieges gründlich diskreditiert. Die Ära des Imperialismus ging allmählich ihrem Ende entgegen, ein Neuerwachen des Selbstbewusstseins außereuropäischer Kulturen und Religionen setzte ein.26
Die Erschütterung Europas durch die beiden Weltkriege erschütterte auch die Mission und warf Fragen von großer Tragweite auf: „Das Ende der Kolonialreiche und damit das Ende der Epoche der engen Verbindung von europäischer Expansion und Mission zeichnete sich ab. Was bedeutete das für die Mission? Würde sie als Teil des westlichen Imperialismus mit diesem aus den unabhängig werdenden Kolonien ausgeschlossen werden?“ 27
Zum andern wurde die Missionsarbeit durch die weltweite Ausdehnung des Kommunismus infrage gestellt. Nur gerade vier Jahre vor Willingen waren nach der kommunistischen Machtübernahme in China alle christlichen Missionare des Landes verwiesen worden. Osteuropa war unter den kommunistischen Hammer geraten. Die marxistische Ideologie breitete sich in rasend schnellem Tempo über den Globus aus und brachte einen aggressiven Atheismus hervor. Mehr als ein Drittel der Menschheit blieb so für die christliche Mission verschlossen. War die Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 noch vom begeisterten Motto „Das Evangelium der Welt in dieser Generation!“ getragen gewesen, rückte jetzt die Durchdringung der Welt mit dem Evangelium in unbestimmte Ferne.
Drei Missionsmodelle
Die Krise der Mission war in Willingen evident, sodass von einer „Orgie der Selbstkritik“ im Missionsdenken des Westens gesprochen wurde.28 Dass dieses Bewusstsein schon die Konferenzvorbereitungen prägte, zeigte sich am Bericht, den die amerikanische Delegation für Willingen erstellte. Er trug den bezeichnenden