Der veruntreute Himmel. Franz Werfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726511307
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und ließen unsere Gläser nicht leer werden. Als man dann endlich bei Mokka, Likör und Whisky hielt, war bereits jeder einzelne des Entzückens voll und willens, das Leben als ein einwandfrei göttliches Geschenk gelten zu lassen. Der Schauspieler brachte sein vorläufig noch namenloses Organ zu schallender Geltung. Der witzige Kopf sprühte unter lebhaften Gesichtszuckungen. Er schien seine Pointen über unser Tischgespräch wie aus einer Zucker- oder besser Pfefferbüchse zu streuen, die er verstohlen bereithielt. Die schöne Frau spiegelte ihr anerkanntes Lächeln teils in allen Blicken und teils in ihrem fleißig zu Rate gezogenen Taschenspiegelchen. Die Jugend schwatzte aufgeregt durcheinander. Und der alte Lacher lachte ohne Unterlaß.

      Dann hob Livia die Tafel auf. Man begab sich mit Gläsern und Flaschen in den Park hinterm Haus. Dort waren schon die Stühle für die Zuschauer an die Rampe der großen Terrasse gerückt, welche die Bühne vorstellte. Auf einmal war ein Publikum von ansehnlicher Zahl vorhanden. Die Dienerschaft nämlich hatte in Nachahmung der freien hausherrlichen Sitten ihre Freunde aus der Umgebung zu den Darbietungen eingeladen. Ein sehr großer Vollmond schwebte über unseren bunten Lampions. Zwischen den Wipfeln der Lärchen schimmerten knöchern die Felswände des Toten Gebirges herüber.

      Die erste Nummer hatte Leopold selbst übernommen, der gute Kerl, denn der Anfang bedeutet für den Künstler ja stets die größte Überwindung, nicht nur die des Publikums, sondern mehr noch die des eigenen Lampenfiebers. Es war übrigens eine seiner Meisternummern. Er setzte sich an den Flügel, den man auf die Terrasse gerückt hatte und verlangte, daß man ihm einen modernen Schlager zur ›Bearbeitung‹ aufgebe. Die meisten wählten den Schlager des Jahres, dessen Weise auf die albern zwinkernden Worte gesetzt war:

      ›Ich bitt dich, schenk mir dein Photo,

      Und wär es auch noch so klein.‹

      Leopold Argan verwandelte dieses schieberische Lied wortwörtlich im Handumdrehen in das blockhafte Gedränge einer Bachschen Fuge, in einen passagenumplätscherten Liszt, in ein sich ins Gehör bohrendes Arioso à la Puccini, in ein dämmerfarbenes Wolkengebild Debussys und endlich in die flüchtige Mißklangs-Girlande eines unserer verwegensten Neuerer. Sein Anschlag und Akkord-Griff war so mächtig, daß er auch jene überwältigte, die nichts von den Geheimnissen der Musik und damit auch nichts von diesen glänzenden Parodien verstanden. – Nun folgte mein kleines Szenchen. Ich empfand es als den weitaus schwächsten Punkt unseres ganzen Programms. Obzwar ich schon ein wenig berauscht war, schwitzte ich vor Scham und schlechtem Gewissen. Ich war wie erlöst, als Doris drankam. Sie sang, von Livia begleitet, den ›Czardas‹ und die ›Frühlingsstimmen‹ von Johann Strauß. Welche Fortschritte hatte das Mädel in den letzten zwei Jahren gemacht! Selten habe ich eine Stimme gehört, auf die der Begriff ›leichter Sopran‹ so genau zutraf. Sie erkletterte mühelos alle Höhen, spielte übermütig mit halsbrecherischen Staccatis und Fiorituren und schwebte angst- und gewichtlos auf den längsten Trillern. Dabei brachte diese Stimme auch den sonderbaren Humor zum Ausdruck, der auf des Mädchens Wesensgrunde lag, eine graziöse, kühle, augenruhige Überlegenheit, deren unheilverkündenden Sinn keiner von uns je bemerkte. Ich hatte geraten, man möge Doris schon im heurigen Jahre nach Mailand schicken, damit ihr Gesang dort den letzten Schliff empfange. Livia, unerbittlich in ihrem Urteil, fands noch zu früh. O hätte sie das Kind nur für die nächsten Jahre nach Italien geschickt, vielleicht wäre dann . . . Doch wozu das? ›Hätte‹ und ›wäre‹ sind die grammatikalischen Formen unserer unfruchtbarsten Reue.

