Grischa der Geiger. Rudolf Stratz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Stratz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711507391
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Russisch. „Macht man sie weit dicker als nötig, so lassen sich in ihrem Innern Hohlräume anbringen, zu denen durch einen Fingerdruck auf eine nadelkopfgrosse Stelle in der Mauer eine Pforte sich öffnet, und die durch kein Beklopfen der Wände, durch keine Messungen von aussen festzustellen sind. Man muss den winzigen Schlüsselpunkt kennen. In solch einem Geheimraum ruhen unzweifelhaft drüben in der Powarskaja die Museumsschätze des alten Grigorieff.“

      „Und was für Schätze!“ seufzte Jechiel Bendavid, der Hebräer.

      „Sie sind unermesslich!“ sagte der Kunsthändler. „Da ist der berühmte Smaragd von Bagdad, der grösste der Welt. Da ist der Sternsaphir von Peking, ein märchenhaftes Stück, weil es in seiner Härte selbst vom Diamanten nicht geritzt wird. Da ist die safrangelbe Riesenperle Luciana von Taubeneigrösse, deren Wert schon vor zwei Jahrhunderten auf eine halbe Million Rubel geschätzt wurde . . .“

      „Erbarmen Sie sich und hören Sie auf!“ stöhnte der Karaim.

      „Es gibt da Zarenzepter, die mit Tausenden von Edelsteinen besetzt sind. Handhohe Diamantenkreuze über Brokatkronen . . .“

      „Und alles für immer vermauert und verschwunden!“ Jechiel Bendavid weinte beinahe.

      „Aber dies alles verblasst gegen das unschätzbare Prunkstück der Sammlung, um das alle Museen der Erde den alten Grigorieff beneideten . . .“ sprach Sergius Ragosin beinahe feierlich, „um die Krone des heiligen Alexander Newski, Grossfürsten von Wladimir, des Schutzherrn Russlands!“

      „Ist die Krone sehr alt?“ erkundigte sich William J. Roop gespannt.

      „Sie hat ein märchenhaftes Alter, vielleicht von

      Jahrtausenden. Michael Paläologos fand sie 1261 nach der Eroberung von Byzanz unter den dort gewonnenen Kirchenschätzen und schenkte sie eben dem heiligen Alexander von Wladimir, um diesen für seinen Lieblingsplan, die Wiedervereinigung der lateinischen und griechischen Kirche zu gewinnen. Aus Wladimir, wo sie über dem Grab Alexander Newskis in der Roshdestwenskaja-Kirche aufbewahrt wurde, flüchtete zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts der Grossfürst Alexander vor den Tataren mit ihr nach Pskow in die Kathedrale ‚Zur heiligen Dreifaltigkeit‘. Dort hat sie während der Unruhen von 1906 der alte Grigorieff von den geängstigten Mönchen erworben, die gar nicht ahnten, welchen Schatz sie besassen!“

      „Diese Krone wäre etwas für meine Frau!“ rief William J. Roop und schlug mit der Faust auf den Tisch.

      Alle Gäste platzten heraus. Der humoristische Graukopf des Hausherrn drehte sich majestätisch in der Runde.

      „Lacht nicht, Gentlemen! Für Mrs. Roop ist mir nichts zu gut und zu teuer! Ich bin mit meinen Gedanken ständig bei ihr. Fragen Sie Fräulein Frobe, ob es nicht mahr ist!“

      „Ich kann es bestätigen!“ rief aus dem Arbeitskabinett, wo sie den Rauchtisch richtete, Anna Frobe mit heller Stimme.

      „Man hat in Europa das Wort ‚Dollarprinzessin‘ erfunden!“ fuhr William I. Roop fort. „Nun — dann ist meine Frau eine solche! Ihr Vater ist reicher als ich. Wohl: zu einer Prinzessin gehört eine Krone. In der Krone Alexander Newskis würde Mrs. Roop den kostbarsten Kopfschmuck der Welt besitzen! Ich wäre stolz darauf. Es wäre ein ernstliches Ziel meines Ehrgeizes!“

      „Ich fürchte, Mrs. Roop wird eine unsichtbare Krone tragen müssen!“ seufzte Bendavid, der Schriftgläubige, und erhob sich. Die Herren traten in das Nebenzimmer William I. Roop liess seinen Gästen den Vortritt. Auf der Schwelle legte ihm der blasse, aristokratische Kunsthändler Ragosin leicht die Hand auf den Arm.

      „Denken Sie, Sie fässen beim Poker!“ versetzte er leise. „Verziehen Sie keine Miene zu dem, was ich Ihnen jetzt anvertrauen merde!“

      „Sie erregen meine Neugier, alter Junge!“ William I. Roops massiges Gesichtsrund war schläfrig unbewegt.