      Philipp machte den Ansager. Er setzte mich in Erstaunen, ja fast in Schrecken. So wie heute hatte ich den Jungen noch nie gesehen. Wohl kannte ich sein Temperament und seinen wilden Rhythmus beim Musizieren, zwei Eigenschaften übrigens, die nur eine einzige sind. Im Leben sonst gab sich dieser blonde hochgeschossene Philipp – das Bild eines jungen Menschen – gesetzt, aufmerksam und beinahe gemessen. In seiner Sprechweise bevorzugte er ein eigentümlich trockenes Pathos, in dem er ideelle Gegenstände in platte Worte kleidete wie z. B.: »Ich werde demnächst ein Lied oder eine Sonate anfertigen«, und umgekehrt Alltägliches in künstlerische Begriffe hob: »Fräul’n Teta ist heute erzürnt und hat daher den Apfelstrudel ohne Rosinen nach a-Moll moduliert.« Hinter diesen Faxereien verbarg sich bei Philipp, ebenso wie hinter der stillen Ironie seiner Schwester, irgend etwas, was er nicht preisgeben wollte. Mich sprach er manchmal am Morgen in dritter Person an: »Haben einen hinreichend guten Schlaf absolviert heute?« Es konnte so geschehen, daß er mich ganze Tage lang nicht direkt anredete. Ich ging oft mit ihm spazieren und wir unterhielten uns wie Leute, die sich seit Unzeiten kennen und schätzen und im großen und ganzen dieselben Ansichten haben. Er hörte mir dann wohlwollend zu und bat sogar in dieser oder jener Sache um meine Belehrung. Viel öfters aber geschah es, daß sich Philipp als mein Beschützer fühlte und mir herzlich den Arm um die Schulter legte, denn ich war etwas kleiner als er. Er schien sich in mir eines hilfsbedürftigen Wesens zu erbarmen, das noch aus einer sehr ungeschickten Vorwelt stammte und dessen Schritte man lenken mußte. Trotz seiner Anhänglichkeit aber bekam ich nicht ein einziges Mal das Gefühl, ihn wirklich aufgeschlossen zu haben. Ich schobs auf das Lebensgesetz, das die Generationen unerbittlich voneinander trennt und gar in dieser Zeit, wo ein Jahrzehnt wahrscheinlich dem Jahrhundert einer sanfteren Epoche in seiner Schrittweite entspricht. Soviel aber verstand ich manchmal, daß in Philipp etwas Zügelloses am Werke sein mußte, das er mittels seiner gewundenen Redeweise verhüllte, um nicht aus der Rolle der modernen Trockenheit und Sachlichkeit zu fallen.

      In dieser Nacht trat das Zügellose in Philipp klar hervor, freilich in den Formen seiner glänzenden Begabung. Er war, ohne einen wirklichen Rausch zu haben, wie außer sich von tollstem Lebensdrang. Sein schönes Gesicht ließ die würdige Maske fallen und gab endlich der Flamme Raum. Unnachahmlich spielte er den eifrigen Conférencier eines Vorstadt-Varietés. Ohne daß er sich im geringsten darauf vorbereitet hatte, strömten ihm, während er die Mitwirkenden vorführte und einbegleitete, die Einfälle zu: er überbot sich an glänzenden Improvisationen, an komischen Wortfolgen, an grellen Beobachtungen. Der Schauspieler sperrte nur so den Mund auf, der Vorlacher bog sich und machte alle übrigen zu Nachlachern. Eine der Nummern war Herrn Bichler anvertraut, der den Wunsch geäußert hatte, sich als Zauberkünstler produzieren zu dürfen. Er radebrechte mit der ihm eigenen abschätzigen Steifheit und lauernden Kränkbarkeit ein paar der üblichsten Kartenkunststücke. Ob sie nun gelangen oder nicht, er beendete sie jedesmal mit dem stolzen »Voilà« der echten Artisten, worauf er die Hände ausbreitete und sich verbeugte. Philipp spielte seinen Gehilfen, einen verhungerten, bekümmerten Jüngling, der mit angstvollen Augen die Arbeit seines unfähigen Meisters verfolgt, jede Sekunde gewärtig, daß etwas schmachvoll mißlingen muß und die faulen Äpfel sogleich fliegen werden. Es war wirklich ergreifend. Dann kündigte er sein eignes Auftreten als »Argan-Symphonie-Jazzband« an. Das gekoppelte Schlagwerk einer Jazzmusik wurde hereingeschoben, dessen große Trommel und Becken mittels eines Pedals zu spielen waren. Philipp setzte sich davor, in der Rechten ein Saxophon, auf dem Schoß eine Stopftrompete und die Ziehharmonika neben sich. Leopold half am Klavier. Dann ging die Hölle los. Man hätte meinen können, eine ganz große Negerbande sei entfesselt. Die Trommel pochte unaufhörlich. Das Becken gellte. Einmal knautschte das Saxophon sein Mißbehagen in die Nacht. Dann löste es die Trompete mit keifendem Schimpf ab. Und dazwischen schnauften noch die Akkorde der Ziehharmonika. Wir starrten überwältigt, daß ein einzelner dieses rhythmische Toben und Quäken einer Jazzband zustande bringe. Auf Philipps hin- und hergepeitschtem Gesicht aber malte sich ein fassungsloser Fanatismus ab, von dessen Vorhandenheit ich trotz alles Musizierens bisher nichts geahnt hatte. Da geschah es, daß mich jener Schreck erfaßte. Seine Nummer aber war noch nicht das Hauptstück. Das kam erst, als er wieder als Ansager vortrat und mit tiefem Ernste verkündete:

      »Als Nächstes, meine Damen und Herren, bringen wir Ihnen eine Künstlerin, die Sie alle kennen und schätzen. Sie wird ein liebliches Volkslied zum besten geben und sich dabei selbst begleiten. Es ist uns nur unter den größten Opfern und nach langwierigen Verhandlungen, die sich schon zu zerschlagen drohten, endlich gelungen, die Meisterin zur Mitwirkung an unserer Festakademie zu bewegen. Ich muß mich mit meiner Conférence beeilen, denn die Sängerin – eine zweite Garbo an Scheu und Empfindsamkeit – wird draußen von zwei Mitgliedern festgehalten, damit sie nicht davonlaufe und kontraktbrüchig werde . . .«

      Philipp neigte sich vor und flüsterte:

      »Ich