      „Ich glaube, es wird mir möglich sein, Ihnen die Krone Alexander Newskis zu verschaffen!“

      „Oh — ich wusste nicht, dass Sie zaubern können!“ Der Yankee blickte scheinbar zerstreut nach dem Rauchtisch drinnen, um den sich seine anderen Gäste niedergelassen hatten.

      „Sie würden die Krone — natürlich zu einem ausserordentlichen Preis — in aller Form von der Regierung zur Ausfuhr in das Ausland erwerben, so wie das ja oft genug mit den von ihr beschlagnahmten Kunstwerken geschieht! Dafür bin ich ja da!“

      „Erst müsst ihr doch die Krone haben!“ Der Mann der Nazareth-Compagnie hielt die kühlen Rechneraugen halb geschlossen, um ihr plötzliches leidenschaftliches Aufleuchten zu verbergen.

      „Vielleicht werden wir die Krone bald haben!“ murmelte der Kunsthändler Ragosin. „Vielleicht — beherrschen Sie jetzt Ihre Mienen — vielleicht schon heute nacht!“

      Der vierschrötige Graukopf drüben blinzelte ihn verblüfft und misstrauisch an.

      „Wie wollen Sie das machen?“

      „Das wird die heilige Dreifaltigkeit entscheiden! . . . Aber schweigen Sie zu jedermann!“ Sergius Ragosin nahm zwischen den anderen Platz. Er blickte nach der Türe zum Speisezimmer, durch die Anna Frobe das Rauchkabinett verlassen hatte. Er überzeugte sich, dass auch die zweite Türe nach dem Flur geschlossen war.

      „Niemand draussen kann uns hier hören!“ versetzte er. „Nun kann ich Ihnen eine grosse Neuigkeit berichten . . .“

      „Ich sagte schon vorhin, dass Litzband keine Schmerzen mehr hat!“ Der alte chinesische Teehändler lächelte das unergründliche Lächeln des Ostens.

      „Sie wissen bereits, Mr. Tsao . . .?“

      „ . . . dass Litzband schon heute mittag gestorben ist. Man hält den Todesfall noch geheim, um die Zurüstungen zur feierlichen Überführung der Leiche nach dem Kreml für heute nacht zu treffen!“

      „Es wird ein gewaltiges Schauspiel! Halb Moskau wird auf den Beinen sein und die Strassen säumen, durch die der Zug geht!“ Sergius Ragosins längliches, vornehm geschnittenes Antlitz wurde plötzlich unruhig.

      „Sie haben doch unsern guten Grischa nicht schon nach Hause geschickt, Mr. Roop?“ fragte er. „Sein Geigenspiel gehört gerade nach Tisch zu Havannas und Papyrossen!“

      „Fräulein Frobe sättigt ihn nur jetzt schnell nebenan!“ Der Hausherr holte sich eine noch feuchte und biegsame Cuba-Zigarre aus ihrer luftdichten Glasröhre. „Der arme Schlucker hatte ja schon ganz irre Augen vor Hunger!“

      Aber nebenan sass Grischa der Geiger mit gekreuzten Armen vor dem noch nicht abgedeckten Tisch und starrte auf die Restschüssel, ohne sie zu berühren.

      „Nun warum essen Sie nicht?“

      Anna Frobe fragte. Sie sass neben ihm. Sie wandte ihm freundschaftlich ihr klares, ernstes, junges Gesicht zu. Es klang eine leise, scheue Teilnahme in ihrer Stimme. Er schüttelte unmirsch den blondmähnigen Kopf.

      „Ich bin es nicht gewohnt, in den Zimmern der Herren zu speisen! Mühseligen wie mir reicht man hinten auf der schwarzen Treppe im Namen Gottes einen Teller Kohlsuppe und ein Stück Brot!“

      „Mühselig sind Sie!“ sagte Anna Frobe. „Aber die Zimmer der Herren sind Ihnen nicht fremd. Denn Sie waren selbst einmal einer! Das merke ich immer deutlicher!“

      „Versprachen Sie mir nicht da unten vor dem Haus, mich nach nichts zu fragen?“ Grigorij Grigorieff fuhr jäh zu ihr herum. Seine blauen Augen leuchteten zornig. „Nun — dann belieben Sie und sehen Sie in mir den armen Geiger Grischa und weiter nichts!“

      „Essen Sie doch, Genosse Grischa!“ sagte Anna Frobe leise und fügsam. Es klang fast mütterlich.

      „Wie kann ich denn essen? Ich bin zu erregt!“

      „Was bedrückt Sie?“

      „Schon wieder drängen Sie mich . . .“

      „ . . . weil ich Ihnen helfen möchte, wenn ich irgend kann!“

      „Und